GMD-Forschungsgruppe setzt auf Kooperation mit Partnern aus der Industrie:

Expertensysteme suchen praktischen Einsatz

08.11.1985

MÜNCHEN (CW) - Fragen des Technologie-Transfers haben in Großforschungseinrichtungen zunehmend an Gewicht gewonnen. Dies drückt sich zum Beispiel in der Gründung eines eigenen Instituts für diesen Bereich in der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), St. Augustin, aus. Mit dieser Aufgabe setzt sich die Forschungsgruppe Expertensysteme im Institut für Angewandte Informationstechnik der GMD auseinander.

Im Bereich der Expertensysteme gibt es heute bereits Anwendungsgebiete, in denen der Stand der Technik über das Labordasein hinausgewachsen ist. In anderen Fällen ist die Forschung demgegenüber noch nicht so weit, gesicherte Lösungen anbieten zu können. Für potentielle Anwender wird es folglich essentiell sein, die Entscheidung für ein Expertensystem genau zu überdenken, konstatieren die GMD-Mitarbeiter.

Die Forschungsgruppe Expertensysteme (XPS) der GMD hat sich zum Ziel gesetzt, Expertensystemen zu einem breiteren Durchbruch in praktischen Anwendungen zu verhelfen und ihre methodischen und technischen Grundlagen zu verbessern. Dies geschieht einerseits durch Aufgreifen von Ergebnissen aus dem akademischen Bereich, Ergänzung durch eigene Forschung und Übernahme dieser Kriterien in den praktischen Einsatz; andererseits durch Identifikation von neuen Problemstellungen in der realen Applikation und Einführen in neue Forschungsaktivitäten.

Ein Beispiel aus der Arbeit der Forschungsgruppe stellt das Werkzeugsystem "Babylon" dar. Das Tool bildet eine integrierte Arbeitsumgebung für den Wissensingenieur, der das Wissen des Experten in eine dem System verständliche Form bringen muß. Es bietet außerdem eine Auswahl der wichtigsten Formalismen der Wissensrepräsentation: objektorientierte Darstellungen, regelorientierte Darstellungen und logikorientierte Darstellungen,

Diese Darstellungsformen lassen sich in "Babylon" frei auswählen und kombinieren. Sie sollen es dem Wissensingenieur erlauben, das vom Experten vermittelte Wissen zu formalisieren und zu strukturieren und damit dem DV-System verfügbar zu machen. Unterschiedliche Arten von Wissen, etwa faktisches, strategisches oder assoziatives Wissen, können so durch angemessene Formalismen repräsentiert werden. Dies, so die GMD-Experten, verringert den strukturellen Unterschied zwischen dem Problemlösungsverhalten des Experten und des Systems, außerdem werde die Entwicklung von Expertensystemen beschleunigt. Alle Werkzeuge sind über eine einheitliche Benutzerschnittstelle verfügbar, in der Fenster-, Menü- sowie Grafiktechniken eingesetzt werden.

Einen zweiten Schwerpunkt der Aktivitäten der Forschungsgruppe stellt das Expertensystem DEX.C3 zur Fehlerdiagnose in automatischen Getrieben von Kraftfahrzeugen dar. Das Produkt wurde im Auftrag und in Zusammenarbeit mit Ford Europa für Getriebe vom Typ C3 entwickelt.

Besonderen Wert legen die Mitarbeiter der Forschungsgruppe darauf, daß sich ihre Arbeit nicht am "grünen Tisch" vollzieht. Gemeinsam mit industriellen Partnern werden auch praktische Erfahrungen im Bau und Einsatz von Expertensystemen gesammelt.

Ein breites potentielles Einsatzspektrum sehen die GMD-Experten auch in der Produktionstechnik, in Wartung und Vertrieb, in Prozeßkontrolle oder Anlagenüberwachung sowie für Planen und Entwerfen. Auch Banken und Versicherungen machen sich Gedanken über den Einsatz von Expertensystemen. Dort wird beispielsweise im Beratungsgeschäft ein breites Applikationsspektrum gesehen. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings noch: Vorerst fehlt es an Wissensingenieuren, die solche wissensverarbeitenden Systeme entwickeln können. Der breite Durchbruch zum Erfolg dürfte also noch einige Zeit auf sich warten lassen, räumen die GMD-Mitarbeiter ein.