Berufliche Integration für Studienabbrecher mit IT-Interesse

Fehlender Abschluß heißt noch nicht Karriereknick

23.07.1999
Von Gabriele Müller* Jedes Jahr verlassen Tausende Studenten ohne Abschluß die Hochschule. Ihre Zukunft sieht oft recht düster aus. Was bleibt, sind Arbeitslosigkeit oder minderbezahlte Jobs. Ein Modellversuch in Nordrhein-Westfalen will Abbrecher und Betriebe, die Personal suchen, zusammenbringen.

Wer will schon einen Studienabbrecher haben? Diese Frage stellte sich Peter van Bruck, Student der Germanistik, wie viele sei- ner Kommilitonen auch, die mit der Ausbildung zwar unzufrieden sind, für sich aber keine berufliche Alternative sehen. Die hat van Bruck, 39 Jahre alt, jetzt beim Essener Systemhaus Com IT-Micro Age gefunden. Dort macht er gerade ein Betriebspraktikum im Vertrieb und hat festgestellt: "Ich kann mit Kunden über mehr reden als nur über die Bundesligatabelle."

Genau das, die Verkäuferpersönlichkeit mit Umgangsformen und Auftreten, wird in der IT-Branche händeringend gesucht, bestätigt Dirk Göckeritz, Prokurist und Leiter Controlling. "Für den Posten des Vertriebsmitarbeiters, so wie wir ihn verstehen, nämlich als Beziehungs-Manager, kann auch ein Geisteswissenschaftler gut geeignet sein."

Van Bruck, ausgebildeter Sozialversicherungs-Fachangestellter, hat bis vor kurzem Germanistik, Philosophie und Psychologie studiert. Doch was er an seiner Universität erlebte, gefiel ihm wenig: "Kaum Praxisbezug und schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt."

So wie ihm geht es jährlich rund 16000 Studenten allein an Rhein und Ruhr. Grund genug für das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport, einen Modellversuch zu starten, um Betriebe mit Personalsorgen und Studierende zusammenzubringen.

Noch drei Teilnehmer am Modellversuch, den das Land 1997 startete, lernen jetzt mit Peter van Bruck gemeinsam den Arbeitsalltag bei Com IT kennen. Den Kontakt stellte das Essener Berufsförderungszentrum Essen e.V. (BFZ) als einer der beteiligten Lehrgangsträger her.

Den Grund, sich an diesem Modell zu beteiligen, schildert Göckeritz so: "Wir verlieren mit einem lachenden und einem weinenden Auge häufig gute Leute an unsere Kunden. Denn ob in der Energieversorgungs-, der Telekommunikationsbranche oder aber bei den großen Einzelhandelsketten, qualifizierte IT-Fachleute sind überall gesucht."

Statt weiter nur aufwendige und teure Personalentwicklung zu betreiben, setzt das mittelständische Unternehmen mit 180 Mitarbeitern auf neue und ungewöhnliche Wege im Personal-Management und auf Mitarbeiter wie Andreas Zimmermann. Im dreimonatigen Betriebspraktikum will er für sich klären, ob seine Vorbildung, ein abgebrochenes Studium der Elektrotechnik und der Betriebswirtschaft, und sein Interesse für die Informationstechnologie den Einstieg ins Berufsleben ermöglichen.

Dirk Göckeritz dazu: "Für uns zählt nicht die formale Qualifikation, für uns sind Mentalität, Motivation und Lernbereitschaft wichtig." Deshalb setzt das Systemhaus auf enge Zusammenarbeit und Beratung der Teilnehmer, um deren Vorstellungen, Wünsche und Kenntnisse genauestens abzuklären. "Nur so können wir auf Dauer aus diesem Modellversuch Mitarbeiter gewinnen, die länger bei uns bleiben wollen."

Noch stehen alle am Anfang des einjährigen Versuchs. Umschüler Zimmermann ist optimistisch: "Technische Kundenberatung, das könnte etwas für mich sein." Und Peter van Bruck will trotz seiner Vorkenntnisse nicht ins Personalwesen, sondern interessiert sich mehr für den Vertrieb. Fazit von Göckeritz: "Wir haben mit Mitarbeitern, die bei uns im Haus ein Training oder eine Umschulung absolvierten, die besten Erfahrungen gemacht." Und bei den vier Teilnehmern heißt es auch längst nicht mehr "Wer will uns schon", sondern "Wir haben etwas zu bieten..

Fester Job

Der Modellversuch zur Integration von Studienabbrechern in die Berufswelt in Nordrhein-Westfalen gliedert sich in eine vierwöchige Orientierungsphase, in der die Studierenden weiter an der Hochschule eingeschrieben sind, und eine elfmonatige Kernphase, die die Exmatrikulation voraussetzt. Das Arbeits- und Sozialministerium des Landes fördert das Projekt mit insgesamt 1,6 Millionen Mark und strebt eine Regelförderung an. Von den 122 Teilnehmern an der Kernphase, dem individuell planbaren Wechsel von Praktikum und Qualifizierung beim Lehrgangsträger, haben inzwischen rund 32 Prozent einen festen Arbeitsplatz gefunden. Rund vier Prozent kehrten ins Studium zurück.

*Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal.