DV-Personal hat durch Computerinnovation weniger zu tun:

Expertensystem managt MVS-lnstallation

22.03.1985

Rechenzentren oberhalb einer gewissen Größe sinnvoll und effizient zu managen, ist eine Aufgabe, die zusehends komplexer wird. Vor allem erfordert sie stets zeitnahes Überwachen der gesamten Anlage und schnellstes Reagieren, also ein Echtzeit-Operating. Doch mit neue

Verfahren der sogenannten "Künsten Intelligenz" könnte es möglich werden, dieses Rechenzentren-Management einem Rechner zu überlassen.

Auf einer Konferenz über Künstliche Intelligenz in Austin. Texas, war vor einiger Zeit Näheres über das Expertensystem "YES/MVS" zu erfahren, das aus dem Thomas J. Watson-Forschungszentrum der IBM in Yorktown Heights stammt. Dieses System gibt seinen Benutzern nicht bloß per Bildschirm oder Drucker ein paar mehr oder weniger gute "Tips", sondern geift in bestimmten Situationen sofort "eigenhändig" in den Ablauf der Handlung ein. Es wartet also gar nicht erst das "OK" des Operators ab. Und das ist in diesem Bereich bis heute eine ziemliche Rarität, vielleicht sogar ein wirkliches Novum.

"YES/MVS" hat die Aufgabe, den Betrieb großer MVS-Installationen samt angeschlossener Datenfernverarbeitungs-Netze und zugehöriger Peripherie zu unterstützen, also teilweise jene Aufgaben zu erfüllen, die sonst dem Operator obliegen Schließlich legt die Betriebsmannschaft einer großen Rechner-lnstallation nicht bloß Magnetbänder ein und spannt frisches Papier in die Drucker, sie überwacht auch fortlaufend die Betriebssystemaktivitäten der Maschinerie und kümmert sich um eventuell denkbare Probleme möglichst schon in deren Vorfeld.

Zwar sind Expertensysteme - beziehungsweise die Nutzung der Techniken, auf denen solche Systeme fußen - heute nichts Neues mehr, denn man kennt seit vielen Jahren Beispiele für solche Systeme aus Gebieten wie Medizin, Geologie, Technik; aber bis heute sind nur sehr wenige wirklich im Einsatz. So beispielsweise ein aus dem Hause Digital Equipment stammendes System, das dem Unternehmen bei der individuellen auftragsgerechten Konfiguration zur Auslieferung bestimmter VAX-Computerinstallationen dient. Es wurde als "XCON" inzwischen weit über die Firma hinaus bekannt.

Allgemein kann man für die heute bekannten Expertensysteme allerdings sagen, daß sie fast nur Ratschläge und Hinweise geben, also nicht direkt in irgendein aktuelles Geschehen eingreifen. Sie laufen im Batch-Modus oder im Zuge einer interaktiven Sitzung mit dem Benutzer ab und sind nur mit einer "statischen", sich während ihrer Arbeit also nicht ändernden Umwelt befaßt. Wobei mit "Umwelt" hier der Gegenstand gemeint ist, den sie bearbeiten und der sich eben während eines Programmlaufs gemeinhin nicht ändert.

Die IBM-Wissenschaftler aber hatten sich nun vorgenommen, für die komplexe Welt des Betriebsystems MVS ein neues Expertensystem zu schaffen, das den Betrieb eines MVS-Rechners in Echtzeit begleiten sollte. Und das hieß, eine Fülle neuartiger Probleme mußten erstens erkannt und zweitens gelöst werden.

Fakten unmittelbar heraussaugen

Während die Benutzer herkömmlicher "Ratgeber" -Expertensysteme ihrer Maschine die Fakten, die das System zum Bearbeiten der Problemstellung benötigt, der Reihe nach in quasi mundgerechter Form servieren, muß ein System vom Typus "YES/MVS" die für seine "Schlußfolgerungen" nötigen Fakten unmittelbar und in Echtzeit aus jenem (MVS-) System heraussaugen, das es überwachen soll. Es gibt daher keine Möglichkeit, bestimmte Beobachtungen erst noch von einem Menschen kritisch begutachten und interpretieren zu lassen, ehe sie in das Expertensystem gelangen. Dazu fehlt im Falle "YES/MVS" nämlich schlicht und einfach die Zeit. Denn dieses System wirkt auf sein Objekt, das MVS-System, unmittelbar und ohne Zeitverlust ein - zumindest in solchen Situationen, in denen völlig klar ist, was denn als nächstes zu tun sei.

Wie man Unterlagen aus dem Hause IBM entnehmen kann, hält ein größeres MVS-System seine Bedienungsmannschaft manchmal ganz schön in Atem. So kann es etwa sein, daß pro Minute mehr als 100 Meldungen über den Systemstatus ausgegeben werden. Trotz dieser Flut an Mitteilungen sollen die Operatoren aber dennoch stets sofort die passenden Maßnahmen einleiten. Das bedeutet in der Praxis, sie müssen die "Wünsche" des Systems vielfach schon im voraus erkennen, um dann rechtzeitig eingreifen zu können.

Die Wissenschaftler im IBM-Forschungszentrum beschlossen, zunächst einmal nur bestimmte Arbeitsgebiete des Bedienpersonals zu behandeln. Und zwar zunächst nur die Mehrzahl jener, die keinen physischen Eingriff von außen her - wie etwa das Einlegen eines neuen Bandes in ein Laufwerk - beinhalten.

Sie stellten die fraglichen Punkte zusammen und dabei bildeten sich sechs Gruppen von Arbeitsbereichen, die folgende Dinge behandeln:

- die Verwaltung des Warteschlangen-Raums ("Queue Space") beim Job Entry System "JES";

- die Kommunikation zwischen Computern gleicher Lokation;

- die Planung umfangreicher Batch-Jobs;

- das unmittelbare Reagieren auf Hardware-Probleme mit dem Ziel, System-Crashes zu verhüten und

- das Überwachen der Performance des Gesamtsystems.

Wie Kenner der IBM-Welt wissen, hält MVS alle Batch-Jobs vor, während und nach ihrer Ausführung in einem speziellen Speicherbereich, dem JES-Queue-Space. Dabei muß der Operator sich laufend um den verbleibenden Queue Space kümmern und einen Überlauf unbedingt vermeiden, weil dann das System zum Stillstand kommt; JES, so sagt IBM, kann aus so einer Situation nicht mehr allein herausfinden.

YES/MVS überwacht nun fortlaufend die Größe des freien Queue Space und sorgt bei Unterschreiten bestimmter kritischer Grenzen automatisch dafür, daß zusätzliche Kapazität frei gemacht wird. Dazu wird beispielsweise bewirkt, daß Jobs, deren Bearbeitung abgeschlossen ist, ausgedruckt werden, oder auch, daß umfangreiche Print-Jobs auf ein Bandlaufwerk ausgelagert werden. Die Interventionen können dabei so weit gehen, daß YES/MVS in extremen Fällen dem Rechner sogar die Anweisung gibt, die Annahme neuer, weiterer Jobs zu verweigern und auch keine von anderen Systemen her angebotenen Daten mehr anzunehmen.

Wie vielfältig dieses Expertensystem im einzelnen "überlegt", auf welchen Wegen es also dahin gelangt, eine der eben beschriebenen "Entscheidungen" zu treffen, kann man am Beispiel der Queue-Space-Verwaltung noch ein bißchen plastischer darstellen. Dabei muß man wissen, das YES/MVS hier die Zielsetzung hat, stets mindestens 50 Prozent des gesamten Queue Space frei zu halten.

Um dieses Ziel, das dem System natürlich vom Menschen her vorgegeben worden ist, mit Aussicht auf Erfolg zu verfolgen, beobachtet YES/ MVS-fortlaufend alle bei ihm einlaufenden Meldungen über den Zustand des betreuten MVS-Rechnersystems und zieht anhand von "Regeln", die es in seinem Speicher vorfindet "Schlußfolgerungen" (inferences). Dabei kann die einzelne Schlußfolgerung entweder als Eingangsinformation für weitere sich anschließende Schlußfolgerungen dienen oder zu einer "Entscheidung" führen. Zu einer Entscheidung, die YES/MVS dann auch gleich veranlaßt, die zum Erreichen des gesteckten Ziels nötigen Maßnahmen einzuleiten.

Hier ein konkreter Fall:

- MVS meldet, der verbleibende Queue Space sei nur noch klein; es läuft bei YES/MVS also eine Meldung über ein "Faktum" ein.

- Eine "Regel" sagt, ist der freie Platz klein, so frage den Status des Druckers ab.

- YES/MVS kombiniert "Faktum" und "Regel" zu einer "Schlußfolgerung" und diese löst eine "Aktion" aus, nämlich eine Anfrage an MVS bezüglich des Druckers.

Nun kommt von MVS die Meldung, daß

1. der Drucker an ein paar kurzen Jobs arbeitet,

2. der Drucker einen langen Job zurückgestellt hat und

3. der Drucker auf den Ausdruck von maximal 30 000 Zeilen eingestellt ist.

YES/MVS kombiniert diese drei "Fakten" nun mit seiner im Speicher ruhenden "Regel", wonach, sollten alle drei Meldungen wahr sein, folgende "Schlußfolgerung" zu ziehen sei: "Erhöhe das Zeilenlimit des Druckers. "

Diese "Schlußfolgerung" führt nun wieder zu einer entsprechenden YES/MVS-Aktion, also zur Erhöhung des Limits. Und diese wiederum bewirkt, daß jetzt auch der lange Job auf dem Drucker laufen kann und daß als Folge davon der Queue Space dann teilweise frei wird. Genau das aber "wollte" YES/MVS ja von Anfang an erreichen.