Ohne Sourcing-Strategie drohen Kollisionen zwischen den verschiedenen Providern

Fallstricke im Business Process Outsourcing

19.03.2004
MÜNCHEN (jha) - Ohne klare Sourcing-Strategie kann Business Process Outsourcing (BPO) böse enden. Werden die falschen oder sich überschneidende Prozesse auslagert, drohen Qualitätseinbußen, Schwerfälligkeit und Kostenexplosion.

Wo heute Trend- und Extremsport betrieben wird, ist Red Bull meistens nicht weit. Mit erheblichem Werbeaufwand hat es der gleichnamige Anbieter des Energy-Drinks geschafft, eine weltweit bekannte Marke mit Kultstatus in der Jugendszene zu etablieren, die dem Unternehmen im Jahr 2002 Einnahmen von mehr als 1,1 Milliarden Euro verschaffte. Das Marketing ist für die Red Bull GmbH aus Fuschl in Österreich folglich Kernkompetenz - und zwar die einzige. Red-Bull-Chef und -Gründer Ralf Mateschitz pflegt nämlich extremes Outsourcing: Sämtliche Geschäftsprozesse des Hauses wurden ausgelagert. Die rund 1200 internen Mitarbeiter sind einzig und allein dafür da, die Marke des Getränks zu pflegen.

Stabile Prozesse auslagern

"Das ist sicher die Krönung des Outsourcing", schwärmt Wolfgang Schulz, Vorstandsmitglied beim Beratungshaus Avinci aus Frankfurt am Main. "Aber das Beispiel ist nur begrenzt auf andere Branchen übertragbar. Das Auslagern von Geschäftprozessen hat einen entscheidenden Nachteil: Änderungen fallen schwerer. Business Process Outsourcing ist nur dort sinnvoll, wo Abläufe sehr stabil sind." Red Bull stellt nur ein einzelnes Massenprodukt her, die Rezeptur ändert sich nicht, und der Vertrieb verläuft auf den etablierten Wegen des Einzelhandels. "Grundsätzlich sollten keine Prozesse ausgelagert werden, die einer schnellen Dynamik unterliegen", ergänzt Christof Krameyer, Senior Consultant bei Avinci. "Beispielsweise mussten die Versicherungen mit der Einführung der Riester-Rente rechtzeitig neue Produkte entwickeln und praxistauglich umsetzen. Hypothekenbanken sind ständig gefordert, mit neuen Finanzierungsmodellen auf Marktänderungen zu reagieren." Bewegliche Prozesse sind schwer zu beschreiben. Ein Benchmarking ist nicht möglich, die Effizienz nicht messbar und der externe Betrieb daher zumeist teuer.

Doch die deutschen Banken und Versicherungen haben in der Vergangenheit wohl eine allzu extreme Gegenposition zur Geschäftsstrategie von Red Bull eingenommen. Ihnen wird ihre zu hohe Fertigungstiefe von bis zu 90 Prozent zunehmend zur Last, unterm Strich arbeiten sie deutlich ineffizienter als ihre angelsächsischen Konkurrenten. Um eine Lehrstunde im Sachen schlanke Produktion zu erhalten, müssten sie nicht einmal weit reisen: Die nationalen Automobilkonzerne haben sich diesbezüglich einen vorbildlich Ruf erworben. Porsche etwa gilt als Musterknabe der Wertschöpfung, weil zum Beispiel nur neun Prozent der Fertigung des Geländerwagens Cayenne im eigenen Haus erfolgt.

Mittlerweile hat die BPO-Welle auch Deutschland erreicht. Prominente Beispiele sind die Deutsche Bank, die ihren Einkauf von Accenture erledigen lassen wird, und der Chiphersteller Infineon, der die komplette Personalabteilung samt Abrechnung und Teilen des Recruitings an EDS auslagerte. Die Auslagerungspläne betreffen derzeit überwiegend die Personalverwaltung, das Finanz- und Rechnungswesen sowie den Kundenkontakt via Call-Center, etwa wenn es um Bestellungen, Beschwerden, Produktanfragen oder bei Versicherungen um die Meldung einfacher Bagatellschäden geht. "Das BPO-Spektrum wird sich erweitern", vermutet Gartner-Analystin Rebecca Scholl. "Es wird sich beispielsweise im Bereich der Abrechnungen und Kreditvergabe etablieren und sich auf ganze Verkaufsprozesse von der Verkaufsannahme bis zur Rechnungsstellung erstrecken. Viele der Dienste müssen vor Ort erbracht werden, doch ein Großteil lässt sich in Offshore-Länder verlagern", warnt sie.

Qualität kann leiden

Nicht immer erzielen die Unternehmen mit diesem Schritt den gewünschten Effekt: In den USA machte der PC-Hersteller Dell beispielsweise seine Entscheidung rückgängig, die Geschäftskunden von einer Hotline in Indien aus zu betreuen. Die Beschwerden über die Qualität des Call-Center-Betriebs hatten sich gehäuft, so dass Dell um seine wichtigen Kunden fürchten musste. Der Finanzdienstleister Lehman Brothers beendete einen Outsourcing-Vertrag mit dem indischen Haus Wipro mit Hinweis auf mangelnde Qualität des IT-Helpdesks.

Doch gleichgültig, wohin ausgelagert wird, Unstimmigkeiten und Unzufriedenheit treten immer dort auf, wo Absprachen im Vorfeld der Outsourcing-Entscheidung nicht präszise genug getroffen wurden. "In den Verträgen, die ich bislang bei unseren Klienten gesehen habe, war der Großteil der Leistungen überhaupt nicht dokumentiert", wundert sich Avinci-Vorstand Schulz. "Dann entstehen Probleme zwangsläufig, denn der Outsourcer und der Kunde sind beide frustriert." Schulz mahnt daher nicht allein eine klare Servicedefinition an, sondern auch eine eindeutige Outsourcing-Strategie der Kunden, denn wo der vertikale BPO-Betrieb auf das horizontal ausgelegte IT-Outsourcing trifft, leidet die Effizienz der jeweiligen Abläufe und droht ein Zwist zwischen allen Beteiligten.

Exklusivität meiden

Kollisionen drohen etwa dann, wenn zunächst die IT- und im zweiten Schritt die HR-Abteilung ausgelagert werden. Die vom HR-Dienstleister übernommenen Mitarbeiter arbeiten dann mit PCs und in Systemen, die dem Auftraggeber nicht gehören, weil sie bereits an den IT-Outsourcer übergeben wurden. Lösungen sind in solchen Fällen über Change-Requests möglich, in der Regel aber sehr teuer. "Möglicherweise ist der Königsweg, mit dem Business Process Outsourcing zu beginnen, denn dort ergeben sich im Verbindung mit dem Offshoring die größeren Skaleneffekte als im IT-Outsourcing", vermutet Schulz. "Bislang haben wir aber noch keine verlässlichen Daten über die verschiedenen Szenarien, um unsere Klienten sauber beraten zu können."

Die vermeintliche Lösung des Single-Sourcings halten Schulz wie auch sein Avinci-Kollege Krameyer für den denkbar schlechtesten Weg. "Es hat sich immer wieder gezeigt, dass die Servicequalität unter fehlendem Wettbewerb leidet. Der Dienstleister wird träge", warnt Krameyer. "Mit einem gut aufgestellten internen Sourcing-Management lassen sich auch mehrere externe Dienstleister gut steuern." Auch ließe sich die Automobilindustrie mit ihrer langjährigen Erfahrung zu Rate ziehen. Das gilt insbesondere für das Ford-Werk in Köln-Niehl, bei dem im Frühjahr 1998 drei Tage lang die Produktionsbänder für die Modelle Fiesta, Puma und Scorpio still standen, weil der exklusive Türschlosslieferant Kiekert aus dem nahe gelegenen Heiligenhaus nicht liefern konnte. Der Schaden für Ford belief sich auf mehr als 100 Millionen Mark. Offiziell machte Kiekert Softwareprobleme für den Lieferstopp geltend, doch gilt es als offenes Geheimnis in der Branche, dass das Kiekert-Management Druck auf die laufenden Verhandlungen mit Ford ausüben wollte. Das Ergebnis der Gespräche ist nicht bekannt, wohl aber die neue Ford-Strategie: Neben Kiekert gibt es nun einen zweiten Lieferanten für Türschlösser.

Abhängigkeit droht

Das Auslagern von Geschäftprozessen steigert die Effizienz. Die Leistungen werden günstiger, die Qualität steigt, und die Unternehmen können sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Das sind die bekannten Marketing-Botschaften der Anbieter, die in der Praxis erst mit Leben gefüllt werden müssen. Interessenten sollten nicht vergessen, dass

- Outsourcing die Prozesse verlangsamt,

- Outsourcing Abhängigkeit schaffen kann und erpressbar macht,

- die Qualität der Dienste leiden kann,

- eine frühzeitige und eindeutige Sourcing-Strategie erforderlich ist, um Konflikte zwischen unterschiedlichen Service-Providern zu vermeiden.

Abb: Dienstleister hoffen auf steigenden BPO-Markt

Die Ausgaben für das Auslagern von Geschäftsprozessen werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den kommenden Jahren um durchschnittlich 6,8 Prozent zulegen. Vor allem das Personal-, Rechnungs- und Finanzwesen wird externen Betreibern übergeben. Quelle: Forrester Research