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Fälscht Lernout & Hauspie seine Bilanzen?

08.08.2000
Unstimmigkeiten beim Südkorea-Geschäft

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Ohne Zweifel gehört die auf Spracherkennung und -synthese spezialisierte belgische Softwareschmiede Lernout & Hauspie (L&H) zu den renommiertesten Hightech-Unternehmen Europas. Nun aber steht die Company im Verdacht, ihre Bilanzen durch vorgetäuschte Umsätze in Südkorea manipuliert zu haben.

Nach der Veröffentlichung der jüngsten Quartalsbilanz hatte Computerwoche.de erstmals über die Ungereimtheiten berichtet. Das "Wall Street Journal" hat die Angelegenheit noch einmal gründlich aufgerollt und weiteres belastendes Material ausgegraben.

Zunächst die Fakten: Lernout & Hauspie weist gegenwärtig eine Marktkapitalisierung von 5,25 Milliarden Dollar auf. Seit Beginn des Jahres ist der Kurs des Unternehmens um 60 Prozent gestiegen; die Aktie notiert derzeit um die 37 Dollar. Vor einem Jahr erwirtschaftete L&H in Südkorea, wo die Belgier Softwarelizenzen und sprachgesteuertes TK-Equipment anbieten, so gut wie keine Umsätze. Im vierten Quartal 1999 brachte dann plötzlich das Südkorea-Geschäft 42 Prozent der Einnahmen ein. Im folgenden Dreimonatszeitraum stieg der Umsatzanteil in dem asiatischen Land gar auf über 50 Prozent, während das Geschäft im Rest der Welt nachgab.

Gaston Bastiaens, Chief Executive Officer (CEO) von L&H, begründete den sprunghaften Anstieg mit der Übernahme der südkoreanischen Hightech-Company Bumil Information & Communication Co. Die erzielte zwar nur rund drei Millionen Umsatz pro Quartal, soll aber die Tür zu vielen anderen Firmen geöffnet haben, die anschließend wichtige Kunden geworden seien. L&H habe von seinem frühen Markteinstieg und mangelnder Konkurrenz profitiert.

Zu viele Ungereimtheiten

Die Wirklichkeit sieht offenbar anders aus: Eine Reihe von Firmen, die L&H als koreanische Kunden genannt hat, machen nach eigenen Aussagen überhaupt kein Geschäft mit den Belgiern. Andere erklären, sie hätten weit weniger gekauft oder bezahlt als von Lernout & Hauspie gemeldet. Das Unternehmen mit doppeltem Firmensitz in Ieper (Belgien) und Boston hat zwar mittlerweile anfängliche Falschangaben eingeräumt, pocht jedoch weiterhin darauf, dass die behaupteten koreanischen Umsätze korrekt seien.

Im vergangenen Mai hatte L&H-Chef Bastiaens erstmals rund ein Dutzend koreanische Firmen als Kunden genannt. Später ergänzte er seine Angaben nach und nach um konkrete Umsatzangaben und weitere Kundennamen. Das "Wall Street Journal" hat nun 18 der 30 genannten Unternehmen direkt kontaktiert und befragt. Drei davon gaben an, sie seien überhaupt keine Kunden von L&H. Drei weitere Unternehmen erklärten, ihre Umsätze in den vergangenen drei Quartalen seien geringer als von Bastiaens oder seinem koreanischen Statthalter Sam Cho (Vice President L&H Korea) behauptet. Ein weiteres Unternehmen teilte mit, es betreibe gemeinsam mit den Belgiern ein Joint Venture, das allerdings deutlich weniger umsetze als von L&H ausgewiesen.

Von den übrigen Befragten wollten drei Volumen und Zeitpunkt ihrer Käufe nicht offen legen. Sprecher von sechs weiteren Unternehmen bestätigten Deals mit einem Umfang zwischen 450 000 und 5,5 Millionen Dollar innerhalb des Zeitraums seit der Bumil-Akquisition. Eine Company schließlich, Artlab Co., bestätigte einen Zehn-Millionen-Dollar-Abschluss vom Mai dieses Jahres. Diese Angabe deckte sich mit den von L&H genannten Zahlen.

Die gesamten Umsätze von L&H mit den 13 auskunftsfreudigen koreanischen Firmen summieren sich seit dem Bumil-Kauf auf rund 32 Millionen Dollar. Lernout & Hauspie beziffert seine gesamten Einnahmen in Korea aus 1999 sowie dem ersten Quartal dieses Jahres jedoch auf 121,8 Millionen Dollar. Außerdem sollen die Einnahmen im zweiten Quartal dieses Jahres die aus den ersten drei Monaten (58,9 Millionen Dollar) nochmals übertreffen.

Pikante Einzelfälle

Einer der Referenzkunden von L&H ist die Korean Securities Computer Corp. (kurz Koscom), ein unter staatlicher Aufsicht stehendes Clearing House für den Aktienhandel. Nach Angaben von CEO Bastiaens war Koscom seit Ende Juni 1999 gut für "fünf bis zehn Millionen Dollar Umsatz". Ein Koscom-Offizieller schätzte die Einnahmen von Bumil/L&H indes auf 1,5 Millionen Dollar. L&H widersprach, mit dieser Zahl konfrontiert, seinem eigenen Chef (!) und bezifferte den Koscom-Umsatz auf "ein bis fünf Millionen Dollar".

In einer Presseerklärung vom 28. Dezember letzten Jahres kündigten die Belgier an, Samsung Securities habe (gemeinsam mit 14 anderen Unternehmen) L&H beauftragt, Client-Server-Lösungen für den Online-Handel und automatisierte Dialogsysteme zu entwickeln. Zwei Samsung-Leute, darunter Konzernsprecher Shin Dong Wo, erklärten, man habe nie etwas von Lernout & Hauspie gekauft (obwohl man dies diskutiert habe). Darauf hingewiesen, bezeichnete Bastiaens Samsung als "indirekten Kunden". Einige Samsung-Kunden nutzten das Koscom-System, und L&H erhalte einen Teil der Transaktionsgebühren, die Samsung dafür entrichte.

Auch LG Electronics gehört angeblich zu L&Hs Kunden in Südkorea. Yu Won Uk, ein von den Belgiern als Kontaktperson genannter Entwickler des Unternehmens, teilte auf Anfrage mit, seine Unternehmen habe zu keinem Zeitpunkt Produkte oder Lizenzen von Lernout und Hauspie bezogen. Man habe lediglich kurz an einem gemeinsamen Projekt gearbeitet, bei der es um die Integration von Sprachtechnik in Fernseher ging. Die Arbeiten seien rasch als aussichtslos eingestellt worden, so LG. L&H habe man lediglich einen geringen Betrag für die angefallenen Arbeitsstunden überwiesen. L&H-Sprecher widersprachen Yus Darstellung. LG habe für die entsprechende Softwarelizenz gezahlt, und das Projekt laufe weiter, heißt es.

Mit der Hung Chang Co., einem TK-Ausrüster, will L&H ebenfalls gut im Geschäft sein. CEO Bastiaens hatte den Umsatz mit diesem Partner in den vergangenen drei Quartalen auf "fünf bis zehn Millionen Dollar" angesetzt. Der als Kontakt genannte Firmensprecher Kim Ho Kyun bestätigte die Größenordnung von fünf Millionen Dollar. Diesen Betrag habe allerdings nicht Hung Chang gezahlt, sondern ein Joint Venture mit L&H namens Spia. Sein Unternehmen verwende gar keine Produkte von Lernout & Hauspie, so Kim weiter.

Ein anderer, unabhängig kontaktierte Hung-Chang-Mitarbeiter, Choi Sang Hyun, erklärte in diesem Zusammenhang, Spia Co. sei am 2. Mai mit Hung Chang als größtem Eigner gegründet worden. Seit dem 28. Juni halte allerdings L&H Korea mit 27,49 den größten Anteil. Spia stelle Produkte auf Basis von L&Hs Technik her, und Hung Chang sei nur passiver Aktionär. Bastiaens erklärte anfänglich, er wisse nichts über ein Joint Venture mit Hung Chang. "Gaston war wohl nicht ganz im Bilde, dass wir das Gemeinschaftsunternehmen gegründet hatten", wirft sich Allan Forsey, Senior Vice President Finance, vor seinen Chef. L&H behauptet weiter steif und fest, man sei von Hung Chang für Produkte bezahlt worden. In einer erneuten Befragung zog Kim später seine Darstellung zurück und erklärte: "Ich habe über alles gelogen." Ein dritter Hung-Chang-Mann bestätigte wiederum die Angaben von L&H.

Bastiaens führte mit Hyundai Securities sowie der Hanvit Bank zwei weitere Kunden an, mit denen sein Unternehmen je "fünf bis zehn Millionen Dollar" umgesetzt habe. Zwei Hyundai-Leute (darunter der von L&H genannte Ansprechpartner) erklärten, ihre Käufe summierten sich lediglich auf rund eine Million Dollar. Lee Jae Bong, Netzwerkverantwortlicher der Hanvit Bank, bezifferte das Volumen des einzigen je mit L&H unterzeichneten Vertrags auf 130 000 Dollar. Lernout & Hauspie erklärte dazu, Bastiaens hätten möglicherweise falsche Informationen vorgelegen.