Wie MCC Smart seine IT-Kinderkrankheiten überwand

Fallstricke auf der "grünen Wiese"

31.05.2002
MÜNCHEN (rg) - Die Micro Compact Car (MCC) Smart GmbH, Renningen und Hambach, hatte in ihrer Anfangszeit etliche Herausforderungen zu bewältigen: So musste der Fahrzeughersteller um die Zukunft seines Softwarelieferanten Baan zittern. Auch die Entscheidung, IT-Entwicklung und -Betrieb weitgehend auszulagern, wurde revidiert.

Welcher IT-Verantwortliche träumt nicht davon, auf der grünen Wiese von vorn beginnen zu können? Als neu gegründetes Unternehmen befand sich MCC Smart 1994 in dieser glücklichen Situation. Das mit der Planung befasste Team setzte sich in puncto IT ehrgeizige Ziele: Sämtliche Querschnittsprozesse sollten mit Standardsoftware abgebildet werden - für einen Automobilbauer mit seinen sehr speziellen Geschäfts- und Fertigungsprozessen ein Novum.

MCC Smart verfolgte einen strikten Best-of-Breed-Ansatz: Im Engineering kommen "Catia" und "Matrix One" zum Einsatz, die Produktdokumentation basiert auf Individualsoftware. Für Verkauf und Kundenbetreuung nutzt der Fahrzeughersteller "Autoline", eine Software des Service-Providers Kerridge Computer Company Ltd. In den Bereichen Finanzen, Controlling und Einkauf finden dagegen SAP-Lösungen (FI, CO, MM) Verwendung. Die Personalwirtschaft für Deutschland bezieht MCC Smart als Dienstleistung vom Mutterkonzern Daimler-Chrysler.

Konsequenter Just-in-Sequence-Ansatz

Höchstanforderungen an die IT-Systeme stellte das Konzept für die Logistikpartner: Weniger als zehn Prozent der Fahrzeugteile fertigt MCC Smart selbst. Trotz dieser ungewöhnlich niedrigen Fertigungstiefe wollte das Unternehmen vermeiden, eigene Lagerflächen aufzubauen. Der konsequente Just-in-Sequence-Ansatz erforderte die Abbildung äußerst komplexer Logistikprozesse, um die reibungslose Zusammenarbeit mit den zwölf am Fertigungsstandort im französischen Hambach angesiedelten Partnerunternehmen und den rund 70 Lieferanten zu gewährleisten.

In diesem Bereich entschied sich MCC Smart 1996 für Lösungen des Softwareanbieters Baan. Bei der Unterstützung von Just-in-Time- und Just-in-Sequence-Fertigungskonzepten sei er bis Mitte der 90er Jahre nahezu konkurrenzlos gewesen, erinnert sich Alfons Huber, Senior Manager für IT-Systeme in Engineering und Produktion bei MCC Smart. "Insgesamt gab es damals wenig Mitbewerber", erläutert er. "In Frage kam neben Eigenentwicklungen des Konzerns höchstens SAP." Das Produktionsplanungs- und Steuerungssystem des Walldorfer Softwareriesen habe damals aber lediglich einige Komponenten für den Werkstattbereich geboten; deshalb sei es für die Massenfertigung im Automobilbau kaum geeignet gewesen.

Bei Projektbeginn entschied MCC Smart, die gesamte IT von der Konzeption über die Implementierung bis zu Wartung und Betrieb an Andersen Consulting (heute Accenture) zu vergeben. Dies hatte unter anderem wirtschaftliche Vorteile: Der Outsourcing-Vertrag sah vor, dass Andersen erst ab Produktionsbeginn bezahlt wurde. In den Preis der Fahrzeuge war ein festes IT-Budget einkalkuliert. Für jeden Smart, der das Band verließ, bekam Andersen einen Fixbetrag gutgeschrieben. Gleiches galt für Softwarelieferanten wie Baan.

Anfangs war MCC Smart mit diesem Full-Service-Paket sehr zufrieden - zumal nur eine sehr geringe Zahl eigener IT-Mitarbeiter beschäftigt werden musste. Mit zunehmender Dauer traten jedoch auch negative Aspekte der Outsourcing-Strategie zu Tage: "Im IT-Bereich ist für unser Unternehmen sehr viel wichtiges Prozess-Know-how angesiedelt", so Huber, "durch das Outsourcing dieser Kernkompetenzen waren wir bei weiterführenden Projekten nicht mehr in der Lage, einige Themen richtig einzuschätzen." Aufgrund dieser Abhängigkeit seien unerwartete und ausufernde Kosten entstanden. Schließlich habe das Management gegengesteuert.

Als Huber 1998 vom Daimler-Chrysler-Konzern zum Unternehmen stieß, hatte MCC Smart ganz andere Sorgen: Produktionsanlauf und Markteintritt für den Kleinstwagen hatten sich um ein halbes Jahr verzögert. Die IT war an den Auslieferungsproblemen nicht direkt beteiligt; sowohl die Software von Baan als auch die Querschnittsprozesse und die Fabrik liefen weitgehend reibungslos, Probleme gab es lediglich im Vertrieb. Allerdings zeichnete sich damals bereits die finanzielle Krise von Baan ab, die den Automobilhersteller um den Fortbestand des wichtigen Softwarelieferanten bangen ließ. Erst die Übernahme durch den britischen Invensys-Konzern im August 2000 vermochte diese Sorgen zu zerstreuen.

Zudem half der Mutterkonzern: Bei einem vollständigen Scheitern des Softwareunternehmens hätte MCC Smart bei der Pflege und Weiterentwicklung der Software auf die Unterstützung der Daimler-Chrysler-Kollegen zählen können. Dazu Huber: "Wir hatten den Sourcecode, genügend Baan-Kompetenz im Konzern und darüber hinaus Kontakte zu geeigneten Beratern im Hambacher Umfeld."

Diese Hilfestellung musste MCC Smart in Einzelfällen auch in Anspruch nehmen - beispielsweise, als das Unternehmen mit Performance-Problemen zu kämpfen hatte: "Für einen Lieferabruf hat das System 14 bis 16 Stunden gerechnet", erinnert sich Erik Dahm, IT-Manager Systems Design Production. Im Falle einer fehlerhaften Stücklistendokumentation sei es nicht möglich gewesen, die Teilebedarfsermittlung zu wiederholen, denn das TCC-Konzept sehe tägliche Lieferabrufe vor. Die Entwickler zogen deshalb - gemeinsam mit Baan - eine Zwischenschicht ein, die die Daten auf Plausibilität prüft, bevor sie in die aktiven Stücklisten transferiert werden.

Schlussstrich unter das Outsourcing

In anderthalb Jahren will MCC Smart die Entscheidung über den Bau eines neuen Fahrzeugtyps und - damit verbunden - die Errichtung eines zusätzlichen Werks mit eigener IT fällen. Ob Baan mit von der Partie sein wird, lässt IT-Manager Huber offen: "Dazu müsste Baan eine eindeutige Produktstrategie aufzeigen können; diese habe ich bei den jüngsten Ankündigungen vermisst."

Unter das Outsourcing-Problem hat MCC Smart mittlerweile einen Schlussstrich gezogen: Im September 2000 begann das Unternehmen, die IT-Verantwortung sukzessive in das eigene Haus zu verlagern. "Das IT-Management gehört heute wieder zu den Kernkompetenzen des Unternehmens", konstatiert Hartwig Faber, Director für IT-Management und CIO bei MCC Smart.

Jetzt beschäftigt der Autobauer rund 120 IT-Mitarbeiter für die Unterstützung der gesamten Prozesskette - auch wenn er noch 70 Prozent der IT-Leistungen über externe Partner bezieht. Von Accenture hat sich MCC Smart weitgehend gelöst. "Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben wir uns friedlich getrennt und konnten 25 Mitarbeiter von Andersen Consulting übernehmen", so Huber.

Ein Quasi-Standard

MCC Smart arbeitet mit dem Release 4.A.1 der Standardsoftware von Baan. Aufgrund der speziellen Anforderungen und Prozesse war ein hoher Anpassungsaufwand nötig. So weicht die bei MCC Smart eingesetzte Lösung um bis zu 70 Prozent von einer Standardimplementierung ab. Allerdings wurden und werden sämtliche Modifikationen vom Softwareanbieter selbst vorgenommen, der damit auch die Funktionstüchtigkeit und Wartung garantiert. IT-Manager Alfons Huber spricht deshalb von einem "Quasi-Standard".

Auch für den "Roadster", dessen Produktion im Herbst anlaufen soll, will die Kleinwagenschmiede Baan-Software einsetzen. Hier wird ebenfalls das Release 4.A.1. zum Einsatz kommen, obwohl es mittlerweile eine aktuellere Version gibt. "Das System läuft sehr stabil und performant; außerdem war es die günstigste Entscheidung", begründet Huber die Wahl.