Thema der Woche

Expo 2000: "Wir wollen kein zweites Atlanta erleben"

25.04.1997

Wer sich um den Aufbau des IT-Systems für das Jahrtausendspektakel kümmern soll, steht inzwischen fest: Ein Konsortium unter Federführung der Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI), der Telekom und von Siemens wird für die hardware- und kommunikationstechnischen Voraussetzungen sowie für den Aufbau der gesamten IT-Struktur sorgen. Informix wiederum leistet den Datenbankbeitrag.

65 Millionen Mark läßt sich SNI das Prestigeobjekt Expo 2000 als sogenannter World-Partner mit exklusiven Medienrechten kosten. 50 Millionen Mark Beitrag leistet der Kommunikationsgigant Telekom für das Privileg, seinen Namen in einem Atemzug mit der fünf Monate dauernden Weltausstellung nennen zu dürfen.

Millionen für das Prestige

Zwischen zehn und 15 Millionen Mark wiederum steuert der Produktpartner Informix dem Messetopf bei, um Besuchern aus aller Welt beweisen zu können, daß nach den Worten von Informix-Projektleiterin Erika Mayr "auch Informix große Projekte machen kann und sich nicht wie eine kleine Maus hinter Oracle verstecken muß". Die Deutsche Bahn nennt sich plötzlich "Official Carrier", die Lufthansa fliegt neuerdings als "Official Airline", und selbst die "Gorch Fock" segelt unter Expo-2000-Flagge.

Diese immensen Investitionen verwundern jedoch kaum, betrachtet man den Aufwand, der - fast 150 Jahre nach dem Debüt der Veranstaltung 1851 in London - eigens für die erste Weltausstellung auf deutschem Boden betrieben wird: Rekordverdächtige 128 angemeldete Länder, darunter auch wirtschaftlich schwächere wie Burkina Faso, Lettland oder Uganda, zählt die für die Vorbereitung und den Verlauf des Spektakels verantwortliche Expo 2000 GmbH bis zum heutigen Zeitpunkt. Einige Zusagen vornehmlich ärmerer Staaten mußten allerdings durch rhetorische und finanzielle Überzeugungsarbeit der Bundesregierung erkauft werden.

Ebenso gigantisch wie die erhoffte Zahl der Gäste - die Expo 2000 rechnet mit 300000 Besuchern täglich - muten die beschlossenen Maßnahmen an, die helfen sollen, die "Jahrhundert-Chance des Standorts Deutschland, Impulse zu geben und Arbeitsplätze zu schaffen", zu nutzen: 70 Hektar neue Ausstellungsfläche, Spatenstich für den bereits seit den 80er Jahren geplanten und immer wieder verschobenen Ausbau der Autobahn A2 sowie die umfangreiche Erweiterung des bestehenden Bahnhofs Laatzen am Messegelände. Hinzu kommt der Bau eines neuen Messeschnellwegs, zusätzlicher Hallen sowie einer neuen Siedlung mit 6000 Wohneinheiten. Alles in allem Projekte, die laut Expo 53 000 Menschen - zumindest vorübergehend - einen Job bringen werden. "Ein Großteil dieser Investitionen kommt vom Bund und dem Land Niedersachsen", beziffert Christian Warsch, Bereichsleiter Informationstechnologie der Expo 2000 GmbH. Allein der Bau des Deutschen Pavillons auf dem Messegelände soll Bund, Länder und Wirtschaft suma summarum 280 Millionen Mark kosten.

Doch während die allgemeinen Rahmenbedingungen der gigantischen Aktion zur Jahrtausendwende längst geklärt sind, ist das DV-Konzept für die Ausstellung noch Stückwerk. Dies liegt zum Teil an fehlenden Informationen seitens der teilnehmenden Nationen, die zunächst ihre technologischen Anforderungen kundtun müssen.

"Die technologischen Einzelheiten sind noch in Klärung", räumt Bereichsleiter Warsch ein. In manchen Punkten starre man noch in die berühmte Glaskugel. Zumindest die wichtigsten Technologiepartner für den Aufbau der benötigten DV-Strukturen stehen aber nach monatelangen Diskussionen und Verhandlungen und rund acht Jahre nach dem Zuschlag an Hannover endlich fest. So entschied sich die Expo 2000 mit Hilfe des IT-Beraters Gartner Group für ein Consortium for Information and Telecommunica- tion (CIT), in dem sich SNI, Telekom und Siemens zusammengeschlossen haben. Darüber hinaus konnte der Datenbankbieter Informix gewonnen werden, dessen "Universal Server" als Zentralelement des kompletten IT-Aufbaus fungieren soll.

Diese Player sollen nun "das Ding irgendwann einmal in Gang bringen", hofft Andreas Beier, Informatiker in Diensten des Veranstalters. Bei diesem "Ding" handelt es sich um die Mammutaufgabe, die komplette IT-Struktur für die Ausstellung inklusive Ticketverkauf, PC- und Kioskterminal-basierter Informationssysteme für Besucher und Mitwirkende, Akkreditier- und Einlaßsystemen, Anzeigetafeln und Internet-Zugriffsmöglichkeiten auf die Beine zu stellen - und dies auf Basis einer Datenbank von Informix sowie der Netzstruktur, die die Telekom beisteuern soll. Hinzu kommen die Hardwarekomponenten sowie die Programmierung von Datenbank-Schnittstellen für die Rechnersysteme.

IBM bereits auf dem Abstellgleis?

Die zweifelsohne höchsten Anforderungen muß der "CIT-Generalbevollmächtigte" SNI erfüllen, der dem Bereichsleiter Warsch Brief und Siegel dafür geben soll, daß "wir kein zweites Atlanta erleben". Nach offizieller Lesart hat nicht der bekannte Flop der IBM bei den Olympischen Spielen im US-Bundesstaat Georgia die Expo 2000 grundsätzlich dazu bewogen, Big Blue die kalte Schulter zu zeigen und statt dessen den Großauftrag "Informationstechnologie und Kommunikation" an das eigens für die Expo 2000 zusammengestellte Konsortium zu vergeben. Vielmehr habe der Aspekt eine Rolle gespielt, daß sich das Konsortium aus großen deutschen Unternehmen zusammensetzt. Warsch prägnant: "Die IBM wird sich höchstens in Projekten einbringen." Dazu ein IBM-Sprecher lapidar: "Wir prüfen, ob wir teilnehmen oder nicht."

Konkret plant SNI die Entwicklung einer Client-Server-Lösung für die Expo 2000. Dabei sollen eine Vielzahl von PCs als Clients für diverse Applikationen sowie Informationskioske, aber auch für Anzeigetafeln am Messegelände fungieren. Die PCs werden laut SNI weitgehend mit Microsofts Betriebssystem Windows NT ausgestattet. Die Clients greifen dabei auf ein Server-Cluster zu, das in einem abgegrenzten Rechenzentrum betrieben wird. Als Server plant SNI seine Rechnermodelle der RM-Serie unter dem Betriebssystem Unix einzusetzen. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Clients und Servern erfolgt über das ATM-Netz der Telekom.

Der SNI-Auftrag gliedert sich in mehrere Hauptkomponenten: Ein Informationssystem für Besucher und Mitwirkende, ein Akkreditierungssystem, die Systemintegration, das System-Management und den Betrieb des Rechenzentrums. Das Informationssystem wird sich laut Expo-Informatiker Beier aus unterstützenden Systemen wie Adreß-, Projekt-, Event-, Termin- und Infrastrukturverwaltung sowie der Besucherstromlenkung zusammensetzen.

Weiterhin sei ein Mediensystemen für die multimediale Aufbereitung der Daten zuständig. Das Teilsystem "Externe Präsentation" liefert die multimediale Ausgabe für die Informationsabfragen und besteht aus den Komponenten Information Retrieval, Gelände und Wegeplan, Besuchsprogramme, Virtual Reality, Video- und Audiodienste, Besucher-Print-Service sowie Veranstaltungskalender.

Schlüsselelement Ticketing-System

Die den Besuchern zur Verfügung stehenden Informationen werden hauptsächlich über sogenannte Points of Information (POIs), also Informationskioske, serviert, die es den Gästen erlauben, Suchabfragen zu formulieren und mehrsprachige Retrieval-Funktionen zu nutzen. Die Schnittstelle der einzelnen POIs zu den Servern basiert auf der Internet-Intranet-Technologie und dem SNI-Standardprodukt "Netvideo" für den Abruf von Videodarstellungen im MPEG1- oder MPEG2-Format. Zu guter Letzt soll das Teilsystem "Services und Administration" für die Überwachung und Verwaltung des Gesamtsystems, also etwa die Versorgung der Schnittstellen und Fremdgeräte oder die Administration der POI-Applikationen, zuständig sein.

Darüber hinaus ist ein Akkreditierungssystem vorgesehen, das die Administration von bis zu 100 000 Personen wie Lieferanten oder Sicherheitskräften mit Spezialausweisen regelt. Es soll die Daten und Berechtigungsprofile aller akkreditierten Personen verwalten, die Ausgabe personalisierter Besucherausweise beim Kartenhersteller sowie dezentral auf dem Expo-Gelände unterstützen. Außerdem ist eine Schnittstelle zum Zutrittskontrollsystem im Gespräch.

Abgesehen davon, daß sich SNI laut Warsch aufgrund ihres IT-technischen Know-hows qualifizieren konnte, spielte offensichtlich ein weiterer Fakt eine wichtige Rolle. So war bereits frühzeitig klar, daß die Expo 2000 der Frankfurter Start GmbH, einem treuen SNI-Kunden, den Ticketvertrieb übertragen würde. Die Betreiberin des größten deutschen Reisereservierungs- und Buchungssystems hat den Auftrag, eine Gesamtlösung zu entwickeln, die nicht nur den reibungslosen Vertrieb der Eintrittskarten erlaubt, sondern auch ein komplettes Buchungs- und Reservierungssystem umfaßt.

Dabei dient die DV-Lösung "Ticketsoft" als Schaltzentrale zwischen Reisebüros und dem Hannoveraner Aussteller. Sie soll die Einbindung der Expo-Gesellschaft in das bestehende Eintrittskarten-Vertriebssystem von Start garantieren, erläutert Norbert Witzel, Senior Account Manager bei Start. Durch diese Anbindung sei, so die Hoffnung der Expo-2000-Betreiber, unter anderem die zuverlässige Eintrittskarten-Reservierung im Inland und in über 100 Ländern, der Telefon- und Direktverkauf sowie die permanente Kontingentverwaltung und die Abrechnung der einzelnen Tickets gewährleistet. Zu Spitzenzeiten muß das Buchungssystem der Expo 2000 rund 1400 Verkaufsvorgänge pro Minute und eine Netzlast von knapp 6,5 Mbit/s verkraften können, erklärt der zuständige Expo-Manager und Informatiker Josef Friedrich. Insgesamt erwarte der Aussteller zirka 147 GB Buchungsdaten.

Während SNI also die Gesamtverantwortung für die Koordination und die Bereitstellung der IT-Technik trägt, herrscht die Telekom mit dem dritten Konsortiumsmitglied Siemens als Anbieter der Netzinfrastruktur über das kommunikationstechnische Hoheitsgebiet der Messe.

Telekom: Abwarten und Tee trinken

"Wir haben uns trotz des Deregulierungs-Themas für die Telekom entschieden", erklärt Warsch, dem in Sachen Telekommunikation keine große Wahl blieb. Schließlich besteht ohnehin bereits ein Kontrakt zwischen der Deutschen Messe AG und dem Noch-Monopolisten. Dementsprechend werde die Telekom auch den Aufbau der Infrastruktur für die Expo 2000 übernehmen.

Im Grunde genommen kommt auf die Telekom zunächst nur eine primäre Aufgabe zu: "Wir werden vorrangig zusätzliche Kapazitäten für den Einsatz breitbandigerer Anwendungen schaffen", erklärt Telekom-Projekt-Manager für die Expo 2000 Hans Gaentzsch. Der Carrier muß vor allem die Voraussetzungen für leistungs- und leitungsfressende Anforderungen wie beispielsweise Videokonferenzschaltungen, Video on demand oder Video-Helpdesks schaffen.

Ansonsten werde der Telefonriese die existierenden Teile des CeBIT-Netzes wie ATM, Kupfer- und Glasfaserkabel und standardmäßige Dienste wie Telefon, Fax und Internet-Anschluß auch für die Expo nutzen. Eventuelle Probleme erwartet die Telekom erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt: "Wir kennen die Anforderungen der einzelnen Aussteller noch nicht", begründet Gaentzsch die Abwarten-und-Tee-Trinken-Mentalität. Dennoch werde der Bonner Konzern zum richtigen Zeitpunkt den Plänen der einzelnen Teilnehmernationen Rechnung tragen und unterschiedliche Wünsche erfüllen, "obwohl wir nicht jeden einzelnen Länderstandard unterstützen können. Wenn Frankreich mit Systemen der Firma Bull arbeiten will, müssen wir auch diese Rechner ans Netz anschließen können."

Doch ob SNI, Telekom oder Start, bis dato existieren - abgesehen von der bereits seit Jahren bestehenden Netzstruktur der Telekom, einer Web-Seite http://www.expo2000.de sowie dem SNI-Computerspiel "Menateus" - alle Konzepte nur auf dem Papier.

Auch im wohl schwierigsten Kapitel des DV-Projekts Expo 2000, der Verwendung der Datenbank und ihrer Anbindung, klaffen trotz der betonten Harmonie der einzelnen Partner noch tiefe technologische Löcher. Fakt ist bislang: "Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Informix und Oracle", erinnert sich Bereichsleiter Warsch. Informix habe - aufgrund einer SNI-Empfehlung - letztlich den Zuschlag für den Job des exklusiven Datenbankherstellers erhalten, "da der Universal Server mit seinen Möglichkeiten, nicht indizierte Daten aus Datenbanken herauszuholen, überzeugt" habe, und dies, obgleich die Messe AG während CeBIT und Hannover Messe seit Jahren auf eine Zusammenarbeit mit Oracle setzt. Da es sich bei Oracle allerdings um eine relationale Datenbank handelt und die Expo 2000 einen "objektrelationalen Bereich will", sei eigentlich nur Informix und der Universal Server in Frage gekommen, begründet Warsch das Votum für den Hersteller aus dem kalifornischen Menlo Park.

Zentrale Aufgabe der Datenbank sei es, alles Wissenswerte über die Expo 2000 bereitzuhalten. Dazu gehören laut Veranstalter zunächst Informationen über die Macher der Weltausstellung, die einzelnen Projekte, die teilnehmenden Nationen, den Baufortschritt auf dem Gelände und bestimmte Veranstaltungen. Für die effektive Darstellung sollen neben den klassischen Methoden wie Text, Grafik und Bild auch Multimedia-Techniken wie Videosequenzen, Audio-Einspielungen oder computeranimierte Darstellungen genutzt werden.

Auch die Realisierung des Informationssystems von SNI ist mit Hilfe des Universal Server und eigens entwickelter Datablades geplant. Beispielsweise soll das "Web Datablade" für die Datenbankabfragen aus dem Internet sorgen. Eine vom Benutzer gestellte Datenbankabfrage wird dabei über den Web-Server an einen noch zu realisierenden Web-Driver weitergeleitet, der mit Hilfe von Konfigurationsdateien die Verbindung zur Datenbank aufbaut. In der Datenbank sind sämtliche HTML-Templates - Application Pages genannt - in einer eigenen Tabelle gespeichert. Der Web-Driver extrahiert die gewünschte Application Page. Anschließend werden alle dort integrierten SQL-Statements ausgeführt. Das Ergebnis der SQL-Zugriffe wird als HTML-Dokument an den Web-Driver zurückgeliefert, der die HTML-Seite an den Web-Server leitet. Von dort aus wird das Ergebnis schließlich an den Web-Browser weitergereicht.

Daß bis dato nur knapp 20 bis 30 der von Informix-Chef Phil White bereits zur Übernahme von Illustra versprochenen "hundreds of blades" existieren, störte die Expo 2000 bei der Entscheidungsfindung offensichtlich nicht: "Wir vertrauen darauf, daß es in drei Jahren klappt", so Warsch. Die genaue Vorgehensweise scheint allerdings selbst Informix noch nicht ganz klar zu sein: "Es muß sich erst herausstellen, für welche Anforderungen Datablades benötigt werden", erklärt die Informix-Beauftragte Erika Mayr. Welche und wie viele Datablades von Informix für die Expo 2000 geschrieben werden müssen, könne "im Moment keiner bei Informix sagen".

"Wir sind ein Stück weit bestechlich"

Momentan arbeiten Informix und SNI zusammen daran, die benötigten Datenmodelle in Applikationen umzusetzen. So formuliere man derzeit die genauen Spezifikationen des Systems, die Auskunft darüber geben sollen, ob "wir auf standardmäßige Datablades zurückgreifen können oder neue entwickeln müssen". Essentiell sei derzeit auch die Portierung des Universal Server auf die für die Expo 2000 verwendeten RM-Maschinen von SNI.

Ob Datablades, ATM, POI oder MPEG - schließlich, so der Vorsitzende der Expo-2000-Geschäftsführung Theodor Diener, solle die Veranstaltung keine "Leistungsschau technischer Superlative" werden. Die DV sei lediglich Mittel zum Zweck. Der Schwerpunkt der Veranstaltung liege eindeutig auf den Exponaten. Wichtig ist nach Ansicht von Expo-2000-Pressesprecher Michael Sasse: "Das Ganze muß mit einer schwarzen Null enden. Wir sind ja auf Sponsorengelder angewiesen und von daher auch ein Stück weit bestechlich.