Tagung der Arbeitnehmervertreter

Europas High-Tech-Profis vernetzen sich

31.10.1997

Einmal jährlich treffen sich in Südfrankreich über hundert Arbeitnehmervertreter aus europäischen Hard- und Softwarehäusern unter der Schirmherrschaft des europäischen Dachverbandes Euro-Fiet zum Erfahrungsaustausch. Was die Teilnehmer des diesjährigen, von Euro-Fiet und EU gesponserten IT-Forums in Nizza zu berichten hatten, klang eher düster.

Die IT-Profis zwischen Oslo und Palermo sehen sich von Umstrukturierungsmaßnahmen bedroht. Weniger profitable Unternehmensteile würden ausgegliedert und DV-Aufgaben an Externe übertragen. Viele DV-Selbständige sähen sich in eine ungesicherte Selbständigkeit gedrängt.

Mit dem Thema Euro-Betriebsrat gehen die Arbeitgeber sehr unterschiedlich um. Während Vertreter von Bull, Sema Group und EDS berichten konnten, daß in ihrem Haus die europäischen Betriebsräte ihre Tätigkeit bereits aufgenommen haben, mußte der französische Vertreter von Digital Equipment von einem erneuten Fehlschlag sprechen. Beim amerikanischen Management sei keinerlei Kooperationsbereitschaft zu erkennen. DEC-Mann Derek Lee: "Bis in unserem Unternehmen ein Euro-Betriebsrat eingerichtet ist, wird wohl noch einige Zeit vergehen." Fiet-Sprecher Gerhard Rohde beschrieb den Weg, in der IT-Branche Euro-Betriebsräte zu installieren, als schwierig.

Auf der dreitägigen Veranstaltung verkündete Fiet-Generalsekretär Philip Jennings die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft Communication International CI (ehemals PTT) an. Als Grund nannte er die gewaltige Fusionswelle im Telekommunikations- und Multimedia-Bereich: "Die Konzerne treiben die Globalisierung ohne Rücksicht auf die Auswirkungen voran. Um den Arbeitgebern Paroli bieten zu können, müssen auch wir unsere Kräfte national und international bündeln." Den Luxus eines Konkurrenzkampfes innerhalb der Arbeitnehmervertretungen könne man sich nicht mehr leisten. Bereits in naher Zukunft seien weitere Gespräche mit Gewerkschaftsvertretern aus den Bereichen IT-Technologie, Post, Grafik und Medien geplant. Im Zusammenhang mit der Globalisierung und den neuen Arbeitsformen wurde auch diskutiert, wie denn bei der Tendenz zur Individualisierung der Gesellschaft die Rolle der Gewerkschaft in Zukunft aussehen sollte.

Für Fiet-Sprecher Rohde steht fest, daß die Arbeitnehmervertretungen nicht auf ihren traditionellen Positionen verharren dürften, sondern verstärkt individuelle Dienstleistungen anbieten müßten. Voraussetzung dafür sei die elektronische Vernetzung.

Peter Skyte, Sekretär bei der englischen Gewerkschaft MSF, berichtete über ein solches Projekt in seiner Heimat. Mit Hilfe von Spezialisten wurde ein Netzwerk für IT-Fachkräfte ins Leben gerufen, in dem Informationen ausgetauscht und Probleme er- örtert werden können. Ein elektronisches Handbuch gibt Auskunft darüber, wie die Rechte und Arbeitsbedingungen der High-Tech-Spezialisten aussehen.

Das Internet zur Kommunikation zwischen Arbeitnehmervertretern zu nutzen, hat bei Fiet oberste Priorität. So ist die Entwicklung von Online-Datenbanken geplant. Diese sollen Informationen über multinationale Unternehmen, Euro-Betriebsräte, Arbeitsbedingungen und Tarifverträge enthalten. Wie sich durch Netzpräsenz gewerkschaftliche Aktionen unterstützen lassen, erläuterte die niederländische Bull-Mitarbeiterin Anita van Stel. Während eines Streiks der Techniker, die sich gegen die Kürzung ihrer Bezüge wehrten, seien die Kollegen in den anderen europäischen Ländern mit Hilfe des Internet auf dem laufenden gehalten worden.

Diese Aktion war wohl mit ein Grund, daß der israelische IT-Experte und Buchautor Eric Lee geradezu euphorisch von den Möglichkeiten schwärmte, die die Cyberwelt den Arbeitnehmervertretungen biete. Allerdings sieht die Realität häufig anders aus. In vielen Fällen verbieten die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern, über das elektronische Netzwerk des Unternehmens Informationen der Arbeitnehmervertretungen abzurufen. DEC-Mann Derek Lee sieht trotz aller Widerstände positiv in die Zukunft: "In einer digitalen Welt wird es für die Un- ternehmensleitungen immer schwieriger, den Beschäftigten die Nutzung des Netzes zu verweigern."

*Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.