Minicomputer unterstützen infasBad Godesberg bei den Vorhersagen:

Farbgrafik verdeutlicht Wählerentscheidung

04.03.1983

MÜNCHEN - Wahlsendungen werden durch Farbgrafiken erst schön. Am 6. März besteht die nächste Gelegenheit, ein solches Spektakel zu verfolgen. Auf Knopfdruck erscheinen die Hochrechnungen, gefolgt von alles erklären den bunten Bildern. Was bei der ARD dahintersteckt, beschreibt Herbert W. Franke*.

Abgesehen von ihrer politischen Bedeutung sind Wahlen in den letzten Jahren zu spannend inszenierten Fersehereignissen geworden, die sich durchaus mit Quizsendungen und Sportübertragungen vergleichen lassen. Einen wesentlichen Beitrag dazu leisten die "Inserts", die als Untermalung des gesprochenen Wortes eingesetzt werden.

Ihre Bedeutung ist freilich weitaus größer, als es zunächst den Anschein hat: Nur durch die visuelle Aufbereitung ist es überhaupt möglich, die Feinheiten des politischen Zahlenspiel so überschaubar zu machen, daß jeder die Entwicklung mühelos verfolgen kann.

Die Durchsage der Zahlen, verbunden mit Kommentaren, das ist noch die Methode des Radios - auch wenn man den Reporter dabei sieht. Erst die Schaubilder machen die Wahl zum Spektakel, machen sie auch optisch zum spannenden Ereignis.

Auf Knopfdruck

Innerhalb der in der ARD zusammengeschlossenen Anstalten ist es der WDR, der für die Wahlberichterstattung verantwortlich ist. Günter Siefarth und Rüdiger Hoffmann, vor der Kulisse von Computern, sind allen Fernsehzuschauern ein Begriff. Ebenso bekannt ist, daß sie auf Knopfdruck die Bildsequenzen einschalten. Indessen wissen nur wenige, was hinter diesen Bildern steckt - wie die "Wahlgrafiken" zustande kommen.

Die Zentrale, in der alle mit den Wahlen zusammenhängenden Daten zusammenlaufen, ist das Institut für angewandte Sozialwissenschaft in Bonn-Bad Godesberg, bekannt unter dem Namen infas. Seine Spezialgebiete sind empirische Sozialforschung und Systemanalyse. Als unabhängige Firma erarbeitet infas für seine Auftraggeber Planungsunterlagen und Entscheidungshilfen zu Problemen des öffentlichen und sozialen Lebens.

Die ARD gehört zu den wichtigsten Auftraggebern des Instituts, das den Auftrag der Fernsehanstalten unter dem Stichwort: "empirische Wahlforschung und Wahlinformationsdienst" erarbeitet. Darunter fallen insbesondere die Hochrechnungen und Analysen, die den Wahlberichterstatter in die Lage versetzen, auf jede neu einlaufende Information zu ragieren, sie mit einem fundierten Kommentar zu versehen.

Die Aufgabe, Zahlen in Bilder umzusetzen, ist in den letzten Jahren zu einer Domäne des Computers geworden. Zunächst sprach man von Computergrafik, heute bevorzugt man eher visuelle Datenverarbeitung worunter auch CAD, computerunterstütztes Design, und pattern recognition, Strukturanalyse, gehören.

In letzter Zeit ist vor allem auch die sogenannte Businessgrafik wichtig geworden, die es beispielsweise Managern erlaubt, wirtschaftliche Entwicklungen nicht mehr anhand von langen Datenlisten, sondern mit Hilfe von Schaubildern zu überblicken - und ihren Aktionären zu erklären. Diese Methoden, in den USA schon fest eingeführt, beginnen sich in Europa erst allmählich durchzusetzen, wofür die infas-Computerbilder ein gutes Beispiel sind.

Bei infas ist ein international bekanntes Team, das schon in mehreren Ländern mit Arbeiten im Bereich der Computergrafik hervorgetreten ist, für die "Wahlgrafiken" verantwortlich. Es setzt sich zusammen aus dem Leiter, Prof. Dr. Vladimir Bonacic, der mehrere Jahre einen Lehrstuhl am Kunstinstitut der Universität Jerusalem innehatte, seinem Mitarbeiter Miro Cimerman - beide heute feste Mitarbeiter von infas - und der Designerin Dunja Donassy.

An Wahlabenden treten sie von dem Moment an in Funktion, zu dem die statistisch aufbereiteten Daten in der Grafik-Etage des infas-Hochhauses eintreffen. Sie haben nicht nur die Programme geschrieben, mit denen die Umsetzung der Daten in Bilder erfolgt, sondern auch alle jene Schaubilder entworfen, die vom einfachen Blockdiagramm bis zur Landkartendarstellung mit eingetragenen Kennziffern reichen.

Daß ihre Grafiken ankommen, zeigt sich wohl am deutlichsten an der Reaktion der Zuschauer. Noch niemand hatte etwas an der Bilddarstellung zu bemängeln - offenbar wird sie von den Zuschauern ganz selbstverständlich aufgenommen und verstanden.

Für die Entwicklung der Programme wird ein DEC-System PDP-11/34 eingesetzt, für die Generierung der Grafiken steht ein PDP-11 /04-Computer zur Verfügung. Die Ausgabe der Bilder erfolgt fernsehgerecht auf Farbbildschirmen mit Standardauflösung. Wie bei jeder anderen farbigen Bildschirmgrafik auch, werden die Darstellungen aus je einem roten, einem grünen und einem blauen Farbauszug zusammengesetzt.

Die Zeit für die Produktion eines Bildes dauert fünf bis zwanzig Sekunden - länger brauchen Günter Siefarth und Rüdiger Hoffmann nicht zu warten, ehe sie aufs Knöpfchen drücken können. Doch das BCD-Team (zusammengesetzt aus den Namen Bonacic, Cimerman und Donassy), begnügt sich nicht mit statischen Schaubildern; vielmehr ist Vorkehrung getroffen, daß man Blöcke einzeln aufbauen, Keilbereiche mit Farbe belegen kann und dergleichen mehr. Eine willkommene Hilfe, um komplizierte Situationen Schritt für Schritt zu entwickeln.

Mit der abgeschlossenen Wahl ist die Arbeit der infas-Grafiker freilich nicht beendet. Sie arbeiten auch an jenen Berichten mit, die als zusammenfassende Dokumentation nach jeder Wahl herausgegeben werden, denn auch hier sind die Schaubilder unverzichtbar. Die Darstellungen aus dem Wahlstudio, aufgrund der Analysen weiterverarbeitet und ergänzt, stehen auch großformatig für die Unterrichtung weiterer Kreise zur Verfügung.

Mittel dazu ist ein Applicon "ink jet plotter", ein Tintensprühgerät. Es ermöglicht die Ausgabe von Bildtafeln innerhalb weniger Minuten in einer zehnfachen Auflösung, als es dem Fernehstandard entspricht: mit 4200 x 2752 Bildpunkten. Auch diese Bilder werden aus drei Grundfarben zusammengesetzt.

15 000 Farbtöne

Zur Kombination der Grundfarbe ergeben sich 15 000 verschiedene Töne. Für die Entwicklung der dazu nötigen Programme, insbesondere aber auch für die Übertragung der Landkarten, die mit Hilfe eines Digitalisierungstisches erfolgt, wird ein VAX-11/780-Computer eingesetzt.

Tintensprühgeräte stehen bisher nur wenig in Gebrauch, obwohl sie der modernen Entwicklung Rechnung tragen: Sie erlauben die Anwendung des Rastergrafikprinzips für die Hard-copy-Farbdokumentation. Doch abgesehen von den technischen Vorteilen entsprechen diese Bilder auch allen grafischen Anforderungen nichtkommerzieller Bereiche.

Die grafischen Ausgabemöglichkeiten, die bei infas bereitstehen, werden natürlich auch noch für andere Zwecke genutzt, beispielsweise zur Visualisierung der Ergebnisse von Befragungen, auf die infas spezialisiert ist, ebenso wie zur Unterstützung von Planungsaufgaben des Stadt- und Regionalbereichs - Verkehr, Freizeit, Wohnraum, Umwelt.

*Herbert W. Franke ist Professor für Kybernetische Ästhetik, Schriftsteller und Computergrafiker.