Mikro-Integration eröffnet Cobol neues Marktsegment, aber:

Fehlende Normen noch immer ein Handicap

01.03.1985

Im traditionellen Bereich der Groß-DV allgegenwärtig, rangiert die Programmiersprache Cobol auf Mikrocomputern nur unter "ferner liefen". Dennoch engagieren sich spezialisierte Software-Manufakturen auch in diesem Marktsegment. COMPUTERWOCHE sprach mit Michael Rölke, Geschäftsführer der Kölner GFU Cyrus+Rölke mbH, über Chancen und Risiken dieses Geschäfts.

- Der Einsatz von Cobol auf Mikrocomputern ist zwar nicht außergewöhnlich, aber zumindest doch selten. Warum haben Sie diese Programmiersprache gewählt, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Als wir uns 1979 entschlossen, kommerzielle Programme für Mikros anzubieten, war die Auswahl der Programmiersprache und des Compilers von maßgeblicher Bedeutung für unsere zukünftige Entwicklung. Wir entschieden uns für Cobol, weil wir hiermit unsere Programminvestitionen am besten zu sichern glaubten.

Der Entschluß, Cobol auf Mikros einzusetzen, brachte folgende Konsequenzen mit sich: die Implementierung von Cobol-Compilern auf Mikrocomputern auf der Basis von Intel 8080 -ist aufwendiger als die auf Groß-EDV, da die Befehlsstruktur eines Intel 8080 dazu wenig geeignet ist. Deshalb werden die Cobol-Compiler als Pseudocodeinterpreter implementiert. Dabei übersetzt der Compiler in einen Zwischencode - sozusagen in die Maschinensprache einer virtuellen Cobol-Maschine -, einen Code, der zur Laufzeit interpretiert wird.

Dieses Verfahren hat einerseits den Vorteil, daß der erzeugte Zwischencode sehr kompakt ist. Andererseits muß jedoch zum Ablauf der Programme ein Laufzeitsystem geladen werden; wobei zudem die Ausführungsgeschwindigkeit der Programme relativ gering ist.

- Der Adreßraum des Intel 8080 ist ja auf 64 KB beschränkt. Da für das Betriebssystem - in Ihrem Fall CP/M von Digital Research - 16 KB kalkuliert werden mußten und das Laufzeitsystem rund 24 KB benötigt, blieben für die Anwendermodule maximal 24 KB übrig. Wie kamen Sie mit den Gegebenheiten zurecht?

Diese Beschränkung führte in der Tat zu zusätzlichen Kosten bei der Programmierung. Die von der Groß-EDV verwöhnten Programmierer mußten auf eine platzsparende Programmierung umgeschult werden: auf strikte Modularisierung und ausgefeilte Overlay-Technik. Überdies traten bei der Vermarktung der Programme Probleme auf. Bei einem großen Teil der Mikro-Besitzer waren die im Groß-EDV-Geschäft üblichen Tageshonorare nur sehr schwer durchzusetzen.

- Hat sich denn Ihre Situation nach den wohl eher "mageren" Anfängen entscheidend verbessert?

Ja, mit dem Aufkommen der 16Bit-Mikros. Die Kleinrechner setzten sich nun im traditionellen EDV-Sektor durch und wir fanden unsere Kunden: Tochtergesellschaften von Konzernen und Großunternehmen für Haupt- und Nebenbuchhaltungen. Jetzt kam uns die Cobol-Programmierung zugute, die anfangs eher ein Handicap war. Wir verkauften nicht nur die Applikationssoftware im Objekt sondern auch als Quellcode nebst zugehörigem Compiler (Level II Cobol), den wir in Lizenz von Micro Focus produzieren.

Unsere Kunden benötigten den Quellcode entweder aus Sicherheitsbedürfnis oder zur Integrierung der Programme in den betrieblichen Ablauf. Bei diesem Kundenkreis hätten wir mit einer anderen Programmiersprache als Cobol keine Chancen gehabt.

- Bestand auch eine Nachfrage, die Mikrocomputersoftware im gleichen Funktionsumfang- auf Groß-EDV zu implementieren?

Ja - und hierbei kam uns die hohe Portabilität der Cobol-Programme entgegen. Unsere FIBU wurde auf Siemens BS2000 und IBM DOS/VSE umgestellt. Diese Umstellungen wurden von Kooperationspartnern durchgeführt, die in dem jeweiligen Marktsegment zu Hause sind.

- Nun laufen ja solche Umstellungen nur in den seltensten Fällen reibungslos über die Bühne. Offenbarten sich dabei Schwächen des ANSI'74-Standards?

Ja, noch immer fehlen geeignete Normen für Bildschirm, Transaktion und Datenbank. Zunehmend werden die Cobol-Programme mit CALL-Aufrufen in herstellerspezifischen Routinen zur Behandlung von Transaktionen "durchlöchert", wie zum Beispiel CICS von IBM oder UTM von Siemens. Dadurch sind Dialogprogramme in Cobol eigentlich nicht mehr portabel, was der Zielsetzung der Cobol-Standardisierung zuwiderläuft. Obwohl wir unsere Programme in Hinblick auf Portabilität konzipiert hatten, war der Umstellungsaufwand bei Dialogprogrammen besonders hoch. Die fehlende beziehungsweise unzureichende Standardisierung von Cobol erwies sich hier als kostentreibender Faktor.

- Wie beurteilen Sie die Bemühungen des ANSI-Komitees, diesem Manko entgegenzuwirken?

Der Versuch des Komitees, ständig weitere Sprachmittel zu erfinden, führt in eine Sackgasse, denn diese Sprachmittel haben einen zu statischen Charakter. Moderne Programme legen Eigenschaften von Dateien oder Zugriffen möglichst spät fest, also zur Laufzeit, und nicht schon zur Compile-Zeit. Wünschenswert wäre demnach eher eine standardisierte Modulbibliothek, wie sie etwa bei der Programmiersprache "C" vorliegt.

- Wo sehen sie - trotz aller Mängel - die entscheidenden Vorteile für eine Cobol-Programmierung auf den Mikros?

Zum Beispiel ist die Produktivität der Programmierer auf Mikrocomputern unseres Erachtens wesentlich höher als auf Groß-EDV. Auf den Rechnern sind modernste Entwicklungswerkzeuge verfügbar, wie etwa das Personal Cobol. Dieser umfaßt einen Cobol-Editor, einen mit dem Editor verbundenen Übersetzer und eine interaktive Testhilfe, Animator genannt, der die Testzeit drastisch verkürzt.

Am Bildschirm ist sichtbar, wie die Programme ausgeführt werden. Dabei ist derjenige Cobol-Befehl, der zur Ausführung ansteht, hell angezeigt. Der Programmierer kann sich jederzeit Variablenwerte ansehen und diese verändern, er kann sogar zur Laufzeit noch zusätzliche Befehle eingeben, den Befehlsfluß modifizieren und konditionierte Haltepunkte setzen. Mit diesem Hilfsmittel erreichen wir nicht nur eine höhere Produktivität sondern auch qualitativ bessere Programme.

- Wie schätzen Sie für die Zukunft die Marktakzeptanz von Cobol auf dem Mikrosektor ein?

Mit der Markteinführung des IBM-AT steigt das Integrationspotential von Mikros in Groß-EDV; im gleichen Maße steigt die Bedeutung derjenigen Programmiersprache, die auf beiden Rechnersystemen und ihren zugehörigen Betriebssystemen implementiert ist: nämlich Cobol.