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EXKLUSIV: Richard Roy über das Urteil

15.06.2000
Gespräch mit dem deutschen Microsoft-Chef + Hintergrundinfos

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach dem Richterspruch im Washingtoner Kartellprozess ist Microsoft um Schadensbegrenzung bemüht. Richard Roy, Geschäftsführer von Microsoft Deutschland, gibt sich überzeugt, dass das Urteil in der Berufungsinstanz keinen Bestand haben wird. Mit ihm sprachen die CW-Redakteure Jan-Bernd Meyer und Wolfgang Herrmann.

CW: Die von Richter Jackson angeordnete Aufspaltung kam nach dem Prozessverlauf nicht mehr überraschend. Welche Vorbereitungen hat Microsoft in Deutschland für diesen Fall getroffen?

ROY: Es gibt für uns im Moment keinen Bedarf, etwas vorzubereiten. Wir haben sofort beantragt, dass neben der Aufteilung auch sämtliche anderen Strafmaßnahmen durch eine einstweilige Verfügung so lange außer Kraft gesetzt werden, bis ein endgültiges Urteil vorliegt. Bis dahin können noch mindestens 12 bis 36 Monate vergehen.

CW: Das heißt, sie haben noch keinerlei Vorkehrungen getroffen, beispielsweise hinsichtlich einer räumlichen Trennung von Vertriebsteams für Betriebssysteme und Office-Produkte?

ROY: Es wäre absoluter Unsinn, so etwas jetzt zu tun. Wir sind der festen Überzeugung, dass das, was jetzt als Strafmaß definiert ist, niemals in Kraft gesetzt wird.

CW: Richter Jackson hat in seiner Urteilsverkündung einen überraschend harschen Ton angeschlagen. Microsoft sei nicht vertrauenswürdig und zu keinem Zeitpunkt bereit gewesen, Gesetzesverstöße zuzugeben. Wie reagieren Sie auf diese Vorwürfe?

ROY: Jackson hat die ganze Zeit über eine sehr harsche Sprache benutzt. Wir haben schon einige Erfahrung mit ihm. Er hat uns ja bereits vor zwei Jahren dazu verurteilt, Internet-Funktionen aus Windows 95 herauszunehmen. Das Berufungsgericht hat danach entschieden, dass das, was wir getan haben, im Interesse der Konsumenten lag. Außerdem empfahl das Berufungsgericht, dass sich ein Gericht nicht in die Produktentwicklung von Unternehmen einmischen solle.

CW: Jackson hat mit seinen Aussagen ja auch auf den Prozessverlauf angespielt. Dort kam es immer wieder zu peinlichen Situationen. Ein Beispiel ist das manipulierte Video, das die Verteidigung vorführte. Der Richter hat in einem Interview klar gemacht, dass Probleme hinsichtlich der Glaubwürdigkeit Microsofts entscheidend zu dem harten Urteil beigetragen haben.

ROY: Das harte Urteil ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist: Obwohl wir der Meinung sind, nichts Illegales getan zu haben, haben wir sehr weit gehende Vorschläge für eine außergerichtliche Einigung gemacht. Leider war die Gegenpartei nicht in der Lage, sich auf einen einheitlichen Standpunkt zu einigen. Man kann jetzt noch viel über diese erste Instanz diskutieren. Diese ist zu einem Urteil gelangt, das für uns nicht schön ist. Wenn man aber etwa einen Vergleich zur Champions League zieht, würde ich sagen: Wir haben das Hinspiel auswärts verloren, sind aber zuversichtlich, dass wir im Rückspiel das Ergebnis umdrehen werden.

CW: Man hat den Eindruck, Microsoft interessiere sich gar nicht sonderlich für die möglichen Konsequenzen aus dem Urteil, sondern lege es in erster Linie darauf an, Zeit zu gewinnen. Müssten Sie aber nicht an einem schnellen Abschluss des Verfahrens interessiert sein, um Geschäftspartner und Kunden nicht weiter zu verunsichern?

ROY: Wenn wir auf Zeit spielen wollten, hätten wir in den außergerichtlichen Verhandlungen mit Herrn Posner nicht solch weit reichende Vorschläge unterbreitet. Das war ein großes Entgegenkommen mit dem Ziel, das Verfahren möglichst schnell zu beenden. Posner hat die Kooperationsbereitschaft Microsofts und des Department of Justice ausdrücklich gelobt. Dass er die Bundesstaaten hier nicht erwähnt hat, spricht eine eigene Sprache

CW: Ein anderer Bestandteil des Urteils sind strenge Restriktionen bezüglich der Geschäftspraktiken Microsofts. Diese sollen innerhalb von 90Tagen wirksam werden, wenn sie nicht durch einen Dringlichkeitsantrag aufgeschoben werden. Dem Richterspruch zufolge darf Microsoft beispielsweise künftig keine Verträge mehr abschließen, die es PC-Herstellern verbieten, auf ihren Rechnern auch Software von Konkurrenten vorzuinstallieren. Könnten Sie diesem Punkt zustimmen?

ROY: Es gab noch nie Verträge, in denen wir jemandem verboten haben, andere Software auf einen Rechner aufzuspielen.

CW: Im Prozessverlauf gab es unzählige Belege dafür, dass Microsoft PC-Hersteller unter Druck gesetzt hat, wenn diese andere Betriebssysteme einsetzten. Beispielsweise mussten solche Hersteller für eine Windows-Lizenz deutlich mehr bezahlen oder mit anderen schädlichen Maßnahmen rechnen.

ROY: Es gibt Verträge, in denen die Stückzahlen eine Rolle spielen. Wenn sich diese Werte reduzieren, wird man möglicherweise auch die Preise erhöhen. Das ist ein ganz normales Vorgehen in der Branche.

CW: Ein Compaq-Manager hat ausgesagt, Microsoft habe damit gedroht, keine Windows-Lizenzen mehr zu gewähren, wenn der Hersteller weiter seine PCs auch mit konkurrierender Software ausliefert.

ROY: Ich werde mit Ihnen jetzt nicht noch einmal die Beweisaufnahme durchgehen. Die Verträge, die wir hier in Deutschland schließen, beinhalten derartige Klauseln nicht. Sonst hätten wir schon längst Probleme mit dem deutschen Kartellamt.

CW: Dennoch scheinen einige dieser Restriktionen ja durchaus sinnvoll zu sein. Es gibt beispielsweise den Vorschlag, für große OEM-Partner ein einheitliches Preisschema für Windows-Lizenzen zu veröffentlichen.

ROY: Als großer OEM würde ich mich mit so einem Schema ganz schlecht fühlen. Das ist ein Kartell in eine andere Richtung.

CW: Compaq hat sich ja schon in diesem Sinne geäußert und seine Besorgnis kundgetan, künftig keine Vorzugskonditionen mehr zu erhalten. Gibt es auch andere Partner, die das kritisieren, oder hat nur Compaq dieses Problem?

ROY: Ich werde hier nicht über einzelne Partner reden. Wie unsinnig diese Regelung ist, können Sie aber schon daran erkennen, dass sie vorsieht, dass die 20 größten Kunden den gleichen Preis bekommen sollen. Es gibt riesige Differenzen zwischen der Nummer eins und der Nummer 20. Was in dem Papier steht, hat mit der Praxis im allgemeinen Geschäftsleben nichts zu tun.

CW: Wie stehen Sie zu der Forderung, Programmierschnittstellen (APIs) und andere technische Informationen künftig unabhängigen Hard- und Softwareherstellern zur gleichen Zeit zur Verfügung zu stellen wie Microsofts eigenen Programmierern? Nach der Argumentation des Richters ließe sich damit mehr Chancengleichheit im Markt herstellen.

ROY: Wenn eine Firma Lotus ihre Produkte exakt zum gleichen Zeitpunkt - also zum Launch von Windows 2000 - auf den Markt bringen kann wie wir, frage ich mich: Wo liegt das Problem? Wenn man uns unterstellen würde, mit APIs Diskriminierung zu betreiben, würde ich die Frage verstehen. Aber selbst schärfste Mitbewerber sind heute in der Lage, zum Zeitpunkt der Auslieferung einer neuen Windows-Version angepasste Produkte anzubieten.

CW: Anders gefragt: Was wäre so schlimm daran, wenn Sie beispielsweise Windows zu einem Open-Source-Produkt machen würden? Im Linux-Markt lässt sich ja auch Geld verdienen.

ROY: Eine der Stärken von Windows ist es, dass jeder Entwickler, egal in welchem Land, für eine einheitliche Plattform Programme schreiben kann. Bei Linux ist das anders. Ein großes Unternehmen, das heute plant, bestimmte Standardanwendungen auf Linux einzusetzen, bekommt Probleme. Welches Derivat soll es nehmen? Das von Red Hat, von Suse oder von Caldera? Es ist überhaupt noch nicht bewiesen, dass Linux ein Erfolg ist. Linux ist ein Hype.

CW: Die Marktzahlen sprechen eine andere Sprache.

ROY: Warten wir doch die nächsten zwei oder drei Jahre ab. Warten wir ab, ob wir nicht letztendlich fünf Derivate haben und ob die Entwicklergemeinschaft im Zuge der fortschreitenden Kommerzialisierung noch bereit ist, etwas für Linux zu tun.

CW: Es gibt Stimmen, die besagen, Microsofts nächstes großes Softwareprojekt, "Next Generation Windows Services" (NGWS), werde durch dieses Urteil möglicherweise beeinträchtigt, weil die Entwicklergemeinschaft nun verunsichert ist.

ROY: Wir führen diese Diskussion mit unseren Kunden. Die wollen wissen, wie es jetzt weitergeht. Wo steckt beispielsweise das Active Directory, wenn die Firma möglicherweise geteilt wird? Wir versuchen zu erklären, welche die nächsten Schritte sind. In puncto NGWS sieht das so aus: Am 22. Juni findet die Präsentation statt. Wir haben diese Veranstaltung verschoben, weil wir nicht in den Trubel dieses Gerichtsurteils hineinkommen wollten.

CW: Wir entnehmen ihren Worten, dass Microsoft beschwingt und sorglos ins Wochenende geht. Den Mitarbeitern geht es so gut wie selten, es gibt keinerlei Grund zur Beunruhigung...

ROY: Das ist eine unzulässige Übertreibung. Realistisch betrachtet bleibt festzustellen: Die erste Instanz ist vorbei. Das hat uns wehgetan und tut uns weh. Vieles, was über das Unternehmen behauptet wurde, ist einfach nicht wahr.

CW: Wie geht es Ihnen denn persönlich damit? Was empfinden Sie, wenn gesagt wird, Sie arbeiteten in einer Firma, die völlig unglaubwürdig sei und am Rande der Kriminalität operiere?

ROY: Die Antwort ist einfach. Ich bin extrem stolz, für dieses Unternehmen zu arbeiten, und ich liebe es.

HINTERGRUND: Hängepartie mit ungewissen Folgen

Richter Thomas Jackson hat in seinem Urteil im Kartellrechtsprozess gegen Microsoft die Zweiteilung des Softwarekonzerns angeordnet und die Gates-Company mit einschneidenden Auflagen bezüglich ihrer Geschäftspraktiken gemaßregelt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Microsoft hat bereits eine Aufschiebung der Rechtswirkung beantragt und bereitet eine Berufung vor.

Obwohl das Urteil in keiner Weise mehr überraschen konnte, ist es doch bemerkenswert. Immerhin fällte es ein Richter, der noch vom ultrakonservativen republikanischen Ex-US-Präsidenten Ronald Reagan ins Amt gesetzt worden war. Jackson hatte in den 80er-Jahren verschiedentlich - so in einem Verfahren gegen General Motors - bewiesen, dass er durchaus einer industriefreundlichen Rechtsprechung im Sinne der republikanischen Regentschaft zuneigt. Auch hatte Jackson in einem frühen Stadium des Kartellrechtsprozesses gegen Microsoft durchblicken lassen, dass ihm nicht daran gelegen sei, an Microsoft ein harsches Exempel zu statuieren.

Das Urteil von vorvergangener Woche kommt deshalb aus der persönlichen Disposition von Richter Jackson einer judikatorischen Explosion gleich. Microsoft selbst kommentierte es - insbesondere natürlich wegen der drohenden Aufteilung des Konzerns - als "Todesurteil" für das Unternehmen.

Keiner, der den Prozessverlauf verfolgt hat, durfte aber nicht überrascht sein von der Härte der Rechtsprechung. Wer Jacksons Memorandum las, das separat zum Urteil veröffentlicht wurde, machte schnell die zwei Schlüsselbegriffe aus, welche die Einstellung des Richters gegenüber dem Angeklagten begründeten: Microsoft hat sich in der Vergangenheit als "nicht vertrauenswürdig" erwiesen. Vielmehr hat sich das Unternehmen schon früher nur "zum Schein", "vorgeblich" und in "unaufrichtiger" Weise Gerichtsentscheidungen gebeugt. Solche Art Foulspiel wird in den USA zumindest dann nicht gern gesehen, wenn es ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerät. Genau diese für das Unternehmen sehr negative Öffentlichkeitswirkung hat sich Microsoft aber vor allem auch durch sein sehr ungeschicktes Auftreten vor Gericht in den vergangenen knapp zwei Jahren selbst zuzuschreiben.

Das "Todesurteil":

Jacksons Urteil sieht eine auf die Dauer von zehn Jahren angelegte Splittung von Microsoft in zwei Unternehmen vor: Zum einen in ein Betriebssystem-Unternehmen, das PCs, Server, Settop-Boxen, Handheld-Computer und Handies mit Windows und Windows-Varianten beliefern soll. Zum anderen in eine Anwendungs-Company, die sich künftig unter anderem um die Office- und Back-Office-Varianten sowie die SQL- und SNA-Server, die gesamte Interner-Software-Palette sowie Entwicklungswerkzeuge zu kümmern hätte.

Die beiden Unternehmen müssen, ist die Teilung vollzogen, unabhängig voneinander agieren. Ihnen ist verboten, Joint Ventures miteinander zu bilden und Beteiligungen aneinander zu erwerben. Manager der beiden abgesplitteten Firmen haben nicht das Recht, nach der Aufteilung in Gremien des jeweils anderen Unternehmens zu sitzen; beide Firmen dürfen sich weder bei der Entwicklung und Lizenzierung noch bei der Vermarktung von Produkten gegenseitig helfen.

Microsoft-Gründer Bill Gates hatte schon vor Jahren über solch eine Aufteilung Überlegungen angestellt und gesagt, solch eine "Chinesische Mauer durch das Unternehmen ist schlichtweg Unsinn". Nichtsdestotrotz soll der Softwarekonzern, so eine weitere Urteilsauflage, innerhalb von vier Monaten einen Plan vorlegen, wie solch eine Zerteilung vonstatten gehen könnte. Doch das Unternehmen denkt gar nicht an eine Aufteilung und macht sich deshalb auch keine Gedanken über eine mögliche Umsetzung.

Folgen für die Geschäftsbeziehungen könnten erheblich sein

Genauso abschlägig beschied Roy Befürchtungen, die von Richter Jackson angeordneten weiteren Auflagen zur Reglementierung des Geschäftsgebarens von Microsoft könnten negative Auswirkungen auf die Beziehungen zu den Geschäftspartnern wie etwa den OEMs, also den PC-Herstellern, oder zu den Software-Entwicklern haben.

Die Auflagen von Richter Jackson entfalten bereits innerhalb von 90 Tagen nach der Urteilsverkündung ihre Wirkung. Voraussetzung ist allerdings, dass die Gates-Company keine Berufung gegen das Urteil einlegt, wovon allerdings auszugehen ist. Ein Rechtsmittel zur aufschiebenden Wirkung des Urteils hat Microsoft bereits eingelegt. Über diese Eingabe muss nun Richter Jackson kurzfristig entscheiden.

Microsoft darf gemäß den Auflagen dann keine Strafaktionen mehr solchen OEMs auferlegen, die auf ihren Rechnern andere als Microsoft-Produkte aufspielen. Hierzu zählt das Gericht unter anderem auch die willkürliche Zuteilung von Discounts, nach- beziehungsweise vorteilige Lizenzierungsangebote oder die Unterstützung bei Marketing- oder Vertriebsaktionen. Hierzu gehört auch die frühzeitige Information über künftige Produkte beziehungsweise Hinweise zu Produkten oder Technologien.

Microsoft muss zudem den Partnern aus der Hardwarebranche einheitliche Lizenzierungsangebote für das Windows-Betriebssystem machen und darf niemanden bevorzugen. Dieser Passus stieß etwa bei Compaq, dem weltweiten PC- und PC-Server-Marktführer, auf Missfallen. Die Texaner wollen auch in Zukunft nicht Gleicher unter Gleichen sein, sondern wegen der großen Abnahmemenge von Betriebssystemlizenzen verwöhnt werden.

OEM-Partner dürfen von der Gates-Company auch in keiner Weise bei der Entscheidung beeinflusst werden, wie sie auf ihren Rechnern die Benutzeroberfläche beim Start des Betriebssystems gestalten, welche Internet-Verbindungs-Software sie jeweils aufspielen, welche Icons auf dem Start-Bildschirm angezeigt werden oder welche Middleware-Software der PC-Hersteller präferiert etc.

Microsoft darf zudem nicht wissentlich versuchen, die Leistungsfähigkeit von Middleware-Software anderer Hersteller, die auf Windows läuft, durch technologische Kniffe zu beeinträchtigen. Wenn Microsoft die Manipulation fremder Softwareprodukte plant, muss dies dem betreffenden Hersteller mitgeteilt werden.

Ausgeschlossen sein sollen künftig auch Sondervereinbarungen mit Dritten in der Absicht, diesen Vertragspartnern das Versprechen abzunötigen, die Entwicklung, Herstellung und Distribution von anderen als Microsoft-Produkten zu limitieren beziehungsweise deren Leistungsfähigkeit bewusst zu reduzieren. Verträge, ausschließlich Microsoft-Produkte zu distribuieren, darf es nach dem Urteil auch nicht mehr geben.

Knebelverträge, die Microsofts Partner verpflichten, mit Windows-Lizenzen auch andere Microsoft-Software zu erwerben, sollen ebenfalls der Vergangenheit angehören. Der Erwerb von Microsoft-Middleware darf nur noch unter Einschränkungen an die Vergabe des Windows-Betriebssystems gekoppelt werden.

Vorschläge von Microsoft an Hersteller von konkurrierenden Betriebssystem- und Middleware-Produkten, solche Entwicklungen ganz oder teilweise einzustellen, um so die Wettbewerbssituation von Microsoft zu verbessern, sind ebenfalls verboten. Schließlich muss das Softwarehaus künftig auch bei allen wesentlichen Releasewechseln wie etwa "Windows 95", "98" oder "2000 Professional" jedem OEM-Partner drei Jahre lang die Vorgängerversion zu den gleichen Bedingungen wie bisher anbieten.

Mit wenig Verständnis dürfte Microsoft zudem auf die nach der Teilung in Kraft tretende Auflage reagieren, sämtliche APIs, Kommunikationsschnittstellen und sonstige technische Informationen seiner Softwareprodukte rechtzeitig an ISVs, IHVs und OEMs offenzulegen. Qualifizierte Repräsentanten dieser drei Gruppen müssen die Möglichkeit erhalten, Einblick in die relevanten Teile des Sourcecode zu nehmen, um so die reibungslose Zusammenarbeit ihrer Produkte mit denen von Microsoft zu gewährleisten.

Diese einschneidenden Auflagen entfalten nach Ansicht von Industriebeobachtern innerhalb kurzer Zeit ihre Wirkung auf die Geschäftsbeziehungen von Microsoft mit seinen Partnern. Ein Anzeichen für mögliche gravierende Veränderungen der Marktgegebenheiten mag man in der Ankündigung des nicht unwichtigen Microsoft-OEMs IBM sehen, der innerhalb weniger Tage nach der Urteilsverkündung bekannt gab, bestimmte Produktlinien der "Thinkpad"-Notebooks mit dem Windows-Konkurrenz-Betriebssystem Linux auszustatten. Hewlett-Packard hat vor drei Tagen gemeinsam mit Intel ein kostenloses Software-Kit vorgestellt, das die Entwicklung von Linux-Applikationen für Intels 64-Bit-Prozessor "Itanium" beschleunigen soll. Darüber hinaus gab SCO bekannt, neben seinem bisherigen Unix-Engagement auch eine eigene Linux-Version zu schreiben.

Ganz aktuell ist auch ein erweitertes, weltweit gültiges OEM-Abkommen zwischen der Suse Linux AG und Compaq. Dieses ermöglicht es Compaq, alle "Proliant"-Modelle, die gesamte "Alpha-Server-DS-" und "-ES"-Produktlinien sowie alle "Alpha-Stations" ab Werk mit dem Suse-Linux-Betriebssystem auszustatten.

Mit einer Steigerungsrate von 166 Prozent ist Linux laut einer Ende April 2000 veröffentlichten IDC-Studie das Betriebssystem in der Server-Branche, dessen Marktdurchdringung am schnellsten zunimmt. Nach den IDC-Zahlen verkaufte Compaq im vergangenen Jahr 42 000 Linux-basierende Server und lag mit einem Marktanteil von 25 Prozent deutlich vor allen anderen Mitbewerbern. IBM konnte im gleichen Zeitraum 17 000, Dell 15 000 und Hewlett-Packard 14 000 Linux-Server absetzen.

Schon jetzt dürften Tausende von Entwicklern, die ihre Strategie auf Microsofts "Next Generation Windows Services" (NGWS) ausrichten und ihre Produkte auf Windows 2000 portieren sowie Software für die von Microsoft geplanten "Exchange"- und "SQL-Server-2000"-Versionen entwickeln wollen, verunsichert sein über die Zukunft der Gates-Comapny.

Rob Enderle, Analyst der Giga Information Group, glaubt, dass Microsoft-Partner und Kunden gezwungen sein könnten, ihre Geschäftspläne wegen der unsicheren juristischen Situation auf andere Optionen inklusive diverser Unix-Varianten auszurichten. Derzeit dürfte es zunehmend schwerer werden, gemeinsame Projekte mit Microsoft finanziert zu bekommen. Softwarehäuser, die bislang schon mit Microsoft nichts am Hut hatten, werden sich ohnehin von Technologien des Softwaregiganten fernhalten, ist sich Enderle sicher. Aber auch diejenigen, die Kooperationen mit Microsoft eingegangen sind, dürften jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach Ausfallpläne oder Alternativen entwickeln.

Auf lange Sicht werde es für OEMs im Falle einer Aufteilung von Microsoft leichter, wieder innovative Produkte zu entwickeln, die auf die Bedürfnisse spezieller Märkte zugeschnitten sind. Als Begründung zitieren Branchenkenner die Jackson-Auflage, nach der OEMs künftig beispielsweise das Recht haben, Boot-Sequenzen genauso wie die Erscheinungsweise der Benutzeroberfläche nach Belieben zu verändern. Die Industrievereinigung Computer and Communications Industry Association (CIIA) sprach genau diesen Punkt an. Eine Aufteilung von Microsoft würde, so CIIA-Vice-President Jason Mahler, neue Chancen eröffnen für PCs, die unterschiedlichen Marktbedürfnissen wie etwa kindergerechten Computern entgegen kommen. Diese ließen sich etwa mit speziellen Icons oder standardmäßig eingerichteten und auf die Interessen von jungen PC-Benutzern ausgerichteten Verbindungen zum Internet ausstatten.