Forrester-Studie zur B-to-B-Entwicklung

Europas Economy setzt auf Internet-Marktplätze

16.06.2000
MÜNCHEN (CW) - Die Ankündigungsflut so genannter Marktplätze im Internet schwillt tagtäglich an. In nahezu jeder Branche kommt es zu entsprechenden Zusammenschlüssen namhafter Firmen. Forrester Research hat den europäischen Top-50-Unternehmen auf den Zahn gefühlt und wollte von den Verantwortlichen wissen, was sie sich vom B-to-B-Hype versprechen.

Schon das erste Ergebnis der Studie "Euro E-Marketplaces Top Hype" spricht für sich. 70 Prozent der Befragten (55 Einkaufs- und Verkaufsleiter sowie 20 Marketing-Verantwortliche) gehen davon aus, dass ihr Unternehmen bereits in vier Jahren mehr als ein Viertel seiner Einnahmen auf Internet-Marktplätzen erzielen kann. Diese Aussage gewinnt noch an Bedeutung, wenn man sich zwei andere Kennziffern vor Augen hält: Besagte Firmen sind im Schnitt in neun Ländern vertreten und kommen auf eine Umsatzgröße von 500 Millionen Dollar oder mehr. Und 55 Prozent dieser Gesellschaften wickeln derzeit erst zehn Prozent ihrer Geschäfte online ab.

"Wir geben weltweit Milliarden Euro für die Teile- und Materialbeschaffung aus. Deshalb benötigen wir einen transparenten und flexiblen Markt der Zulieferindustrie. Derzeit geht der Online-Anteil im Einkauf noch gegen Null, in vier Jahren wollen wir ihn aber bis auf 25 Prozent anheben", zitieren die Marktforscher anonym den Chefeinkäufer eines Autoriesen, dessen Kollege aus dem Verkauf sich ebenfalls pointiert äußert: "Wir sehen digitale Marktplätze als den Distributions-und Vertriebskanal der Zukunft." Ähnlich argumentierten laut Studie auch andere Branchenvertreter aus Europas Top-50 - darunter vor allem aus der Chemie-, Luftfahrt- und Maschinenbau-Industrie.

Auch die näheren Motive der verantwortlichen Manager, sich mit dem B-to-B-Hype auseinander zu setzen, werden in der Untersuchung aufgeschlüsselt. 92 Prozent der Einkäufer und immerhin 55 Prozent der Vertriebsleute erwarten sich nachhaltige Kostenvorteile. 50 beziehungsweise 48 Prozent hoffen durch die Beteiligung an digitalen Marktplätzen auf eine bessere Marktdurchdringung und Transparenz (siehe Abbildung). 59 Prozent und damit fast ein Drittel der Sales-Leute verknüpfen mit dem Auftritt im Cyberspace eine deutlich bessere Marktdurchdringung. Interessant dürfte noch ein anderer Aspekt sein: 72 Prozent der Befragten können sich mittelfristig vorstellen, dass die eigene Company auf mindestens vier Internet-Marktplätzen und dabei zum Teil in unterschiedlichen Rollen als Einkäufer, Verkäufer, Mittler oder Zulieferer präsent ist. Dabei dürfte es, so Forrester, auch zu branchenübergreifenden Verzahnungen kommen - etwa zwischen der Chemie- und Lebensmittel/Food-Industrie.

Dass sich mit Vertrieb, Einkauf und Marketing entscheidende operative Stabsfunktionen in den Unternehmen mit dem Thema digitale Marktplätze konkret befassen, erhärtet frühere optimistische Prognosen, heißt es in der Untersuchung sinngemäß. Die Marktforscher gehen deshalb unverändert davon aus, dass sich bis 2005 das einschlägige B-to-B-Volumen in Europa auf 900 Milliarden Euro beziehungsweise sechs Prozent des gesamten Handels zwischen Firmen erhöhen dürfte.

Vorreiter dieser Entwicklung werden die Automobil-Hersteller mit einem E-Business-Volumen von dann rund 182 Milliarden Euro sein; gefolgt von der Transport- und Reisebranche (169,7 Milliarden Euro), der Computerindustrie (138,9 Milliarden Euro) und den Chemieunternehmen (112,5 Milliarden Euro).

Grundsätzlich sehen die Forrester-Analysten beim Entstehen digitaler Marktplätze eine Art Sogwirkung, der sich die "Langsameren auf Dauer nicht werden entziehen können". Angesichts der Internationalisierung gerade in der Automobil-, Chemie- und TK-Branche sei die Wirtschaft der EU mit einer "Elefantenherde auf dem Marsch zur Wassertränke vergleichbar. Die Muttertiere geben den Weg vor; der Rest der Herde hat nur die Wahl, schnell oder langsam zu marschieren. Aber sie müssen marschieren, sonst überleben sie nicht."

Etwas weniger plakativ ziehen die Marktforscher den Vergleich auf Länderebene - so diese für die künftigen Marktplätze im Internet überhaupt von Belang ist. Deutschland und Großbritannien dürften demnach aufgrund ihrer "industriellen Power" Taktgeber bei der B-to-B-Entwicklung auf dem Alten Kontinent sein. Frankreich sehen die Analysten aufgrund einer, wie es heißt, "sehr vom Electronic Data Interchange (EDI) abhängigen Infrastruktur" im Hintertreffen. Gute Chancen werden auch Italien und Spanien aufgrund der dort jetzt mit Hochdruck laufenden Öffnung der TK-Märkte eingeräumt. Auch die skandinavischen Länder, bis dato eher Vorreiter im B-to-C-Sektor (Stichwort: Hohe Mobilfunkverbreitung) dürften laut Studie "aufgrund ihrer guten Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland und Großbritannien" schnell auf den B-to-B-Zug aufspringen können.

Abb: Hoffnungen: Die Erwartungen an digitale Marktplätze sind naturgemäß "marktgetrieben". Quelle: Forrester Research