FAG Kugelfischer uebertraegt Informationsverarbeitung an IBM Mitspracherecht der DV-Leitung beim Vertrag war entscheidend

11.02.1994

Die FAG Kugelfischer Georg Schaefer AG in Schweinfurt hat ihre komplette DV an die IBM ausgelagert und damit eines der beachtetsten aktuellen Outsourcing-Projekte in die Wege geleitet. Gerhard Oehring* erlaeutert technische Aspekte der Zusammenarbeit und geht ausfuehrlich auf die Gestaltung des Vertrags zwischen beiden Unternehmen ein.

Mit Betrieb und Weiterentwicklung der Systeme inklusive RZ- Leistung waren zirka 260 Personen beschaeftigt. Sie nahmen auch die gesamte Anwendungsentwicklung sowie die Wartung und Pflege der weltweit im Einsatz befindlichen Systeme vor. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation weltweit und aufgrund der besonderen Lage des FAG-Konzerns hat die Geschaeftsleitung die Forderung aufgestellt, die DV-Kosten kurz- bis mittelfristig konzernweit auf unter 1,2 Prozent des Umsatzes zurueckzufahren; dazu kam die klare Direktive, die Informationsverarbeitung auszulagern. Das bedeutete den Verkauf der DV-Anlagegueter (Hard- und Software) sowie des Informatik-Buerogebaeudes und der Rechenzentren, die Uebergabe von 260 Mitarbeitern an ein Outsourcing-Unternehmen und das Betreiben der Gesamtinformatik durch diesen DV-Dienstleister. Zielvorgaben waren:

- Konzentration auf strategisch bedeutsame Aktivitaeten des Kerngeschaefts der FAG,

- Reduzierung der Kosten,

- Erhoehung der Liquiditaet,

- Erhoehung der Flexibilitaet sowie

- Absenken des Break-even-point.

Verhandlungsphase und Entscheidung

Im Februar und Maerz 1993 begannen erste Gespraeche mit zwei moeglichen Outsourcing-Partnern (EDS und IBM). Nach aufwendigen Verhandlungen wurde der Geschaeftsleitung von FAG Anfang April 1993 der Vorschlag unterbreitet, die Datenverarbeitung von FAG an das Dienstleistungsunternehmen IBM zu uebergeben.

Gruende hierfuer waren ein gutes Angebot, Bereitschaft zur Uebernahme aller Fixed Assets, des DV-Gebaeudes und die klare Aussage von IBM, den Standort Schweinfurt zu sichern. Eine wesentliche Rolle spielte auch das Mehrheitsvotum der DV-Mitarbeiter fuer den Partner IBM. Am 16. April wurde eine gegenseitige Absichtserklaerung unterschrieben; daran anschliessend erfolgte die sorgfaeltige Pruefung der vorhandenen Anlagegueter, Vertraege mit Lieferanten und die etablierten Sicherheitsstandards. Die Vertragsverhandlungen konnten dann Ende Juni abgeschlossen werden, so dass die Uebernahme der gesamten Informationsverarbeitung durch IBM per 30. Juni 1993 erfolgte. Seitens der FAG fuehrte der Autor dieses Beitrags als Leiter der Informationsverarbeitung gemeinsam mit den engsten Mitarbeitern die Gespraeche mit den Outsourcing-Unternehmen, in deren Verlauf die FAG-Mannschaft schliesslich die Empfehlung erarbeitete, die IBM als Partner zu waehlen.

An dieser Stelle sei betont, wie enorm wichtig es ist, dass die DV- Leitung mit ihren engsten Fuehrungskraeften bei einem Outsourcing- Vertrag entscheidend mitwirken und -sprechen kann. Viele einschlaegige Verhandlungen ziehen sich unnoetig in die Laenge beziehungsweise die dann abgeschlossenen Vertraege zeigen sehr schnell gravierende Probleme auf, wenn die DV-Leitung an diesen Gespraechen nicht beteiligt ist. Seitens der FAG waren auch noch Fuehrungskraefte aus dem Personalwesen, der Anlagenbuchhaltung, des Controllings und des Rechtswesens eingeschaltet. Ausserdem wurden in einer sehr fruehen Phase Betriebsrat und Mitarbeiter ueber die Outsourcing-Verhandlungen informiert. Fuer die IBM wurden sie durch ein kleines Team gefuehrt.

Neue Firma soll den Wechsel bewaeltigen

Derzeit ist die zur Erfuellung des FAG-Vertrags gegruendete Informationssysteme Beratungs- und Betriebsgesellschaft mbH (IBB) mit 260 Mitarbeitern bereits voll operativ im Einsatz, auch was die Geschaeftsprozesse und die Systemunterstuetzung mittels SAP betrifft.

Im Rahmen des Uebergangs aus der FAG- in die IBM-Welt wurde diese junge Firma anhand eines eigenen "Transition"-Plans mit dem Ziel gefuehrt, spaetestens per 31. Dezember 1993 in die dann "normale" operationale Phase zu gehen. Die Betreibergesellschaft IBB ist eine hundertprozentige Tochter der IBM Systeme und Netze GmbH.

Perspektiven bestehen zum einen in der sachlich bedingten Erweiterung des bestehenden FAG-Vertrags, vor allem aber in der Nutzung des uebernommenen Know-hows. Beispiele dafuer sind die Vermarktung des SAP-Wissens in allen Anwendungsbereichen und der fundierten Prozesskenntnisse ueber ein IS-technisch hochintegriertes Fertigungssystem vom zentralen Host bis zur NC-Ebene sowie der Einsatz der vorhandenen diversen Herstellerplattformen und - kenntnisse (IBM, SNI, DEC) fuer neue Outsourcing-Kunden.

Der Outsourcing-Vertrag ist in drei Teile gegliedert:

- Vertragsbedingungen,

- Leistungsbeschreibung inklu- sive Betriebshandbuch sowie

- Anlagen.

Die Abmachungen regeln insbesondere

- die Vertragsdauer bis Ende des Jahres 2002,

- Prozedur und Regeln hinsichtlich der Uebernahme von 260 Mitarbeitern,

- die Uebernahme der Hard- und Software mit mehr als 15000 Komponenten,

- die Uebernahme aller Leasing-, Miet- und Wartungsvertraege,

- die Moeglichkeiten, den Leistungsumfang den veraenderten Anforderungen anzupassen,

- die Verantwortlichkeiten der IBB beziehungsweise die der FAG,

- die Regelungen hinsichtlich Verzug, Gewaehrleistung und Haftung sowie insbesondere

- die Ausstiegsklauseln bei einer Kuendigung beziehungsweise bei Vertragsende.

Im nachhinein betrachtet, hat die Regelung der Vertragsbedingungen mindestens soviel Zeit und Kapazitaet erfordert wie die Leistungsbeschreibung selbst. Dies war jedoch unverzichtbar, da vor allem bei langfristigen Vertraegen Modalitaeten gefunden werden muessen, die einem guten Verhaeltnis der Partner dienen. Ich denke hierbei insbesondere an die Notwendigkeit, Leistungen der Art und auch dem Volumen nach zu veraendern. In diesem Zusammenhang sei noch erwaehnt, dass auch Ausstiegsklauseln und Prozedur bei Vertragsende zumindest im Grundsatz vom einstigen beziehungsweise kuenftigen DV-Management beschrieben wurden.

Die von der FAG ausgegliederte Informationsverarbeitung fuehrt vorerst ohne wesentliche Veraenderungen weiter. Das Beginndatum war der 1. Juli 1993. Im Rahmen von bereits begonnenen sowie von neuen Projekten werden allerdings Aenderungen bei der Informationsverarbeitung vorgenommen. Die Leistungsbeschreibung beruht auf den von der FAG verabschiedeten strategischen Rahmenbedingungen:

- Konsolidierung der Systemplattformen auf die Systemplattform IBM fuer die kommerziellen und auf DEC fuer die technischen Anwendungen,

- Einsatz von Standardsoftware SAP R/2 auf der Basis SAP 5.0 fuer alle kommerziellen Anwendungen,

- Nutzung der SAP-Software in ihrer Standardversion, das heisst ohne Modifikationen, sowie

- weitere Nutzung der heute im technischen Bereich eingesetzten Systeme (Unigraphics, Engin, Exapt).

Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Leistungsbeschreibung ist ein Hinweis, dass bei Aenderung der strategischen Rahmenbedingungen von FAG SAP R/2 teilweise oder ganz durch SAP R/3 ersetzt werden soll. Diese Umstellung fuehrt die IBB durch, sobald ein entsprechender Aenderungsantrag (der insbesondere auf den Preis abgestellt ist) erarbeitet und verabschiedet worden ist.

Was wurde in die IBB uebernommen?

- Die gesamte Hard- und Software (Anwendungs- und Systemsoftware) sowohl im zentralen als auch im dezentralen Bereich einschliesslich aller Endbenutzergeraete.

- Alle bisher von der Datenverarbeitung der FAG betreuten Anwendungen werden weiter betreut.

Was IBB alles von FAG uebernommen hat

Innerhalb relativ kurzer Zeit, das heisst bis Ende 1993, hat die IBB die neue Unternehmensstruktur der FAG in allen betroffenen Anwendungssystemen DV-technisch abgebildet. In einer zweiten Phase erfolgt die Umstellung aller kommerziellen Anwendungen auf SAP 5.0 bis spaetestens Ende 1995. Hier seien die Stichworte "native" und "ohne Modifikationen" genannt. In diesem Zusammenhang gibt es eine Anweisung des Vorstands der FAG, dass beim Einsatz der Standardsoftware im kommerziellen Bereich nur unmodifizierte Software zum Einsatz kommen darf. Eine klare Aussage ist auch, dass - wenn irgend moeglich - bestehende Geschaeftsprozesse geaendert werden, bevor Softwaremodifikationen erfolgen. Der vorgesehene Gesamtaufwand fuer die entsprechenden Vorhaben liegt bei einer Groessenordnung von 100 Personenjahren.

Die Abnahme der Projekte erfolgt mittels zu erstellender Testplaene. Diese beinhalten die Abnahmekriterien, den Abnahmezeitraum und die jeweilige Aufgabenteilung zwischen FAG und IBB im Rahmen des Abnahmeverfahrens. Die Abnahmebereitschaft seitens der IBB muss jeweils rechtzeitig der FAG angezeigt und bei der Abnahme ein entsprechendes Protokoll abgezeichnet werden. Erkannte Fehler sind zu dokumentieren und unverzueglich zu beseitigen, danach erfolgt eine erneute Abnahmeprozedur.

Im Hinblick auf das Rechenzentrum sind die Aufgaben beziehungsweise Verpflichtungen fuer den zentralen Betrieb (Online- , Batch-Betrieb, Druckausgabe und Wartungsfenster) und den dezentralen Betrieb geregelt.

Betriebsstandards und Leistungsstufen sind einvernehmlich im Betriebshandbuch festgelegt. Dies gilt insbesondere fuer:

- die Beschreibung der Systeme (Hardware, Software, Netz) sowie den RZ-Betrieb (Betriebszeiten, Verfuegbarkeiten, Antwortzeiten, Druckbetrieb, Arbeitsvor- und -nachbereitung, Datensicherung, Wiederanlaufverfahren),

- Betriebs-Management-Disziplinen (SNCC, Problem-, Change, Konfigurations-, Performance-, Kapazitaets- und Netz-Management),

- Berichtswesen (Verfuegbarkeiten, was Antwortzeiten, offene Probleme, Changes und Personalressourcen),

- die Systempflege (Hardware- und Softwarewartung, Betriebssoftware- und Anwendungssoftwarepflege, Sonderaktionen und Infrastrukturmassnahmen),

- die DV-Service-Center-Leistungen

- die Thematik Datenschutz und -sicherheit sowie

- das Backup und die Vorsorgemassnahmen.

Wichtig fuer die FAG, aber auch fuer die IBB war die Festlegung der Anwendungsunterstuetzung fuer existierende und neu zu entwickelnde Software inklusive der Schnittstellen-Programme. In diesem Punkt wurde vor allem Wert darauf gelegt, festzulegen, welche Leistungen die IBB erbringt, ohne dass neben der ausgehandelten Monats- beziehungsweise Jahresbetriebsgebuehr weitere Kosten fuer die FAG anfallen. Ausgehend davon, dass im FAG Konzern ab 1996 im wesentlichen nur noch Standardsoftware (weitestgehend unmodifiziert) zum Einsatz kommt, wurden im Vertrag die Volumina fuer die Wartung und Pflege der Anwendungen dramatisch reduziert.

Hierin liegt einer der wesentlichen Gruende fuer die starke Absenkung der DV-Kosten.

Hierbei ist insbesondere hervorzuheben, dass beide Partner einen Projektbevollmaechtigten als Ansprechpartner fuer die IBB benennen muessen.

Bei der FAG gehoeren zu seinen Aufgaben:

- die Mitwirkung bei der Erstellung und Aenderung des Betriebshandbuchs,

- die Pruefung und Erteilung von Zugriffsberechtigungen sowie

- das Sicherstellen der Richtigkeit und Aktualitaet der gespeicherten Daten.

In diesem Zusammenhang wurden im Vertrag auch die Aufgaben der Anwender in den Fachbereichen im Zusammenhang mit dem Systembetrieb und insbesondere die Aufgaben der Fachbereichsrepraesentanten beschrieben. Hinsichtlich der Anwendungen und Projekte wurde genau definiert, welche Aufgaben die FAG bei der Projektdurchfuehrung beziehungsweise der Aenderung der Geschaeftsprozesse hat. Fuer die Darstellung der Leistungen der IBB war ein Berichtswesen zu installieren, das woechentlich, monatlich oder jaehrlich alle Leistungen im Zusammenhang aufzeigt mit

- den im Betriebshandbuch geregelten Leistungen (Verfuegbarkeit, Performance etc.),

- dem Personaleinsatz in den einzelnen Projekten sowie

- dem erbrachten Personaleinsatz fuer die Wartung und Pflege der Anwendungssoftware.

Der Vertrag konkretisiert auch die Zusammenarbeit FAG/IBB.

Hinsichtlich des Projekt-Managements wurde vereinbart, dass Projektleiter mit klar definierten Vollmachten zu benennen und monatliche Sitzungen zur Sicherstellung der ordnungsgemaessen Projektabwicklung abzuhalten sind. Dazu erfolgt die Konstituierung eines Management-Gremiums, das aus beiden Projektbevollmaechtigten und je einem Vorstandsmitglied der FAG und einem Geschaeftsfuehrer der IBB besteht. Diesem Gremium obliegt die Abstimmung der IT- Strategie, die Entscheidung ueber neue Projekte und Zusatzanforderungen von groesserem Umfang, Vertragsaenderungen und - erweiterungen. Es ist auch die letzte aussergerichtliche Instanz fuer die Klaerung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien.

Am Ende des Vertrages wurde noch einmal ausgefuehrt, dass die IBB der IT-Lieferant fuer FAG ist. Dies soll heissen, dass die FAG saemtliche IT-Leistungen ausschliesslich von IBB bezieht - vorausgesetzt allerdings, die IBB-Angebote orientieren sich an den allgemeinen Marktpreisen.

In den Anlagen wurden detailliert angegeben:

- die Entwicklung der Jahresbetriebsgebuehren,

- die Systemkapazitaet im zentralen, dezentralen, Netz- und Endbenutzerbereich,

- die Regelungen bei eventuellem Mehrverbrauch an Leistungen, die nicht mit den Jahresbetriebsgebuehren abgegolten sind,

- die zu uebernehmenden Mitarbeiter,

- die Uebernahmegeraete,

- die offenen Bestellungen,

- die gemieteten und geleasten Anlagen,

- die von der IBB zu uebernehmenden Drittvertraege,

- die von der FAG betriebenen LANs und WANs,

- die wesentlichen Anwendungssoftware-Komponenten im kommerziellen und technischen Bereich sowie

- alle vom Vertrag betroffenen Projekte.

Im Zuge des Outsourcing-Projekts kam es bei der FAG zu folgenden Aenderungen:

- Eingerichtet wurde eine zentrale DV-Koordinationsstelle, die direkt dem Vorstandsvorsitzenden unterstellt ist. Sie soll weltweit die DV-Angelegenheiten der FAG koordinieren.

- Die Grundlast und die Projektvolumina sind definiert, wobei ab 1995 das Projektvolumen neu bestimmt werden muss. Verschiebungen sind nach Abstimmung zwischen FAG und IBB grundsaetzlich moeglich.

- Bei Anforderungen aus dem Bereich der Grundlast gibt es eine direkte Beziehung zwischen den Abteilungen beziehungsweise den Gesellschaften der FAG und der IBB. Nur in Stoerfaellen, aber auch bei Einzelanforderungen, die mehr als 25 Projekttage betreffen, ist die oben genannte DV-Koordinationsstelle einzuschalten.

- Ueber die Verwendung von Projektkapazitaet wird jaehrlich entschieden. Sollte der Bedarf hoeher sein als die definierte Projektkapazitaet, muss FAG entscheiden, ob weitere Kapazitaet von der IBB zugekauft wird oder eine Verschiebung des betreffenden Vorhabens erfolgt.

- Projekte und Anforderungen der Fachabteilungen beziehungsweise der FAG-Gesellschaften muessen grundsaetzlich von der zentralen DV- Koordinationsstelle genehmigt werden.

FAG Kugelfischer Georg Schaefer AG

Das Jahr 1883 markiert den Beginn der Waelzlagerindustrie sowie die Entstehung von FAG. Auf den Gruender Friedrich Fischer geht auch das Warenzeichen FAG zurueck, das "Fischers Actiengesellschaft" bedeutet. 1909 erwarb der Schlossermeister Georg Schaefer die Firma Fischer und verband sie mit seinem eigenen Unternehmen. Die folgenden Jahrzehnte waren gekennzeichnet durch Aufschwuenge und Rueckschlaege, durch Weltwirtschaftskrisen und konjunkturelle Hochphasen.

1993 wurde FAG von einer Kommanditgesellschaft auf Aktien in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Identitaet der Gesellschaft aenderte sich dadurch nicht. Zu Beginn desselben Jahres wurde ein umfassendes Restrukturierungskonzept erarbeitet.

Wesentlicher Inhalt dieser Strategie ist "Fokussierung statt Diversifizierung", ist die Konzentration auf die strategisch bedeutsamen Aktivitaeten der Kerngeschaefte Waelzlager sowie Naeh- und Foerdertechnik.