Entscheider aus Großunternehmen bei Compaq

Fachleute referieren über die Migration zu offenen Systemen

25.10.1991

MÜNCHEN (sc) - Möglichkeiten der Migration von /38- und 8870-Rechnern nach Unix, PC-Vernetzung, Chancen im offenen Markt - diese Themen gewinnen in der von proprietären Systemen beherrschten Großrechner-DV zunehmend an Bedeutung. Dieser Eindruck entstand jedenfalls auf einer Veranstaltung des Computer Competence Center, die sich mit der "Migration zu offenen Systemen" beschäftigte. Etwa 90 DV-Entscheider aus großen Unternehmen - nur solche waren vom Veranstalter Compaq geladen - erschienen zu dem kostenlosen Seminartag.

Offene Systeme bringen für den Anwender Risiken mit sich - Peter R. Küchler, Business Development Manager bei der Cap Gemini SCS Dienstleistungen GmbH, spricht dabei unter anderem von der Verantwortung der "Freiheit", die in der proprietären Welt so nicht bestand. Außerdem sei die Lebensdauer der Standards ungewiß. Dagegen rechnete der DV-Stratege die Vorteile auf: Zukunftssicherheit, Investitionsschutz, Portabilität, Migration, Kommunikation, Effektivität, Reduktion der IV-Eintrittsschwelle sowie Kostenminimierung und eine schnelle Nutzenrealisierung.

Der Anteil an offenen PC-Systemen wird bis zum Jahr 2000 sprunghaft ansteigen, schätzt der Berater. Für den SCS-Mann ist das nicht verwunderlich; rapide fallende Hardwarepreise und ein Leistungssprung bei den Taktraten - Küchler spricht von bis zu 250 Megahertz - tragen hierzu bei. Die Software-Architekturen, die vormals monolithisch waren und jetzt modularisiert aus proprietären und offenen Komponenten bestehen, wandeln sich nach seiner Ansicht zu objektorientierten, mit standardisierten Schnittstellen ausgestatteten offenen Bauteilen.

Das Novell-Netzbetriebssystem Netware biete mittlerweile Schnittstellen, um externe Weiten zu integrieren, und sei auch konform zu Posix-, OSI- und IEEE-Standards, berichtete Peter Meinel, der Novell-Großkunden betreut. Zwischen diesen beiden Vorträgen nutzte auch der Produkt-Marketing-Leiter von Compaq, Bernd Krautscheid, die Gunst der Stunde, um den PC-Server Systempro vorzustellen.

Über zwei Jahre Praxiserfahrung mit vernetzten PC-Systemen in bezug auf die Wirtschaftlichkeit und die Perspektiven informierte Joachim Badde, DV-Abteilungsleiter der Münsteraner Westfleisch eG, die an Open Systems interessierten Großanwender.

Bei dem Fleischgroßhändler (1,65 Milliarden Mark Umsatz, 1500 Mitarbeiter, vier Schlacht- und Zerlegebetriebe) wurden MDT-Anlagen durch ein PC-Netz ersetzt. Compaq 486er Server, PCs und zwölf Unix-Clients hängen jetzt am BS2000-Host.

Die laufenden DV-Kosten haben sich seither um 50 Prozent verringert, erzählte der Westfale. Verglichen mit dem Kaufpreis für eine neue MDT-Anlage - die Kapazität der Siemens-Prozeßrechner R30 war ausgelastet - liegen die Anschaffungskosten für ein PC-basiertes LAN deutlich niedriger. Außerdem könne man heute die Wartung hausintern durchführen, obwohl die DV-Mannschaft mit neun Mann gleich groß sei wie zuvor. Hinzu kommen die niedrigeren Kosten für die Systemsoftware.

Ferner habe die neue Konfiguration für geringere Ausfallzeiten gesorgt, da sich die Reaktionszeiten durch die Möglichkeit, im Netz umschalten zu können, verringerten. Austauschrechner und eine doppelte Datenhaltung ließen sich jetzt, so der DV-Mann, ebenfalls wirtschaftlich realisieren. Für die Zukunft plant man bei Westfleisch, auch die BS2000-Hosts in den Betrieben auszurangieren und dafür Datenbankserver ins Netz zu integrieren.

Trotz aller Euphorie, mit der Ablösung der MDT-Rechner die richtige Entscheidung getroffen zu haben, sprach Badde auch die Probleme an, die in den zwei Jahren aufgetreten sind. So sei es schwierig gewesen, Schnittstellenkarten zu finden, die sich für die hohen Durchsatzraten eigneten. Außerdem lief die Koordinierung von Lieferanten nicht immer reibungslos.

Auch die weiteren Vorträge widmeten sich der Migration aus proprietären Midrange-Welten zu offenen Unix-Systemen. Für die Umstellungsprobleme von /3x-Anwendern bot Heinz Bernd Ohmen, Geschäftsführer der Aeni Software GmbH, Köln, eine Lösung an. Mit etwa 250 000 /3x-Installationen weltweit sei dies der größte und erfolgversprechendste Markt. Diese Benutzergruppe tendiere dazu, einen langsamen Übergang von der /3x- in die Unix-Welt zu realisieren, so Ohmen. Zuerst würden Hardware, Betriebssystem und Programmiersprache gewechselt, während man die zwar technologisch veraltete, aber gewohnte und erprobte Anwendungssoftware beibehalte. Dabei entwickle der größere Teil der Softwarehäuser mittlerweile für die Unix-Welt und nicht mehr für proprietäre Umgebungen, sagte der Kölner.

Mit der Migrationssoftware "Simkit" sei es möglich, RPGII-Programme in den Microfocus-Cobol/2-Sourcecode ANSI 85 unter Unix umzuwandeln. Damit könne der DV-Fachmann die wirklichen Vorteile von Unix nutzen, versprach Ohmen und wies darauf hin, daß bisher etwa 20 Kunden den Umstieg mit Simkit realisiert hätten - darunter die größte italienische Versicherung. Simkit habe man in C entwickelt. Damit bestehe die Möglichkeit, die Software auf allen Unix-Plattformen einzusetzen. Ein für Intel-386-Prozessoren erzeugter Code ließe sich zum Beispiel ohne Probleme auf eine Motorola-680xx-Plattform oder auf Rechner mit RISC-Prozessoren, etwa die RS/6000, portieren.

Die Umsetzung übernimmt laut Ohmen das Portierungscenter. Dazu werde der auf Bändern gespeicherte Sourcecode sowie Daten, Masken und Listen benötigt. Die Konvertierung dauert dann etwa einen Tag pro 10 000 Statements. Zusätzlich komme für die Anpassung etwa fünf Prozent der Umsetzungszeit hinzu. Bei reinen Emulationen bleibe dagegen der Quellcode aus der /3x-Welt bestehen, die Anwendungen würden mir auf Unix reproduziert, verglich Ohmen. Bei Änderungen, Ergänzungen und Anpassungen müsse man, wenn eine Emulation verwendet werde, immer den Umweg über die RPG-Sourcecodes nehmen. Verglichen dazu biete Simkit Vorteile, wie eine etwa fünfmal schnellere Performance sowie die Möglichkeit, CASE-Werkzeuge zu benutzen.

Langsamer oder übergangsloser Umstieg

Den langsamen Umstieg vom proprietären zum Unix-System hält Ohmen jedoch nicht immer für die beste Lösung. Im Nixdorf-8870-Markt, wo keine Migrationslösungen vorhanden sind, sei es sinnvoller, übergangslos die proprietären Systeme und Lösungen durch neue Unix-Hardware, ein Unix-Betriebssystem und Unix-Applikationen abzulösen, meinte der Aeni-Chef.

Hans-Jörg Lang, Produkt-Manager Unix bei der Citycomp Computer-Systemlösungen, konnte dieser Aussage wohl kaum zustimmen. Er offerierte für diesen Anwenderkreis einen Migrationsweg, bei dem sich die bestehenden Anwendungen zum großen Teil - ohne Modifikationen - in die Unix-Welt übernehmen lassen. Nur bei einigen wenigen maschinenabhängigen Programmen wären geringe Änderungen erforderlich, erwähnte Lang.

"Unimos", so die Bezeichnung des in C geschriebenen Produkts, bildet die Niros/8870-Basic-Umgebung auf Unix-Systemen ab. Dabei werden fast alle Sprachelemente sowie alle Daten- und Dateistrukturen des Niros-Basic unterstützt. Dem Anwender bleibt trotz des Systemwechsels eine vertraute Arbeitsumgebung erhalten, meinte der Marketing-Mann, wobei jedoch Unix- und Niros-Dateien auch, im Multiuser-Betrieb zusammenarbeiten könnten. Vom Zeitaufwand her, schloß Lang, sei die Umstellung in einem Tag erledigt.