Mobile Kommunikation/Mobile Anwender wuenschen vor allem stoerungsfreie Rundumkommunikation

Feature-Finessen verhindern Entwirrung des Handy-Angebots

03.05.1996

Der Handy-Boom ist unuebersehbar; entsprechend ist die Auswahl an Geraeten riesengross. Neuere Marktuebersichten, so zum Beispiel in der April-Ausgabe der Zeitschrift "Mobiltelefon und Pager", belegen, wie schwer es inzwischen ist, den Ueberblick zu behalten. Hier sind fast 100 Mobiltelefone, ueber 100 schnurlose Telefone und zirka 70 Pager (Funkdienstempfaenger) aufgelistet.

Das macht die Kaufentscheidung nicht nur aufgrund der Menge problematisch. Auch innerhalb der Geraeteklassen existieren dann noch verschiedene Gruppen, so zum Beipiel C-, D- und E-Netz- Systeme oder Schnurlose nach CT1plus (Cordless Telephone 1. Generation), CT2 oder Dect-Standard (Digital European Cordless Telecommunications).

Bei einer solchen Riesenauswahl sollten eigentlich auch die ausgefallensten Wuensche in Funktion und Design erfuellt sein. Aber weit gefehlt. Viele Innovationen kommen erst so langsam in die Verkaufsregale oder wurden fuer die naechsten Jahre angekuendigt. Andererseits meinen einige Hersteller und Provider, Kunden mit Schnickschnackfunktionen wie einem Reservierungssystem fuer Hotels koedern zu koennen. Praxisbefragungen aber zeigen, dass nur maximal fuenf Prozent der Nutzer derartige Funktionen tatsaechlich in Anspruch nehmen.

Dabei sollte den Herstellern eigentlich klar sein, was der Anwender wuenscht: das kleine, leichte, mobile Telefon mit einer idiotensicheren Benutzeroberflaeche. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht, denn der Standardanwender ist auch hier kaum auszumachen.

Wie beim Computer lieben viele Anwender es moeglichst einfach und unkompliziert, Poweruser hingegen sind erst dann zufrieden, wenn auch wirklich alles technisch Machbare realisiert ist und moeglichst alle Parameter Manipulationen zur Systemoptimierung zulassen. Diese Anforderungen in einem Geraet zu realisieren ist natuerlich nicht ganz einfach.

Vor der Betrachtung der unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Gruppen stehen aber einige Gemeinsamkeiten. Leichte Geraete mit langer Standby- und Betriebs- sowie kurzer Aufladezeit sind immer gefragt, ebenso eine robuste Verarbeitung und Sicherheit gegen unbefugtes Benutzen.

Doch schon bei der Bedienung scheiden sich die Geister. Was Computerfreaks schlicht als logisch und einfach erscheint, ist fuer den Normalbuerger nicht unbedingt verstaendlich. Daher bieten die meisten Hersteller jetzt zumindest ein Geraet in ihrer Palette an, das zwar nicht jede Feature-Finesse aufweist, aber dafuer auch mit Ruecksicht auf die Technomuffel so einfach wie ein normales Telefon zu bedienen ist.

Fuer das andere Zielgruppenextrem, die technischen Spielkinder - oder auch als Statussymbol - eignet sich ein Mobiltelefon, das so weit von einem normalen Telefon entfernt ist, dass es auch eine andere Bezeichnung verdient hat: Der "Communicator" Nokia 9000 vereint so ziemlich alles in einem Geraet, was der vielbeschaeftigte Manager brauchen koennte: Telefon, Fax, einen Internet-Zugang mit Mail, WWW, Telnet und Terminal, Short Message Service (SMS), Adressbuch sowie Terminkalender sind in diesem 397 Gramm leichten Handy vereint. Eine Variante des Intel-386-Prozessors und 8 MB Speicher sowie zwei unabhaengige Displays stehen dem Kommunikationsbeduerftigen zur Verfuegung.

Um waehrend des Telefonierens auch das Lesen und Schreiben auf dem Geraet zu ermoeglichen, besitzt es eine Freisprecheinrichtung, die sich automatisch einschaltet, sobald man den Communicator aufklappt. Die Bedienung ist - zumindest auf dem Papier - ebenfalls recht einfach. Das Geraet wird erst im Sommer verfuegbar sein und soll rund 3000 Mark kosten.

Doch keine Angst. Es wird niemand gezwungen, demnaechst auch noch mobil im Internet praesent zu sein. Auch weniger spektakulaere Wuensche werden immer oefter realisiert. Das Klingelzeichen ist beispielsweise etwas, an dem sich die Geschmaecker scheiden. So ist eine Auswahl von verschiedenen Tonfolgen laengst Standard. Wem das immer noch nicht reicht, der kann jetzt je nach Geraet auch eine eigene Melodie komponieren (Nokia 9000), um der Umwelt seine Kreativitaet zu beweisen. Laermempfindliche Zeitgenossen waehlen vielleicht eher ein Handy, das einen Anruf mittels Vibrationen meldet.

In noch einem Punkt sind sich jedoch alle Nutzer einig: Sie wollen ueberall und jederzeit kommunizieren koennen, nach Moeglichkeit auf der ganzen Erde unter ein und derselben Nummer. Das heisst fuer die weitaus meisten Anwender nun nicht gleich, dass sie auch in der Sahara oder in Sibirien telefonieren moechten. Wenn aber mitten in Muenchen mit dem Handy keine Funkverbindung zustande kommt, obwohl man sich weder in einem Faradaykaefig noch im dritten Tiefgaragenuntergeschoss befindet, sondern mitten auf dem Marienplatz, dann ist das schon etwas aergerlich.

Auch die Qualitaet der Ueber- tragung entspricht oft weder Wunsch noch Werbung. Digitalisiert uebertragene Audiosignale muessen hoechste Qualitaet haben - diesem Anspruch entspricht die digitale Uebertragung im Funkbereich nun nicht gerade. Zufrieden kann sein, wer ohne Unterbrechungen und Stoergeraeusche ein paar zusammenhaengende Minuten telefonieren kann.

Eine weitere Moeglichkeit fuer die mobile Kommunikation sind die schnurlosen Telefone. Sie erlauben das Telefonieren je nach Geraet und Bedingungen auch ueber mehrere hundert Meter von der eigenen Station entfernt - zu normalen Gebuehren. Reicht es dem Nutzer, innerhalb eines relativ kleinen Gebiets - etwa im Unternehmen oder rund um die Wohnung - erreichbar zu sein, tun es solche Geraete zu moderaten Kosten.

Auch die bei einigen Model- len moegliche Nutzung von mehreren Endgeraeten - beim "MBO Whiney" sind es bis zu 15 - kommt den Wuenschen der Anwender entgegen; geht sonst doch jedesmal die Sucherei nach dem Telefon los, das ja schliesslich an keinem festen Platz steht.

Schnurlose und Mobiltelefone gibt es schon seit Jahrzehnten. Aber erst das seit Mitte 1991 nach dem GSM-Standard (zuerst: Groupe Speciale Mobile, jetzt: Global System for Mobile Communications) betriebene D-Netz brachte den Markt zum Boomen, da es den Beduerfnissen der Kunden nach niedrigen Preisen und kleinen Geraeten entgegenkam.

Die Hersteller konnten vor allem deshalb billiger produzieren, weil der GSM-Standard im Gegensatz zu den vorhergehenden europaweit ausgelegt war - und inzwischen auf dem besten Wege ist, den Rest der Welt zu erobern. Ueber zehn Millionen europaeische GSM- Kunden sind eben ein Markt, bei dem es sich lohnt, die Wuensche und Beduerfnisse der potentiellen Anwender genau zu betrachten.

Die meisten der heute verkauften Geraete sind so auch relativ handlich und leicht. Auch die Akkukapazitaet reicht fuer einen normalen Arbeitstag aus. Telefonieren allein genuegt mittlerweile aber nicht mehr. So bieten immer mehr Geraete jenen Zeitgenossen, die unterwegs auf Fax und Datenfernuebertragung (DFUE) nicht verzichten wollen, geeignete Funktionen, was sich mittels Schnittstellen, die ueber PCMCIA-Karten oder die serielle Schnittstelle mit Computern kommunizieren, erreichen laesst.

Schnelle Uebertragungsraten sind aber leider noch nicht verwirklicht. 2400 beziehungsweise 9600 Baud stehen zur Auswahl, eine hoehere Uebertragungsrate ist im fast 6000 Seiten umfassenden GSM-Standard nicht vorgesehen. Fuer Fax, E-Mail und Terminal ist das zwar akzeptabel. Wenn man aber mal eben eine Datei herunterladen oder im World Wide Web (WWW) etwas nachschauen moechte, braucht man unter diesen Bedingungen schon einige Geduld.

Doch nicht nur die Art der Datenuebertragung steht zur Debatte. Auch die Umgebung, in der kommuniziert werden soll, bringt Probleme mit sich. Auf einem grossen Firmengelaende funktioniert das zum Beispiel durch eine Funkanlage nach dem Dect-Standard (Digital European Cordless Telecommunications). Jenseits des Zauns sind Aussendienstler wie Manager derzeit noch auf das Zweittelefon (GSM) mit anderer Nummer angewiesen.

Der laestige Wechsel hat im Moment vor allem Kostengruende. Doch soll dieses Problem in Kuerze geloest sein. Ein kombiniertes GSM/Dect-Telefon hat Ericsson zur CeBIT '96 vorgestellt. Es soll noch in diesem Jahr auch in Deutschland verfuegbar sein. Die Geraete sollen automatisch zwischen GSM- und Dect-Verfahren umschalten, so dass mit ein und demselben Telefon ueberall zu optimalen Bedingungen telefoniert werden kann.

Problematisch kann es dann wieder an der Landesgrenze werden. Auf Antrag ist man jedoch auch im Ausland unter der heimischen Nummer erreichbar. Bereits 1993 existierten 36 Netzwerke in 22 Laendern nach dem GSM-Standard, und mittlerweile haben sich ueber 80 Nationen fuer GSM entschieden. Roaming heisst das Schlagwort. Durch Vertraege zwischen den einzelnen Anbietern wird sichergestellt, dass man auch im Ausland wie gewohnt kommunizieren kann.

Im fernen Ausland, in dem es moeglicherweise (noch) keine Roaming- Abkommen gibt, kann man Geraete nach GSM-Standard aber teilweise durchaus noch verwenden. Mit einer entsprechenden SIM-Karte eines dort ansaessigen Providers ist die Erreichbarkeit - wenn auch unter einer anderen Nummer - gewaehrleistet.

Wirklich ueberall auf dem Erdball ist man zur Zeit nur ueber ein Satellitentelefon erreichbar. Ein solches Geraet ist aber nicht nur unhandlich, sondern auch ziemlich teuer. Das soll sich demnaechst ebenfalls aendern. Ericsson will voraussichtlich 1998 ein Kombigeraet herausbringen, das im Normalfall wie ein herkoemmliches Funktelefon arbeitet, bei fehlender Verbindung aber auf Satellitenkommunikation umschaltet. Mit diesem Geraet muesste dann sogar das Telefonieren am Marienplatz wieder moeglich sein.

Kurz & buendig

Nicht nur die grosse Zahl der angebotenen Handies macht den Markt unuebersichtlich. Verschiedene Netzsysteme tragen zur Verwirrung des Publikums ebenso bei wie die unterschiedliche Ausstattung mit funktionalen Finessen. Dabei waeren einige Basis-Features sowohl fuer jenen Anwender interessant, der unterwegs nur einfach telefonisch erreichbar sein moechte, als auch fuer den technisch anspruchsvolleren Zeitgenossen, der in dem Kommunikationsgeraet gern auch noch weitere Moeglichkeiten saehe. In der Tat zeichnen sich diesbezueglich optimistisch stimmende Entwicklungen ab.

*Christian Schreiber ist freier Jounalist in Muenchen.