Experten bezweifeln Sinn von Green Card 2

13.11.2001
Von Katja Müller
Trotz Nachfrageflaute in der IT-Branche gibt die Bundesregierung weitere 10 000 befristete Arbeitserlaubnisse frei. Grund für die Green Card 2 ist laut Unternehmen und Verbänden der anhaltende Fachkräftemangel der IT-Branche. Doch längst nicht mehr alle Experten sind vom Nutzen der Initiative überzeugt.

"Sind Sie Inder?" Mit diesem Slogan warb vor etwa einem Jahr das Berliner Startup Datango GmbH um ausländische Fachkräfte. Über 130 Bewerbungen gingen danach bei der Internet-Firma ein, und zwei indische Computerspezialisten wurden schließlich unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit eingestellt. Heute steht das Unternehmen der Green-Card-Initiative eher mit gemischten Gefühlen gegenüber. "In der derzeitigen Situation haben wir keinen Bedarf an ausländischen Fachkräften", erklärt Firmensprecher Malte Probst. Nicht nur die kulturellen Unterschiede, sondern auch die eklatanten Sprachprobleme erschwerten besonders in mittelständischen Unternehmen die Integration. Die aber muss bei einer 40-Mann-Firma wie Datango gewährleistet sein, meint Probst. "Leider weiß man nie genau, ob sich die ausländischen Mitarbeiter hier wirklich wohl fühlen."

Auch Torsten Appel, Geschäftsführer der Internet-Firma Clickfish, äußert sich skeptisch zur Weiterführung der Green-Card-Aktion: "Angesichts der momentanen wirtschaftlichen Lage zweifle ich, ob die Anwerbung noch Sinn hat." Ohnehin würde er lieber deutschsprachige Mitarbeiter einstellen. Zwar spreche jeder qualifizierte IT-Fachmann Englisch, aber oft nicht in dem Maße, dass er auch über technisch komplexe Themen diskutieren könne, so Appel. Ein großer Vorteil der Green-Card-Initiative sei jedoch, dass sehr gut ausgebildete Fachleute einreisen. Ein Mitarbeiter seines 28-köpfigen Teams komme beispielsweise aus Bangalore, dem Silicon Valley Indiens, und verfüge über ein ausgezeichnetes Java-Wissen. Dennoch ist die Initiative für den Geschäftsführer nicht mehr als eine Notlösung: "Man hätte schon Jahre vorher den Fachkräftemangel in der IT als Problem erkennen müssen."

Bei Kerstin Karuschkat von der 3K-Personalberatung ist vor allem Resignation zu spüren. Seit Beginn der Green-Card-Aktion versucht sie, ausländische Computerspezialisten an deutsche Unternehmen zu vermitteln. Trotz Hunderten von Bewerbungen aus dem Ausland gelang es ihr, nur einen einzigen IT-Profi unterzubringen. Entweder waren den Firmen die Flugkosten zu hoch, oder es gab Probleme mit den Visa, so dass es sich die Bewerber in letzter Minute anders überlegten. Ihr Fazit: "Es ist eine gute politische Initiative, aber für mich ist sie in der Praxis gescheitert." So sei nicht nur das "Reinholen der Leute sehr mühselig", auch die anschließende Integration der Ausländer in den Unternehmen gestalte sich schwierig: "Viele Firmen sind sich nicht darüber im Klaren, dass sie eine soziale Verantwortung übernehmen."

Bei Firmenpleiten gehörten die ausländischen Mitarbeiter dann zu den ersten, die auf der Straße ständen. In Raum Hamburg gebe es derzeit sogar ein Überangebot an ausländischen IT-Fachkräften. Mangelnde Deutschkenntnisse erschwerten häufig die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz: "Viele können noch nicht einmal eine Stellenannonce lesen. Wie sollen sie sich dann neu bewerben?" Nur unter großen Mühen gelinge es einigen, wieder einen Job zu bekommen, die meisten müssten sich jedoch unter Wert verkaufen - so die Erfahrung Karuschkats.

Im Gegensatz zu den kleinen und mittelständischen Unternehmen, die die meisten ausländischen Fachkräfte rekrutierten, scheinen die größeren wie die Siemens AG schon eher von der Initiative zu profitieren. Der Konzern beschäftigt derzeit über 480 ausländische Computerspezialisten, die mit der grünen Karte nach Deutschland einreisen durften. Zwar lägen noch keine weiteren Planzahlen für Neueinstellungen vor, erklärte Unternehmenssprecherin Sabine Metzner, die Kampagne sei aber nach wie vor ein Thema. Von dem angekündigten Stellenabbau - der Konzern kündigte kürzlich die Streichung von 7000 Arbeitsplätzen an - sind die aus dem Ausland angeworbenen Spezialisten nicht betroffen, wie Matthias Bellmann, Personalchef von Siemens ICM, versichert: "Wir schicken keinen Green-Card-Inhaber wieder nach Hause. Es ist eine Vertrauenspartnerschaft, die wir nicht bei der ersten Marktschwäche in Frage stellen, indem wir den ausländischen Fachkräften die Tür weisen." Schließlich entspricht es auch der Mentalität eines internationalen Konzerns, Mitarbeiter aus allen Teilen der Welt zu beschäftigen, ergänzt Metzner.

Für die selbst einige Jahre im Ausland tätig gewesene Personalberaterin Karuschkat ist das wohl auch die einzige positive Veränderung, die durch die Initiative ins Rollen gekommen ist: "Der deutschen, konservativ geprägten Arbeitskultur tut diese kulturelle Auflockerung sehr gut", sagt sie. Auch Achim Reinhard, international erfahrener Topmanager und Geschäftsführer bei der Berliner Interims-Management-Beratung Ark Executives, freut sich über die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes. "Die Leute bringen neue Fähigkeiten mit, das Wissen kann geradezu abgetankt werden." Große Schwierigkeiten bei der Integration der ausländischen Fachkräfte im Unternehmen sehe er nicht. Allerdings sollten sich die Personalverantwortlichen genau über die Mentalitätsunterschiede zwischen Menschen rumänischer, ukrainischer oder indischer Herkunft im Klaren sein.

"Eigentlich dürften wir gar keine Probleme damit haben, auch deutsche IT-Fachkräfte zu bekommen", konstatiert Bitkom-Vizepräsident Jörg Menno Harms. Inzwischen sei zwar die Neugier der Abiturienten auf das Informatikstudium geweckt, dennoch erhielten im letzten Jahr lediglich 6000 Absolventen ihr Diplom in diesem Fachbereich. Das liege nicht nur an der überdurchschnittlich hohen Abbrecherquote von 50 Prozent, sondern es würden immer noch zu wenig Spezialisten ausgebildet. Immerhin meldet die Wirtschaft mittelfristig pro Jahr einen Bedarf von 20 000 bis 25 000 IT-Fachkräften an, aber bis 2006 werden gerade einmal 19000 Computerspezialisten ihr Studium erfolgreich beenden, so Harms.

Von einer steigenden Anzahl entlassener und damit neu auf den Arbeitsmarkt strömender Computerspezialisten will der Vizepräsident jedoch nichts wissen: "Der IT-Fachkräftemarkt ist zwar nicht mehr so ausgetrocknet wie im letzten Jahr, aber hoch qualifizierte Mitarbeiter haben nach wie vor einen Arbeitsplatz." So vergibt die Bundesanstalt für Arbeit wöchentlich etwa 20 Green Cards an ausländische Bewerber aus der IT-Branche, fügt er hinzu. Das Arbeitsamt München hat beispielsweise in der letzten Oktoberwoche zehn Karten an Unternehmen verteilt. Die Tendenz sei allerdings rückläufig, erklärte eine Sprecherin. So schrumpfte die Zahl der Firmenanfragen seit Ende Dezember vergangenen Jahres von 844 auf nunmehr 319, während sich die Zahl der ausländischen Bewerber auf etwa 7000 einpendelte. Gesucht werden jedoch nach wie vor Diplominformatiker und Kryptospezialisten aus osteuropäischen Ländern.

"Viele arbeitslose deutsche Fachkräfte sind Ende 40 und damit zu alt. Am schwierigsten wird es aber für die über 50-Jährigen. Die haben gar keine Chance mehr", erklärt Hans Christian Guhde, Abteilungsleiter für Arbeitsvermittlung und -beratung in München. Gerade in Zeiten der Rezession lasse die Bereitschaft nach, ältere Mitarbeiter einzustellen. Den meisten fehle das aktuelle Fachwissen, was in einer Branche wie der IT nicht toleriert werden könne. Schließlich liegen auch die vereinbarten Saläre für ausländische IT-Spezialisten mit Informatikstudium bei 77400 Mark (Beitragsbemessungsgrenze für die private Krankenkasse). Gehälter, die für viele ältere deutsche IT-Fachkräfte zu niedrig sind. Wenn die Firmen ausländische Profis anderer Studienrichtungen per Green Card einstellen wollen, müssen sie ihnen 100000 Mark zahlen.

Das vorgeschriebene Mindestsalär für ausländische Bewerber soll vor allem dem Lohn-Dumping entgegengewirken. So müssen die Unternehmen anhand des Arbeitsvertrages oder einer verbindlichen Zusage beweisen, dass der angeworbene Mitarbeiter entsprechend verdient. Guhde: "Bis jetzt ist mir noch kein Fall bekannt, dass sich Green-Card-Inhaber mit Niedriglöhnen zufrieden geben müssen." Gewerkschaftler Wilfried Hölzer, Fachsekretär im Bereich IT bei Verdi, sieht jedoch eine andere Gefahr für die ausländischen IT-Fachkräfte. "Manche Leute sind bereit, bis zu 70 Stunden in der Woche zu arbeiten. Sie haben diese Gastarbeitermentalität entwickelt: Wenn ich mehr arbeite, kann ich auch öfter mit mehr Geld nach Hause reisen."

Betriebs- und Personalräte geben zu, dass die Green-Card-Mitarbeiter trotz aller Integrationsprobleme oft viel "pflegeleichter" sind als ihre deutschen Kollegen. Hölzer: "Da hat kaum einer die Idee, einen Betriebsrat zu gründen." Grundsätzlich ist die Gewerkschaft aber für die Initiative, denn Deutschland sei ein Einwanderungsland. Allerdings müsse die Aktion auch in das Einwanderungsgesetz integriert werden. Nur daraus entwickelten sich langfristige Perspektiven für die ausländischen Mitarbeiter. Jemanden nach fünf Jahren wieder aus dem Land zu schicken, sei menschlich nicht fair, so Hölzer.

Auch Bernd Sydow, Geschäftsführer der Time and More Personaldienstleistungen GmbH, Berlin, hält die derzeitigen Maßnahmen, dem Fachkräftemangel in Deutschland zu begegnen, langfristig für nicht ausreichend. "Eine Lösung ist die Green Card nicht, eher ein Tropfen auf den heißen Stein." So würden Firmen in der Regel lieber inländische Fachkräfte einstellen, denen es aber oft an speziellem Know-how fehle. Eine wirkliche Nachhaltigkeit könne laut Sydow nur geschaffen werden, wenn die Bildungspolitik schneller auf die Anforderungen des Marktes reagiere. Das bedeutet marktgerechter auszubilden und vor allem das aktuelle Wissen schon während des Studiums an den Hoch- und Fachschulen zu vermitteln.

Einige ausländische Computerspezialisten haben jedenfalls das schnelle Reagieren auf den Markt längst begriffen. Im Sommer dieses Jahres kündigten die zwei Vorzeige-Inder von Datango. Weder Integrations- noch Sprachprobleme waren die Ursache, sondern ein anderes Unternehmen, das den beiden ein finanziell besseres Angebot machte.