Fachwissen allein reicht für die IT-Karriere nicht

24.02.2011
Generalist oder Spezialist? Das war oft eine Frage, die sich IT-Kräfte bei der Planung ihrer Laufbahn stellten. Zunehmend gewinnt ein Mitarbeitertyp an Bedeutung, der die Stärken des Generalisten und Spezialisten in sich vereint.

Personaler klagen oft: "Wenn Informatikabsolventen bei uns anfangen, sind sie zwar fachlich fit. Von unserer Branche und den Abläufen in den Unternehmen haben sie aber keine Ahnung." Und dann fügen sie nach einer Pause hinzu: "Für die reine Netzwerkadministration brauchen wir aber keine Akademiker. Ein gelernter Fachinformatiker liefert uns da dieselben Ergebnisse und kostet weniger."

Die Unternehmen beklagen, dass Hochschulabsolventen oft ein bestimmtes Qualifikationsprofil haben: Sie sind entweder absolute Spezialisten, die von Programmiersprachen wie Java oder Spezialthemen wie Mikro-Controllern ein sehr fundiertes Wissen haben. Oder sie sind Generalisten, die von allen möglichen IT-relevanten Themen ein bisschen etwas wissen, aber in keinem Themengebiet "Cracks" sind.

Dass viele ITler ein solches Qualifikationsprofil haben, ist an sich nicht schlimm. Denn die Unternehmen benötigen auch künftig Generalisten und Spezialisten - aber nicht mehr so viele. Die IT hat nicht nur in den Firmen stets eine die Fachabteilungen unterstützende Funktion. Wenn Unternehmen ein neues IT-System einführen, verfolgen sie damit immer ein Ziel - beispielsweise, dass die Kunden besser und kostengünstiger betreut werden. Entsprechendes gilt, wenn Unternehmen in die von ihnen produzierten Maschinen mehr Software integrieren. Auch dahinter steckt ein Ziel, etwa, dass deren Käufer damit schneller oder fehlerfreier arbeiten können.

Deshalb benötigen die Unternehmen zunehmend so genannte T-Shaped Professionals. So werden Mitarbeiter genannt, die die Vorzüge eines Spezialisten und Generalisten in sich vereinen, weil sie in einem Gebiet sehr solide Fachkenntnisse haben, aber auch das Breitenwissen, um ihr Fach- Know-how im Betriebsalltag und Kundenkontakt effektiv einzusetzen. Dass künftig mehr (IT-)Mitarbeiter mit einem solchen Profil benötigt werden, erkannten Bildungsverantwortliche schon vor 20 Jahren. Damals tauchte der Begriff "T-Shaped" erstmals in der Fachliteratur auf. Und IBM legte bereits Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts seiner Mitarbeiterentwicklung das Modell einer "T-Shaped Career" zugrunde.

Unis reagieren auf Praxiswünsche

Ein T-Shaped Professional benötigt eine Aus- und Weiterbildung, die in die Breite und in die Tiefe geht. Welche Fächer hierbei die Breite darstellen und welche in die Tiefe gehend vermittelt werden sollten, hängt von der Schwerpunktsetzung des Einzelnen ab. Hierfür ein Beispiel: Ein Unternehmen sucht einen Experten für Workflow-Management: Der ideale Bewerber braucht also Tiefenwissen darüber, wie man mit der IT Arbeitsprozesse so gestalten kann, dass sie schneller, kundenorientierter oder fehlerresistenter sind. Zudem sollte er ein Verständnis (Breitenwissen) für die Spezifika der jeweiligen Branche und Organisationsstrukturen von Unternehmen haben. Denn erst dieses Breitenwissen ermöglicht es ihm, sein Spezialwissen einzusetzen. Das erhöht auch den Wert seiner Arbeitskraft. Denn das Breitenwissen macht aus Unternehmenssicht sein Kompetenzprofil "rund". Das haben inzwischen auch viele Hochschulen erkannt, weshalb sie neben dem Klassiker Wirtschaftsinformatik zunehmend auch Hybrid-Studiengänge wie Versicherungs-Informatik oder Mechatronik anbieten.

Darin spiegelt sich die Erkenntnis wider: Den ITler gibt es heute nicht mehr. Denn die IT-Welt hat sich so ausdifferenziert, dass sie eine Art Paralleluniversum zum Rest der Welt darstellt. Entsprechend vielfältig sind die Berufsbilder im IT-Bereich, und entsprechend unterschiedlich sind die an IT-Profis gestellten Anforderungen. Allen IT-Profilen ist jedoch gemeinsam: Eine Spezia- lisierung ohne flankierende Interdisziplinarität schafft weder Befriedigung, noch lässt sich auf ihr eine berufliche Perspektive aufbauen. Hierfür kommen die Technologiesprünge im IT-Bereich zu schnell.Doch wie wird man T-Shaped Professional? Folgende Fragen sind wichtig:

e Was ist die Säule meines "T", also in welcher IT-Disziplin bin ich Experte?

r Welchen Querbalken, also welches interdisziplinäre Wissen und Können, benötige ich, um diese Fachkompetenz noch wirkungsvoller einzusetzen?

Interdisziplinär lernen

Notieren Sie die Antworten auf einem Blatt Papier. Markieren Sie dann von den bei Frage zwei aufgelisteten Kompetenzen die, die bei Ihnen verbesserungsbedürftig sind. Schon haben Sie den ersten Schritt in Richtung T-Shaping getan - zumindest wenn Sie morgen damit anfangen, in den markierten Bereichen Know-how zu erwerben. Wer sich interdisziplinäres Wissen aneignet, sollte berücksichtigen: Es gibt nicht den einen universellen Querbalken für jedes mögliche T. Der passende Querbalken, sprich das passende Breitenwissen, ergibt sich aus dem aktuellen und angestrebten Tätigkeitsfeld. Wählen Sie also aus den vielen Qualifizierungsmöglichkeiten diejenigen aus, die Ihnen den größten Nutzen bieten.

Die Praxis zeigt: Viele IT-Profis messen dem Fach- und Faktenwissen eine sehr hohe Bedeutung bei. Sie unterschätzen, wie wichtig Soft Skills wie Kommunikations- und Teamfähigkeit für ihren beruflichen Erfolg sind. Auch die Bedeutung des Wissens über Geschäftsprozesse und Organisationsstrukturen wird oft unterschätzt; ebenso die Bedeutung eines fundierten Projekt-Management-Know-hows. Und noch ein Aspekt fällt "hinten runter": die Branchenkenntnis und Felderfahrung. Dabei erwächst hieraus erst das Gespür dafür, was in bestimmten Anwendungsgebieten gebraucht wird und was nicht. (am)

Professor Dr. Elisabeth Heinemann hat am Fachbereich Informatik der Fachhochschule Worms einen Lehrstuhl für Schlüsselqualifikationen inne. Die Wirtschaftsinformatikerin hat den Karriereratgeber "Jenseits der Programmierung: Mit T-Shaping erfolgreich in die IT-Karriere starten" geschrieben.