Experten befragen IBM zum Thema Datenbank:Nicht die Produkte -die Anwenderwünsche sind das Übel

14.12.1979

FRIEDRICHSDORF - Auf Einladung der IBM besuchten wir als Vertreter der Data Research International GmbH ein eintägiges Seminar, das von IMS-Experten der IBM abgehalten wurde. Es fand im vergangenen August in White Plains, New York, statt, der Zentrale der Data Processing Division, die man auch als "Bastion der IBM Systems-Philosophie" bezeichnen könnte. Bevor wir das Seminar besuchten, stellten wir eine Liste von Fragen zusammen, von denen wir glaubten, daß sie unsere Kunden bewegen. Siehe dazu Kasten: "Fragen an IBM."

Es antworteten je nach Sachgebiet Vertreter der Data Systems Development Division, Santa Teresa, oder des Consulting Marketing Supports in Palo Alto und Poughkeepsie. Zu den einzelnen Punkten antwortete IBM folgendermaßen:

IMS: Viel Lernstoff

In den Santa Teresa-Labors arbeiten 2000 Mitarbeiter einschließlich Unterstützung, Management, Administration und Wartung an IMS, COBOL, PL/1, VSAM und einer Reihe weiterer Produkte. Zwischen 150 000 und 200 000 Zeilen-Code pro Jahr ist das maximale Leistungsergebnis. Diese Tatsache allein, umreißt, was mit irgendeinem bestimmten Produkt während eines gegebenen Zeitrahmens getan werden kann. Gegenwärtig hat IBM Hunderte von offenen Anfragen, sowohl von GUIDE/SHARE als auch von einzelnen Benutzern, die auf Maßnahmen irgendeiner Art warten. Es wird IBM viele Jahre in Anspruch nehmen, die Dinge zu erledigen, die sie bei einigen ihrer Produkte einschließlich IMS erledigen möchte.

Vom Implementationsstandpunkt muß IMS immerhin als das System der 70er Jahre angesehen werden. Dies bedeutet nicht, daß es abgelöst wird - unsere Kunden haben enorme Investitionen dort hineingesteckt, und das kann nicht einfach übersehen werden. Aus diesem Grunde wird DL/1 zweifellos bei uns noch in den 80er Jahren bestehen. Die

Software wird weiterentwickelt, ergänzt und umgeschrieben, aber die Konzepte

bleiben erhalten.

IMS: Anstrengungen notwendig

In 1.1.5, dem letzten IMS-Release, gab es keine wesentlichen Änderungen für MSC. Über die 4300 ist man im Hinblick auf DDP bei IBM ziemlich aufgeregt und glaubt, daß MSC wenigstens eine Teilantwort auf diesen Entwicklungsbereich darstellt. Obwohl nur ein kleiner Prozentsatz der über 100 IMS-Benutzer gegenwärtig MSC hat, wird erwartet, daß sich sein Einsatz beträchtlich ändert, da die 4300 in steigendem Maße als DDP-Knotenrechner eingesetzt wird. Wie bei MSC setzt auch nur ein kleiner Prozentsatz von IMS-Benutzern gegenwärtig Fast Path ein. Seine stärkste Verbreitung findet sich im Bank- und Kreditgewerbe.

CICS: Teils verdrießlich

IBM sieht jetzt das größte Potential für die Vermarktung von IMS aus den CICS Installationen entstehen. Es gibt zwei Gründe dafür - erstens die Anzahl der vorhandenen CICS-Benutzer ohne DBMS und zweitens die Tatsache, daß mit der Umstellung von DOS auf OS normalerweise CICS mitübernommen wird. Die Unterstützung und Entwicklung wird zweifellos für jedes dieser Pakete fortgesetzt werden.

Vor einigen Jahren wurde IMS in aller Stille umstrukturiert. Der Programm-

Isolationscode wurde aus dem DC-Teil herausgenommen, wo er sich ursprünglich befand, und in den DB-Teil eingebracht, wo er gleichermaßen für CICS, verfügbar ist. Heutzutage gibt es keinen Unterschied in der Programm-Isolation zwischen CICS und IMS/DC. Der Begriff DL/1-CICS- "Interface" ist verdrießlich und in gewisser Weise irreführend, da

das tatsächlich Erreichte eine Integration ist.

Die Systemeigenschaften beider DP-Installationen sind grundsätzlich gleichwertig. Zum Beispiel gibt es für IMSs Message Format Service (MFS) unter CICS einen "Basic Mapping Support", und anstelle von MSC gibt es ISC (Intersystem Communication).

CICS/DL/1 mit IMS/DC inkompatibel

CICS/DL/1 hat eine enorme Flexibilität. Da CICS und IMS/DC über gleichwertige Funktionen verfügen, lohnt sich das Nachdenken bei der Wahl zwischen beiden Systemen. Ein früherer Unterschied zwischen den Systemen, das Fehlen der Unterstützung für Multiple Message Processing Regions innerhalb von CICS, ist nun durch die Unterstützung für dieses Feature innerhalb des neuen CICS-Release 1.5 eliminiert worden.

Mit Release 1.4 von CICS/OS/VS im Jahre 1978 wurde die Unterstützung für gemeinsam benutzte Datenbanken zur Verfügung gestellt, die es Stapelprogrammen in voneinander getrennten Regionen ermöglicht, auf DL/1-Datenbanken unter CICS-Steuerung zuzugreifen. Gegenwärtig gibt es in IMS/DC, anders als in CICS, keine Integritätsunterstützung für direkte VSAM-, BDAM- oder ISAM-Dateien. Es scheint nicht möglich zu sein, ein einziges kompatibles System zwischen CICS/DL/1 und IMS/DC zu bauen. Funktionell gesehen, kann jedoch erwartet werden, daß die beiden Systeme näher aneinanderrücken.

Sowohl aus technischen wie aus konzeptionellen Gründen hat sich IBM nicht den seit 1969 bestehenden CODASYL-Vorschlägen einer Datenbanksprache angeschlossen. Seit 1978 jedoch, so kann festgestellt werden, sind alle offenen technischen Probleme gelöst.

Warum schließt man sich den Vorschlägen jetzt nicht an? Das konzeptionelle Problem bleibt bestehen - es ist IBMs Position, daß die Idee eines "Datenmodells für jeden", insbesondere eines solch komplexen wie das des CODASYL-Netzes, einfach nicht die richtige Wahl für die Allgemeinheit der Datenbankanwender ist.

Wenn jedoch ein ANSI-Standard wirksam wird, muß sich IBM damit beschäftigen, wie man ein entsprechendes DBMS für die Kunden liefern wird.

Die Herausgabe einer Sprachstandardisierung ist ein wichtiger Punkt, da IBM vorerst nicht bereit ist verfahrensorientierte Sprachen aufzugeben. Trotz der Fortschritte mit ADF und DMS ist dieser Punkt einfach noch nicht erreicht worden. Auch kein anderer Hersteller ist bereits an diesem Punkt.

Relationale Systeme: Nicht "System R"

Das "R" des "Systems R" kann zusätzlich zum Begriff "relational" auch für den Begriff "research" (Forschung) stehend angesehen werden. In seiner jetzigen Version muß das System als Prototyp betrachtet werden. Es ist keine vollständige Implementation, die IBM als Alternative oder Ersatz für andere Datenbankprodukte anbieten würde.

Nach dem heutigen Stand der Dinge wird System R wahrscheinlich niemals als ein Produkt geliefert werden.

Eine Grundposition, die IBM einnimmt, ist die, daß beim Aufbau eines neuen Datenbankangebotes alte Programme in der Lage sein müssen, an neue Daten zu gelangen, und neue Programme an alte Daten. Das System R scheint weder eine Hierarchie noch ein Netz besonders gut zu unterstützen. Seine Datenspeichermethode wird nicht die wesentliche Eigenschaft irgendeiner künftigen relationalen Lösung darstellen.

Relationale Systeme werden kommen, aber nicht sofort. Sie werden bestimmt nicht dieses Jahr auf dem Markt erscheinen.

Hardware- Technologie: Optimierungsprobleme

Aus Erfahrung ist bekannt, daß die Implementierung von Teilen in Mikrocode für bestimmte Funktionen von IMS beträchtliche Vorteile mit sich bringen kann. Aber vom Standpunkt der IBM aus ist eine solche Vorgehensweise nicht für jeden Betroffenen von Vorteil.

Aufgrund von Experimenten glaubt man auch, daß ein einziger Datenspeicher DL/1, CODASYL und relationale Datenstrukturen unterstützen kann. IBM will sich diesem Bereich in Zukunft intensiv widmen. Die Optimierung ist augenscheinlich der heikelste Teil dieser Entwicklung: Wenn der Datenspeicher unter einem Gesichtspunkt optimiert ist wird eine andere Betrachtungsweise dafür den Preis zu zahlen haben. Hier liegt derzeit das größte Problem. Die langfristige Lösung kann nicht-routierende oder reale Hauptspeicher und Magnetblasenspeicher beinhalten, aber diese Lösungen liegen noch in einiger Entfernung.

Distributed Data Processing:

Wird kommen

Etliche Kunden glauben, daß die zentralisierte Datenverarbeitung nicht abnehmen wird. Dennoch wird DDP kommen, und zwar schnell und ungestüm.

Die 4300 ist eine interessante Hardware, die auch unter dem Gesichtspunkt von DDP gesehen werden sollte. Das wirkliche Problem bei DDP ist nicht mehr die Verarbeitung, sondern der Erwerb der Kenntnisse über die Verteilung der Daten. Ein wichtiger erster Schritt zum DDP ist das MSC-Transaktions-Routing unter IMS und das ISC-Routing unter CICS. Benutzer von MSC, das im Gegensatz zu ISC lizenzpflichtig ist, sind zahlenmäßig weniger als 100, doch ist eine starke relative Zunahme zu verzeichnen.

*Frederick H. Schuchardt ist Geschäftsführer der Data Research International GmbH, Otto-Hahn-Str. 40, D-6382 Friedrichsdorf 2.