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EXKLUSIV: Interview mit Linus Torvalds

13.10.2000
"Der Markt ist ein strenger Lehrer"

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Linux steht an der Schwelle zu einer Durchdringung der IT bei professionellen Anwendern. Zugleich stellt es das klassische Business-Modell der Softwareindustrie in Frage. Linus Torvalds, der "Vater" des quelloffenen Betriebssystems, stand auf der ersten deutschen Linuxworld Conference & Expo den Computerwoche-Redakteuren Ludger Schmitz und Christoph Witte Rede und Antwort.

CW: Vor genau neun Jahren, am 5. Oktober 1991, ist mit Version 0.02 das erste öffentliche Release des Linux-Kernels erschienen. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Aber warum lässt die Version 2.4 seit Frühjahr 2000 auf sich warten?

TORVALDS: Wir hatten uns vorgenommen, mit neun Monaten Entwicklungszeit auszukommen, das war unrealistisch. Während der Entwicklung wurden unerwartete Neuheiten realisierbar. Jetzt glauben wir, wohl noch gut zwei Monate zu brauchen, also bis Ende dieses Jahres.

CW: Welche Neuigkeiten kommen denn?

TORVALDS: An erster Stelle haben wir auf eine bessere Skalierbarkeit Wert gelegt. Unterstützung von acht Prozessoren kann ich versprechen, tatsächlich arbeiten wir schon an der für 16 CPUs. In einem Jahr werden wir vielleicht gleich auf mehr, nämlich auf 32 oder 64 Prozessoren skalieren können. Aber Skalierbarkeit hat noch andere Aspekte, zum Beispiel ein 64-Bit-File-System, Dateigrößen oder Speicher. Professionelle Anwendungen wie Datenbanken brauchen das einfach. Im Frühjahr war die Skalierbarkeit des File-Systems eine Möglichkeit, auf die wir nicht verzichten wollten. Das Ergebnis war eine ziemlich weitgehende Überarbeitung des alten Systems.

CW: Wurden Sie von der Arbeit am Kernel durch Sorgen um die Einheit von Linux abgelenkt?

TORVALDS: So viele Sorgen hat es mir nicht gemacht. Klar, dass nach der Fragmentierung von Unix diese Bedenken aufkommen. Aber das beste Mittel dagegen ist Open Source und insbesondere die General Public License (GPL). Es gibt zwei Gründe für Spaltungen: Erstens will jemand etwas Neues machen. Das ist eine Fragmentierung, die wir brauchen, auch wenn nicht alle neuen Ideen gut sind. Der zweite Grund sind politische Auseinandersetzungen zwischen Anbietern, die sich voneinander differenzieren wollen. Das gilt auch für Linux-Companies. Aber die GPL, die Wiederveröffentlichung des Codes, bewahrt uns hier vor der ständigen Neuerfindung des Rades.

CW: Üben die Distributionen Druck auf die Entwicklung von Linux aus?

TORVALDS: Schon, aber nicht wirklich entscheidend. Firmen wie Suse oder Red Hat haben ihre eigenen Leute, um bestimmte Entwicklungen in ihrem Interesse voranzutreiben. Das Endresultat ist unter GPL-Bedingungen aber immer eine Art Schnittmenge all dieser Anstrengungen.

CW: Ist ein höheres Maß an Standardisierung nötig, um eine Fragmentierung von Linux zu verhindern?

TORVALDS: Standardisierung ist nur ein Mittel gegen Zersplitterung. Ein bestimmtes Maß an Fragmentierung ist nicht falsch, solange es Mittel gibt, doch noch eine gemeinsame Lösung zu finden. Das war bei Unix früher nicht so. Da tauchten völlig unvereinbare Lösungen für ein und dasselbe Problem auf. Hier zeigt sich der Vorteil der GPL: Bei uns dreht sich die Diskussion darum, was beispielsweise die File-Systeme "Ext3" und "Reiser-FS" gemeinsam haben und wie sie zu integrieren sind.

CW: Laufen denn die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Gnome und KDE auf eine einheitliche Oberfläche hinaus?

TORVALDS: Die Diskussion hat vor allem die Leute in den Projekten motiviert. Ich glaube, am Ende läuft es darauf hinaus, dass die besten Teile von allen Projekten zu einem Desktop verschmelzen. Aber ich bin für Wettbewerb und Evolution. Der Markt ist ein strenger Lehrer. Wenn er sagt, dass zwei Desktops ein Problem sind, werden wir am Ende nur einen haben.

CW: Die Desktops zu erobern wäre natürlich eine schöne Sache für die Linux-Gemeinde. Noch aber ist Linux ein Web-Server-Betriebssystem.

TORVALDS: Der Grund für die starke Verbreitung von Linux bei Web-Servern ist "Apache". Für diese Server braucht man Apache und sonst nicht viel. Der Desktop-Markt verlangt mehr, vom Look and feel bis zu den Anwendungen, das sind sehr individuell ausgeprägte Anforderungen. Die Linux-Entwicklung geht eindeutig Richtung Desktop, aber bis wir einen großen Marktanteil haben, könnte es noch Jahre dauern.

CW: Hat Linux in der Zwischenzeit mehr Erfolg in Sachen Application-Server?

TORVALDS: Das ist der nächste Schritt über den Web-Server hinaus. Hier braucht es kein so ein breites Applikationsangebot wie bei Desktops. Aber momentan hat Linux die größten Erfolgsaussichten im Bereich Embedded Systems, im Markt für Devices, vor allem bei PDAs und Handys.

CW: Die Nachteile von Linux sehen kommerzielle Anwender vor allem im Mangel an Anwenderfreundlichkeit, Services, Entwicklungs-Tools, Skalierbarkeit.

TORVALDS: Viele Anwender sind daran gewöhnt, Computer ausschließlich nach dem Windows-Muster zu nutzen. Linux ist anwenderfreundlich, aber anders. Das wird noch einige Zeit ein Thema sein. Skalierbarkeit kann man nie genug bekommen. Aber es gibt nicht so viele Unternehmen, die auf 500 CPUs skalieren wollen. Tools? Es gibt niemals genug Tools für all die Arbeiten in der IT. Ein in der Tat offenes Feld ist Rapid Application Development. Aber die besten Leute in der Linux-Welt arbeiten nun einmal derart professionell mit den Systemen, dass sie einfach kein Interesse mehr an einfachen Werkzeugen haben.

CW: Wirken die immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen zwischen den Flügeln der Community abschreckend auf professionelle Interessenten?

TORVALDS: Während des letzten Jahres haben die meisten Leute begriffen, was Open Source bedeutet. Sie mögen damit noch nicht übereinstimmen, aber ich muss Open Source nicht mehr erklären wie vor ein paar Jahren noch. Open Source ist nicht die einheitliche Bewegung, wie Outsider sie gerne sehen. Es gibt den extrem ideologischen Standpunkt von Richard Stallman und der Free Software Foundation, für die kommerzielle Interessen keine Berechtigung haben. Aber da gibt es auch die Mitte, die einen pragmatischeren Standpunkt vertritt. Ich bin Pragmatiker, der auch kommerziellen Anbietern eine Entfaltung zubilligt. Und die bilden den dritten Flügel, also Geschäftsleute, denen Open Source sympathisch ist, weil es weniger kostet.

CW: Hat das zunehmende geschäftliche Interesse der traditionellen IT-Softwareindustrie, ihr Engagement für Linux, Einfluss auf die Entwicklung von Linux gehabt?

TORVALDS: Bei der Kernel-Entwicklung überhaupt nicht. Es gibt jede Menge Interessen seitens aller, von IBM bis Suse. Die Entwicklung läuft trotzdem wie immer. Wenn ich einen Patch von einem IBM-Angstellten kriege, danke! Aber offen gestanden ist es mir als Entwickler ziemlich egal, welche Wünsche zum Beispiel die IBM hat. Da bin ich Techie für Linux und sonst nichts.

IT-Unternehmen differenzieren sich nicht so sehr über die Kernel-Versionen. Sie konkurrieren über die Qualität der Integration von Programmen und die Qualität des Supports. Man kauft doch kaum noch eine Linux-Distribution, sondern eine Menge spezifischer Produkte um sie herum.

CW: Es geht also bei Linux eigentlich nicht mehr in erster Linie um den Kernel?

TORVALDS: Mein Ego würde dem natürlich widersprechen. Der Kernel ist der zentrale Teil von Linux, aber sicher nicht der wichtigste. Für den Großteil der normalen Anwender sind die Unterschiede zwischen Version 2.2 und 2.4 nicht so wichtig. Gut, das System als solches arbeitet schneller, aber wer mit einer Benutzeroberfläche arbeitet, bemerkt den Unterschied kaum.

DER LINUX-VATER

Alter: 29

Verheiratet, zwei Töchter

Arbeitgeber: Transmeta Corp.

E-Mail: linus@transmeta.com

1991 erfand Linus Torvalds als Student der Informatik an der Universität von Helsinki das quelloffene Unix Linux. Neun Jahre später schickt sich das Betriebssystem an, die Dominanz von Microsoft zu brechen. Im Server-Bereich kann Linux bereits nennenswerte Marktanteile vorweisen, für den Desktop-Markt muss die vielköpfige Entwicklerschar noch einiges in Sachen Installation, Administration, Treiber und Benutzeroberfläche tun.

Zitat: "Software ist wie Sex - sie ist besser, wenn sie nichts kostet."

Sie wollen mehr über die Person Linus Torvalds wissen? Zur weiterführenden Lektüre können wir eine bei "Softpanorama" erschienene (nicht autorisierte) Kurzbiografie (englischsprachig) empfehlen.

CW: Auf der einen Seite sind Sie eine der herausragenden Persönlichkeiten der Open-Source-Welt, auf der anderen Seite könnten sich Firmen Ihrer guten Arbeit für ganz einfach schnöde Business-Ziele bedienen. Wie fühlt man sich da?

TORVALDS: Es kümmert mich nicht sonderlich. Ich bin weit genug Techniker, um das vergessen zu können. Kommerzielle Pressionen empfinde ich nicht. Was eine IBM möchte, interessiert mich nicht besonders. Mich interessiert das Gesamtbild, dass Linux ein gutes System ist. Und für dieses Bild leistet IBM einen guten Beitrag.

CW: Setzen die traditionellen IT-Companies ernsthaft auf Linux, oder wollen sie sich nur mit einem populären Schlagwort schmücken?

TORVALDS: Im letzten und Anfang dieses Jahres war es ja in, jede Pressemitteilung mit dem Wort Linux zu schmücken. Mich hat das kaum gestört, eher amüsiert. Man muss sehen, in was IT-Unternehmen ihr Geld stecken. IBM, HP, SGI und noch einige mehr investieren ernsthaft in Linux.

CW: Michael Dell ist auf der letzten Linuxworld in San Jose heftig angegriffen worden, mit Linux ein Geschäft zu machen, aber der Linux-Community nichts zurückzugeben.

TORVALDS: Dell ist ein ganz simpler Fall. Die machen, was die Kunden nachfragen, was sich verkauft, ohne jede Ideologie. Und wenn die sich für Linux interessieren, weil es ihnen hilft, ist das okay.

IBM ist ein anderer Fall: Die hatten mal die Ideologie, die Welt beherrschen zu wollen, und haben sich später davon gelöst. Sie sind reifer geworden. Für IBM ist Linux eine Möglichkeit, sich die teure, komplizierte und problembeladene Entwicklung von Betriebssystemen zu sparen. Sie haben ungeheure Gelder ausgegeben, AIX für die großen Systeme reif zu machen, jetzt fehlt ihnen etwas am unteren Ende. Da war ihre Entscheidung für Linux sehr pragmatisch. Vielleicht denken die schon darüber nach, dass sie in fünf Jahren AIX überhaupt nicht mehr brauchen. Sie werden es nicht zugeben, aber sich die Option garantiert offen halten. Das dürfte bei den anderen Big Playern genauso der Fall sein.

CW: Hat sich das Business-Paradigma der Open-Source-Welt, Gewinne mit Services statt mit Lizenzen zu machen, als tragfähig erwiesen?

TORVALDS: Ich glaube nicht, dass dies ein Linux-spezifischer Ansatz ist. Das wahrscheinlich beste Beispiel dieser Ausrichtung ist Microsoft. Sie stehen vor allem im Wettbewerb mit ihren eigenen Produkten. Der härteste Gegner von Word 7 ist nicht Star Office, sondern Word 6. Was macht Microsoft? Sie müssen ein neues Betriebssystem herausgeben, um dem neuen Produkt die Marktchancen zu verbessern.

Applikationen tun sich generell im Wettbewerb schwer. Deswegen hat Microsoft .NET geschaffen. Wir können die Konkurrenz von Linux dabei getrost vergessen. Microsoft verfolgt einen deutlich serviceorientierten Ansatz. Die verdienen prächtig mit Anwendungen, aber sie wissen, dass das nicht ewig funktioniert.

CW: Die Linux-Companies machen durchweg den größten Teil ihrer Umsätze mit den Distributionspaketen.

TORVALDS: Das ist durchaus Service. Die Pakete enthalten Entwicklung, genau genommen Systemintegration. Die Anbieter verdienen nicht an Lizenzen. Für den Privatanwender ist nur die Software in der Box wichtig. Für professionelle Anwender geht es um Betriebssystem, Anwendungen, Services, Support, Training.

CW: Hat Linux das traditionelle Geschäftsmodell der Softwareindustrie verändert?

TORVALDS: Seit Linux ist das Betriebssystem nicht mehr etwas, auf dem man alles aufbauen kann. Wir haben die Geschäftsmodelle vom Betriebssystem befreit. Es geht um Services. Hardware, früher das Geschäft der Superprofite, ist schon länger ein preiswerter Gebrauchsgegenstand, Betriebssysteme werden es gerade, und als nächstes vielleicht Standardanwendungen. Das braucht aber noch einige Jahre. Für Software sind die Zeiten drei- und vierstelliger Handelsspannen vorbei, auch für Microsoft. Was bleibt, sind Services. Das mögen einige für negativ halten, ich betrachte es als unausweichlich.

CW: Ist das schon die einzige Innovation, die Linux angestoßen hat? Serviceorientierung gab es auch schon vor Linux, und die bisherigen quelloffenen Programme sind Imitationen bestehender Software.

TORVALDS: Die große Veränderung durch Linux war nicht die Technologie, sondern die Art, Dinge zu tun. Die Soziologie der Softwareentwicklung, wenn man so will, hat sich verändert. Über Linux-Technik lassen sich bestimmt nicht viele Informatik-Diplomarbeiten schreiben. Aber man kann noch jede Menge darüber schreiben, wie diese vernetzte Entwicklungsarbeit funktioniert. Und außerdem verändert Linux radikal das Softwaregeschäft.

Als Techie gebe ich zu, dass wir nichts anders machen, nur besser. Aber will ein Autokäufer das radikal andere Auto oder eines, das besser, zuverlässiger, schneller und sicherer fährt? Niemand hat etwas gegen Innovation, wohl aber gegen etwas komplett anderes. Technisch ist in Linux kaum etwas radikal Neues. Was Betriebssysteme heute machen, ist im Wesentlichen alles schon in den 60er Jahren entworfen worden.

CW: Die Entwicklungen der IT haben sich von der Automatisierung einzelner Aufgaben auf die Abwicklung komplexer Prozesse verlagert.

TORVALDS: Ja, aber von einem technologischen Standpunkt betrachtet nicht. Es geht nur um Technik auf einer höheren Ebene. Ein Bus hat keine andere Technik als ein PKW, er ist nur größer – aber er ermöglicht eine andere Art des Massenverkehrs und verlangt eine andere Anwendung, eine andere Fahrweise als ein PKW.

CW: Was halten Sie von der Debatte um Copyrights und Patente?

TORVALDS: Ich halte Copyrights auf Software für eine gute Sache. Urheberrechte hat man, ohne sie beantragen zu müssen. Patente verlangen einen anderen Prozess, der sehr zeitaufwendig, kompliziert und – angesichts der Anwaltskosten – sehr teuer ist. Patente eignen sich nur für Unternehmen. Ein Individuum tut sich sehr schwer, ein Patent zu bekommen. Darin besteht das Problem – und nicht in der Sicherung geistigen Eigentums. Die Frage ist, ob die Gesetze geistiges Eigentum schützen oder nicht.

CW: Wie passen denn Copyrights und das Open-Source-Konzept zusammen?

TORVALDS: Open Source hat kein Problem mit Urheberschutz. Einige Leute in der Community mögen die Verwendung von Copyrights überhaupt nicht, zum Beispiel Richard Stallman. In diesem Punkt stimme ich mit ihm ganz und gar nicht überein. Copyrights sind eine Verfügungsgewalt über eigene geistige Arbeit. Wie man diese Verfügungsgewalt verwendet, bleibt jedem selbst überlassen.

CW: Und Patente sind die Grundlagen, um diese Gewalt auszuüben. Man kann den Gebrauch eigenen geistigen Eigentums verhindern.

TORVALDS: Genau, man kann Patente eigentlich nur in eine Richtung ausüben. Copyrights kann man in sehr unterschiedlicher Art ausüben, zum Beispiel wie in der GPL zur Offenlegung, zum Review, zur Weiterentwicklung. Und dafür muss man alle eigenen Entwicklungen selbst auch allen zur Verfügung stellen.

In der Öffentlichkeit ist der falsche Eindruck erweckt worden, die Gegner von Patenten seien gegen geistiges Eigentum. Das Hauptproblem ist, das unsere Patentsysteme heute in der Praxis nicht funktionieren. Patente funktionieren bei ingenieurmäßiger Entwicklung, aber nicht in der Wissenschaft. Softwarepatente sind genauso lächerlich wie Patente auf mathematische Formeln.