Personalauswahl in industrieller Forschung und Entwicklung:

F&E-Experten nicht über einen Kamm scheren

11.07.1986

Feld-Wald-und-Wiesen-Tests sind für die Taxierung von qualifiziertem Personal im Unternehmenssektor Forschung und Entwicklung in aller Regel nicht aussagefähig genug. Die Universität Hohenheim engagierte sich deshalb bei einem Projekt zur Konstruktion und Erprobung spezieller Auswahlverfahren für diese hochsensible Personalgruppe. Parameter dabei ist nicht zuletzt die Akzeptanz eines solchen Personalauswahlsystems durch die künftigen Kandidaten.

Industrielle Forschung und Entwicklung ist ein bedeutender Wachstumsbereich - auch mit Blick auf den Personalbestand. Für mehr als 250 000 Mitarbeiter wurden 1985 von der deutschen Wirtschaft etwa 20 Milliarden Mark als Personalkosten für Forschung und Entwicklung aufgewandt, und die Tendenz ist weiter steigend. Große individuelle Unterschiede im Fähigkeits- und Leistungsprofil machen die angemessene Personalauswahl zu einem wesentlichen Faktor der Leistungsfähigkeit von Unternehmen. Für das Personal-Management stellt sich deshalb die Aufgabe, die qualifiziertesten und entwicklungsfähigsten Mitarbeiter einzustellen und zu fördern.

Demgegenüber ist für den Forschungs- und Entwicklungs(F&E)-Bereich ein erhebliches Defizit an wissenschaftlich fundierten, aussagekräftigen und praktikablen Auswahlverfahren festzustellen. Die Anwendung von Ergebnissen und neueren Entwicklungen der psychologischen Eignungsdiagnostik auf den F&E-Bereich kann einen wichtigen Beitrag leisten, Methoden und Praxis des Personal-Managements in diesem Sektor zu verbessern.

Für die betroffenen Bewerber und ausgewählten Mitarbeiter liegt der Nutzen darin, daß durch fähigkeitsentsprechenden Einsatz Über- wie Unterforderungen verringert und adäquate Förderungsmöglichkeiten begünstigt werden.

Wie jede persönliche Leistung sind - entgegen verbreiteter herkömmlicher Meinung - auch wissenschaftIiche Leistungen zum Teil Prognostizierbar. Der Personalverantwortliche versucht dies in der betrieblichen Einstellungspraxis, indem er Bewerbungsunterlagen analysiert, Examenszeugnisse und berufliche Vorerfahrungen berücksichtigt und Vorstellungsgespräche führt. Die Prognosegenauigkeit dieser Methoden, das zeigt eine große Anzahl von Untersuchungsergebnissen, ist indes sehr viel geringer als von den Anwendern angenommen. Vielversprechend ist dagegen die Ergänzung um kontrollierte Methoden der psychologischen Eignungsdiagnostik, so zum Beispiel Tests, biografische Daten, Simulationen und Arbeitsproben, Assessment-Center und verbesserte Interviewverfahren, die für den F&E-Bereich speziell zu entwickeln oder zu adaptieren sind.

Die Erarbeitung solcher verbesserter Methoden ist im Rahmen des Hohenheim-Forschungsvorhabens vorgesehen. Gleichzeitig soll vertiefte Einsicht in die Zusammenarbeit von Tätigkeitsmerkmalen und persönlichen Eignungsmerkmalen gewonnen werden.

Als Vorarbeiten und Zwischenschritte sind bei dieser Entwicklung Instrumente der Anforderungsanalyse und Leistungsbeurteilung im F&E-Bereich zu konzipieren und anzuwenden, um die eignungsdiagnostischen Verfahren auf eine fundierte Basis zu stellen, Zur Zeit gelten weder die relevanten Anforderungen als genau genug bekannt, die F&E-Arbeitsplätze an ihre Inhaber stellen, noch ist die Brauchbarkeit und Bedeutung der verschiedenen objektiven und subjektiven Leistungsindikatoren ausreichend erforscht.

Ziel des Projekts bildet daher die Konstruktion und Erprobung von speziellen Auswahlverfahren für Mitarbeiter im F&E-Bereich. Damit soll ein geprüftes, anwendungsreifes und auch von den Teilnehmern akzeptiertes Personalauswahlsystem für die praktische Anwendung in verschiedenen F&E-Einheiten bereitgestellt werden. ln erster Linie soll damit die Auswahl von Nachwuchs-Wissenschaftlern verbessert werden.

Des weiteren wird die Anwendung zur unternehmensinternen Personalplanting sowie für Beratungsmaßnahmen bei ingenieur- und naturwissenschaftlichen Studienbewerben im Prinzip möglich sein. Dazu ist vorgesehen, das Auswahlsystem im letzten Projektjahr auch in anderen Unternehmen und Branchen zu erproben. Schließlich wird mit nutzentheoretischen Kalkulationen der ökonomische Nutzen ermittelt, der durch den Einsatz des Auswahlverfahrens erzielbar ist.

Darüber hinaus ist die Erarbeitung von Grundlagen für die Konzeption und Evaluation betrieblicher Trainings- und anderer Maßnahmen der Personalentwicklung Ziel der Hohenheim-Studie. Hierfür können den beteiligten Unternehmen die im Laufe des Projekts entwickelten Anforderungsanalyseverfahren für F&E-Arbeitsplätze, Anforderungsaspekte und Leistungskriterien bereitgestellt werden.

Informationen:Lehrstuhl für Psychologie der Universität Hohenheim, Postfach 70 05 62, 7000 Stuttgart 70, Telefon 07 11/45001-2654, 2679, 2819.

Kein Horoskop über Kompetenz

Die Entwicklung eines Personalauswahlsystems für den Bereich Industrieller Forschung und Entwicklung (F&E) nimmt der Lehrstuhl für Psychologie der Universität Hohenheim in Stuttgart in einem vierjährigen Forschungsprojekt in Angriff. Es wird von der Stiftung Volkswagenwerk im Rahmen des neugeschaffenen Schwerpunkts "Management von Forschung und Entwicklung" gefördert. Das Projekt wird in enger Kooperation mit technologieorientierten Unternehmen aus Wirtschaftsbranchen mit hohen F&E-Aufwendungen und Personalzahlen durchgeführt: Elektrotechnik, Chemische Industrie, Maschinenbau und Kraftfahrzeugbau. Projektleitung: Professor Dr. Heinz Schuler; Projektkoordination: Dipl.-Psychologe Uwe Funke; Wissenschaftliche Mitarbeiter und Doktoranden: Dipl.-Psychologe Michael Donat*; Dr. Karin Hummel; Dipl.-Psychologe Klaus Moser*; Dipl.-Psychologe Joachim Ritter; Christoph Strunz.

*Finanziert aus Mitteln der Stiftung Volkswagenwerk