Europeans Lib

23.03.1984

Man kann das "Manifest der Zwölf", gemeinsame Kommunikationsstandards zu entwickeln (Seite 1: "Europäische DV-Anbieter wollen IBM-Marktdominanz brechen"), auf zweierlei Weise interpretieren: Unter einem protektionistischen Aspekt und "kulturpolitisch", womit die Merkwürdigkeiten im Computermarkt gemeint sind, daß nämlich ein Hersteller herrscht "wie Gott in Frankreich" (in der Bundesrepublik, in Großbritannien, in Italien etc.).

Dies vorweg: Das Hängematten-Motiv (Buy German! Buy British! Buy French!) gibt nicht viel her, da ist man mit der Argumentation schnell im "toten" Bereich. Die möglichen "Hygiene-Faktoren" zu diskutieren, ob es eine eigenständige europäische Computerkultur geben wird, wie es ja bereits ein amerikanisches Silicon-Gefühl geben soll, dürfte indes interessant sein. Doch schön der Reihe nach.

Kläglich gescheitert sind bisher alle Versuche europäischer Regierungen, ihren jeweiligen nationalen Computerindustrien, repräsentiert meist durch einige wenige Herstellerfirmen, mit direkten oder indirekten Finanzspritzen auf die Beine zu helfen. Die Beispiele sind Legion. Man denke nur an das MDT-Programm der deutschen Bundesregierung zur Stärkung der hiesigen Terminal- und Kleincomputer-Industrie Mitte der siebziger Jahre. Weder Triumph-Adler, Kienzle, Dietz oder Olympia profitierten - geschweige denn Siemens.

Apropos Siemens: Das MDT-Programm war ja von Bonn gestartet worden, weil man den Zug im Großrechnerbereich, nach dem Scheitern der Unidata, für abgefahren hielt. Über die Situation auf der grünen Insel (ICL) läßt sich Ähnliches sagen. Ein bißchen anders stellte sich stets die Lage in Frankreich dar. Paris ließ bekanntlich die Unidata aus rein egoistischen Motiven platzen. Jetzt hat man zwar eine weitgehend französische Machines Bull - Honeywell ist so gut wie draußen -, dafür aber massive Identitätsprobleme beim Kunden: Können nur die Amerikaner gute Computer bauen?

Damit waren wir im Zentrum des Problems. Natürlich geht es bei den Bemühungen der Europäer, die Schnittstellen passend zu machen, auch um die IBM, deren SNA (System Network Architecture) einen De-facto-Standard markiert. Dieser Marktmacht wird man freilich auch mit einer herstellerneutralen Standardisierung - das Debakel der European Computer Manufacturers Association (ECMA) im Fall "Ethernet" hat dies deutlich gemacht - nicht beikommen können. Der Mainframe-Marktführer sitzt ja auch in den Normungsgremien, kann dort seinen Einfluß geltend machen.

Wie ist das jüngste Schnittstellen-Agreement also zu werten? Es stimmt zwar, die Europäer wollen sich als "kleine" Computerfirmen nicht länger von IBM unterbuttern lassen. Ihr Blick ist jedoch nicht mehr starr - und das ist das eigentlich Neue - auf Big Blue gerichtet, Rettung wird nicht allein vom Protektionismus erwartet. Emanzipation ist angesagt - hin zu einer europäischen Computerkultur, die sich von der amerikanischen, entsprechend den unterschiedlichen DV-Umweltbedingungen und Benutzeranforderungen, abheben soll.

Hier greift die Analogie zur Automobil-lndustrie. Warum soll das, was den Daimlers, Alfa Romeos und Renaults gegen Ford und General Motors gelungen ist, nicht auch den Nixdorfs, Olivettis und Bulls gegen IBM gelingen? Das Zwölfer-Abkommen steht erst am Beginn der Suche nach einer europäischen Computerzukunft.