Überraschende Personalentscheidung

Ex-SAP-Chef Léo Apotheker übernimmt Zügel bei Hewlett Packard

01.10.2010
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

IT-Branche reagiert skeptisch

Vor diesem Hintergrund überwiegen die skeptischen Meinungen zu dieser Personalentscheidung. Die Kommentare in Analystenkreisen schwanken von "erstaunlich" bis "idiotisch". Viele Branchenbeobachter fragen sich, was den Ausschlag für Apotheker gegeben hat. Offen wird darüber spekuliert, ob die Berufung als Zeichen zu werten sei, dass HP in das Geschäft mit Business Software einsteigen will. Irritiert zeigte man sich auch über die Tatsache, dass Apotheker sein Amt erst zum 1. November antritt, obwohl der Manager derzeit keinen Posten innehat. Auch die Börse reagierte zunächst skeptisch: Nach Bekanntwerden der Personalentscheidung rutschte der Kurs um vier Prozent ab.

Bis dato stellt das Softwaregeschäft die Achillesferse im HP-Portfolio dar. Bis auf einzelne Bereiche wie System-Management-Tools oder das mit der Palm-Übernahme eingekaufte mobile Betriebssystem WebOS hat der Konzern an dieser Stelle eine offene Flanke - die nun offenbar geschlossen werden soll. Um die von der Börse geforderten Wachstumsraten umzusetzen, muss der Konzern sein Portfolio ausbauen, da die Margen im angestammten Hardwaregeschäft immer stärker unter Druck geraten. Im Servicebereich ist das mit der Übernahme von EDS bereits geschehen. Im Softwaresegment hat sich dagegen bislang wenig getan.

Konkurrenten wie beispielsweise IBM sind an dieser Stelle wesentlich aktiver. Längst bildet das Software-Business bei Big Blue eine tragende Säule des gesamten Geschäfts. Ein Großteil des Profits geht auf das Konto der Softwaresparte. Kontinuierlich hat IBM in den vergangenen Jahren dieses Segment vor allem durch Zukäufe ausgebaut. Neben dem Datenbank- und Middleware-Geschäft kamen zuletzt auch immer mehr anwendungsnahe Applikationen dazu - in erster Linie für Business Intelligence und Analytics. Dieser Trend dürfte sich fortsetzen. IBM-Chef Samuel Palmisano hat vor kurzem angekündigt, weiter massiv in Akquisitionen investieren zu wollen. In den kommenden Jahren will Big Blue für weitere 20 Milliarden Dollar einkaufen - meist in der Softwareabteilung des weltweiten IT-Supermarkts.

Dem muss HP Paroli bieten. Die Berufung des Softwarespezialisten Apotheker könnte ein Signal in diese Richtung sein, auch wenn die HP-Verantwortlichen in der Begründung ihrer Entscheidung nicht dediziert darauf anspielen. Dort wird Apotheker als strategischer Denker mit einer Passion für Technik präsentiert. Außerdem könne der neue Chef auf einen breiten Erfahrungsschatz in der weltweiten IT-Branche bauen und besitze große Expertise im operativen Geschäft.

Mit dem Wechsel an der HP-Spitze werden die Karten im Top-Management der weltweiten IT-Branche neu gemischt. Mit Apotheker und dem neuen Chairman Ray Lane, ehemals Top-Manager bei Oracle und schon als Kronprinz von Lawrence Ellison gehandelt, stehen zwei ausgewiesene Software-Experten an der Spitze des Hardwarespezialisten. Der Wettbewerb zwischen den großen IT-Titanen dürfte sich verschärfen. Ex-HP-Chef Hurd hat mittlerweile, nach einigen Querelen und Streitereien, bei Oracle die Zügel in der Hand. Oracle-Boss Lawrence Ellison, ein Freund von Hurd, gilt als Intimfeind SAPs, dem Ex-Arbeitgeber von Apotheker. Und der eigentlich als zurückhaltend und öffentlichkeitsscheu geltende IBM-Chef Palmisano teilt tritt öffentlich gegen den Konkurrenten HP aus.

Mit dem Personalkarussell werden auch neue Spekulationen um mögliche anstehende Milliarden-Deals aufgewirbelt. Im Zentrum wieder einmal SAP. In den vergangenen Jahren war der deutsche Konzern immer wieder Gegenstand möglicher Übernahmegerüchte. Als potenzielle Käufer wurden Microsoft und IBM gehandelt. Jetzt kommt mit HP ein neuer Kandidat hinzu. Und wer weiß: Vielleicht kehrt Apotheker irgendwann im Triumph nach Walldorf zurück.

Léo Apotheker

Léo Apotheker war der erste Nichtprogrammierer an der SAP-Spitze. Der Vertriebsexperte rückte im April 2008 zum Vorstandschef von Europas größtem Softwarehersteller auf - zunächst gleichberechtigt neben dem Physiker Henning Kagermann. Seit Mai 2009 führte der heute 57-Jährige den Weltmarktführer für Unternehmenssoftware allein.

Mit ihm wehte im Krisenjahr 2009 ein neuer, scharfer Wind durch die Büros. SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp hatte die harten Einschnitte offen kritisiert: Es habe für zu viel negative Stimmung im Konzern gesorgt.

Apotheker gehörte seit dem Jahr 2002 dem SAP-Vorstand an. Davor leitete er unter anderem die Region Europa. Zwischen 1988 und 1991 war er Geschäftsführer und Gründer von SAP Frankreich und SAP Belgien.

In Aachen geboren, an der Hebrew University in Jerusalem studiert, lebt der Manager seit geraumer Zeit in Paris. Einen Abschluss machte Apotheker in internationalen Beziehungen und Volkswirtschaft. Er spricht fließend Niederländisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Hebräisch. Ab 1. November soll Apotheker den Chefsessel bei Hewlett-Packard besteigen und den weltweit größten IT-Konzern führen.