Führungskräfte der Wirtschaft:

Fachliche Schlagseite

21.08.1981

Faßt man das gewonnene Bild zusammen, um aus den zwar noch wenig ausgeprägten, aber in der Entwicklungstendenz erkennbaren Problemen ein Frühwarnsystem für die 80er Jahre zu entwickeln, dann läßt sich aus der Einkommensnivellierung, den strengeren Aufstiegsbedingungen, der kritisch gesehenen Nachwuchslage, aber auch aus der abgestuften Zufriedenheit und dem Forderungskatalog der Führungskräfte ein komplexer Problemzusammenhang erkennen. Wer die Dinge sich weiterentwickeln läßt, ohne Gefahren rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zur Harmonisierung der Entwicklung zu ergreifen, wird in den 80er Jahren vor Problemen stehen, die dann schwieriger zu lösen sein werden, als sie heute - gleichsam im Vorfeld ihrer Explosivität - bearbeitet werden können.

Zu diesen Folgerungen kommen Professor Witte, Vorstand des Instituts für Organisation der Universität München und seine beiden Assistenten, Dr. Kallmann und Dr. Sachs in ihrem Forschungsbericht "Führungskräfte der Wirtschaft" (Poeschel-Verlag, Stuttgart).

In einer bundesweit durchgeführten empirischen Befragung hatten die Verfasser Gegenwartsprobleme, Selbstverständnis, Entwicklungstendenzen und Zukunftserwartungen von 2490 Managern untersucht, einer Gruppe, die bei der zukünftigen Entwicklung der Wirtschaft eine ausschlaggebende Rolle spielen wird. Von ihrem Engagement, ihrem Einfallsvermögen, ihren Fähigkeiten und Kenntnissen, von ihrem Verhalten insgesamt wird es entscheidend abhängen, ob und wie die immer wieder beschworenen Probleme, die weit über die 80er Jahre hinausgehen, gelöst werden können. Die Zukunft, und das lassen gerade die vergangenen letzten Jahre deutlich erkennen, wird von tiefgreifenden Veränderungen auf allen Gebieten gekennzeichnet sein. An die Innovationsbereitschaft und die Kreativität gerade der Führungskräfte werden besondere Anforderungen gestellt werden.

Die Anforderungen an die Führungskräfte werden in Zukunft weiter steigen. Die befragten Führungskräfte erwarten insbesonders höhere Anforderungen auf dem Gebiet des Führungsverhaltens. "Die Fähigkeit, Menschen zu führen", nimmt von allen genannten 21 Merkmalen mit Abstand die erste Rangstelle ein. Fachkenntnisse finden sich nach den "Verhaltensanforderungen", den "intellektuellen Fähigkeiten", dem "Engagement im Unternehmen", den "persönlichen Merkmalen" am Ende des Anforderungsprofils für Führungspositionen in den nächsten zehn Jahren.

Nach dem Urteil der befragten Führungskräfte wird der Führungsnachwuchs, der insgesamt positiv beurteilt wird, dem kaum gerecht. Nach ihrem Urteil zeichnet sich der Führungsnachwuchs in erster Linie durch Fachkenntnis aus, während die "Fähigkeit, Menschen zu führen", erst an drittletzter Stelle genannt wird, gefolgt von der "Identifikation mit den ökonomischen Zielen des Unternehmens" und der "Bereitschaft, berufliche Ziele über private zu stellen", die auf den letzten Positionen zu finden waren.

Gerade hier liegt die besondere Bedeutung dieses Forschungsberichtes als "Frühwarnsystem für die 80er Jahre". Der Führungsnachwuchs geht offensichtlich mit einer "fachlichen Schlagseite" in die Zukunft, er ist im Vergleich zum Führungswissen fachlich "over educated". Hier muß etwas Entscheidendes geschehen, und zwar im Interesse der gesamten Volkswirtschaft, um diese Defizite zu beseitigen.

Einmal müssen hier die Unternehmen auf dem Gebiet der Führungskräfte-Entwicklung noch aktiver werden. Das beginnt bei der Erstellung von Anforderungsprofilen für Führungskräfte, setzt sich in einem entsprechenden gezielten Auswahlverfahren fort, um dann in ein baukastenförmig gestaltetes Förderungs- und Schulungsprogramm des Führungsnachwuchses einzumünden. Der in vielen Bereichen noch geltende Grundsatz, daß eine gute Fachkraft auch eine gute Führungskraft sein müsse, muß gründlich überdacht werden. Der vorliegende Forschungsbericht bietet hierfür wichtige Denkanstöße.

Zum anderen müssen sich aber auch die Bildungseinrichtungen diesem Gebiet in viel stärkerem Maße als bisher widmen. Die Kopflastigkeit des rein Fachlichen muß zum mindesten abgemildert werden. Der junge Ingenieur, Betriebswirt oder Jurist, aber auch der Mediziner, der sich ja auch mit Führungsaufgaben beschäftigen wird, muß schon auf der Universität mit Führungsproblemen vertraut gemacht werden. Der "Nachholbedarf" kann nicht mehr länger allein durch die Praxis gedeckt werden. Auch hier muß sich die Erkenntnis durchsetzen, daß der Erfolg eines Unternehmens und, global gesehen, der gesamten Wirtschaft nicht nur auf einer Säule, nämlich nur der Fachbildung, sondern auf zwei gleichberechtigten Säulen beruht. Zur Fachbildung muß die Persönlichkeitsbildung hinzukommen und durch entsprechende Ausbildung gefördert werden. Sicher kostet das Geld, aber kein zusätzliches Geld. Es müssen nur die Schwerpunkte anders gesetzt, es muß "umverteilt" werden. Der Ausspruch John F. Kennedys "Nichts ist teuerer als Ausbildung, ausgenommen Unwissenheit" gewinnt gerade für den Zentralbereich der Führung besondere Bedeutung.

Ein weiteres Ergebnis des Forschungsberichts sollte innerhalb des "Frühwarnsystems" zum Nachdenken und zum Handeln Anlaß geben: Das Bezieungsgefüge zwischen Unternehmensleistungen und den befragten Führungskräften der zweiten bis sechsten Leitungsebene. Wenn auch der Forschungsbericht zunächst zu der Feststellung gelangt. daß die deutschen Führungskräfte des Jahres 1979 nicht als unzufrieden bezeichnet werden können, sind doch einige deutliche Schwachstellen zu erkennen, die, wenn sie nicht beseitigt oder zum mindesten abgebaut werden, zu spürbaren Einbußen in der Effizienz führen können. Die größte Unzufriedenheit der Führungskräfte zeigte sieh bei den Fragen "Ob sich die Geschäftsleitung für die Belange der Führungskräfte engagiert einsetzt", "Ob die Geschäftsleitung bei den Führungskräften großes Ansehen genießt", und "Ob die Geschäftsleitung die Führungskräfte umfassend informiert".

Bei der "Zufriedenheit mit der Führungssituation" rangierten der "Vorgesetzte" und die "Geschäftsleitung" an letzter Stelle. Beide sind offensichtlich Schwachstellen und innerhalb dieses Führungsbereiche die "Informationspolitik". "Mein Vorgesetzter umfassend" erhielt innerhalb des "Problemkreises" Vorgesetzter die niedrigste Bewertung.

"Wer einen prognostischen Blick in die 80er Jahre werfen will, sollte die Forderungen, die die Führungskräfte für die Zukunft formulieren, nicht unbeachtet lassen" - so die Verfasser des Forschungsberichtes. Wer dies nicht tut, wird die Probleme der Zukunft nicht lösen! Personalmarketing mit den daraus zu ziehenden Folgerungen wird zur Überlebensstrategie der Zukunft.

Dr. Gesine Göschel Dr. Georg Wolff Management-Berater, Bad Vilbel