Umzug des Headquarters - aber Entwicklung bleibt in USA:

Europäischer Netze-Markt lockt IBM-Communications nach London

14.12.1990

ARMONK/LONDON (CW) - Die IBM Corp, verlegt das Headquarter ihrer Communication Systems Division nach Europa. Ab dem dritten Quartal 1991 wird statt in Somers/New York in Staines bei London über Big Blues TK-Business entschieden werden. Entwicklung und Produktion dagegen bleiben in den Staaten. Parallel dazu stehen in USA und Europa Maßnahmen zur Effektivitätssteigerung bei IBM an.

Der Konzern folgt mit dem Umzug des Netze-Headquarters der Digital Equipment Corp., die zum Jahresanfang 1990 ihre TK-Verantwortlichkeit ins südfranzösische Sophia Antipolis bei Cannes verlegt hatte. Bei beiden Weltmarktführern ähneln sich die Begründungen: Zunehmende Marktchancen in einem vereinten - und postalisch liberalisierten - Europa sollen ebenso genutzt werden wie der hiesige Vorsprung in der Entwicklung und Akzeptanz von Übertragungsprotokollen und -standards.

Kaum Auswirkungen für die Kundschaft

Zum Jahreswechsel will die Entscheidungszentrale den Umzug in Angriff nehmen: Ellen M. Hancock, General Manager Communication Systems, wird dann zunächst mit einer Rumpfmannschaft nach England gehen, die bis zum dritten Quartal auf zirka 120 Mitarbeiter aufgestockt werden soll.

Im Sinne einer Kontinuität der Arbeit wird der größte Teil der Mitarbeiter vom alten Standort mitkommen, entstehende Lücken sollen europäische IBMer ausfüllen. Erst nach und nach, so ist es geplant, soll die Fluktuation der Mitarbeiter für eine weitergehende Europäisierung des Headquarters sorgen. Von Anfang an mit von der Europa-Partie werden nach IDG-Informationen auch die Assistant General Manager John J. Cachianes (Finanzierung und Planung) sowie Frank J. Elliott (Marketing) sein.

Beobachter wie IBM-Offizielle sind sich einig, daß die Maßnahme zunächst nur geringe Auswirkungen für die Kundschaft haben wird. Elliott wies darauf hin, daß die meisten der 12 000 Mitarbeiter der Division in den Entwicklungs- und Produktionsabteilungen beschäftigt seien, die ja in Raleigh/North Carolina verbleiben würden. "Die meisten Kunden haben Kontakt mit der Marketing-Organisation und nicht mit der Hauptniederlassung", stellte der Marketingmanager fest.

Andererseits, so verlautet aus Unternehmenskreisen, werde der Umzug zu engeren Beziehungen zwischen Ellen Hancocks Leuten und diversen Entwicklungsteams in Europa führen, etwa den Controller- und Modem-Entwicklern in Lagaude, Frankreich, den CICS-Spezialisten im englischen Hursley sowie den Forschern im römischen Labor für OSI- und Netview-Produkte. Dieses genießt IBM-intern derzeit besondere Aufmerksamkeit, da es als Beleg für die Glaubwürdigkeit von IBMs OSI-Committment gelten soll.

Analysten heben hervor, daß die Maßnahme positive Auswirkungen - etwa eine bessere Produktverfügbarkeit - für die Kunden von IBM-Kommunikationsprodukten haben könnte. Die Beobachter sind darüber hinaus der Ansicht, daß der Schritt vor allem sinnvoll sei als Symbol für IBMs Ziel, stärker als globales denn als amerikanisches Unternehmen aufzutreten.

Unterdessen hat Big Blue weitere Umstrukturierungs- und Streamlining-Maßnahmen angekündigt: So sollen nach Informationen des britischen Branchendienstes "Computergram" im Verlauf der nächsten drei Jahre 3000 Stellen bei der IBM Europe mit Hauptsitz in Paris durch Fluktuation und Einstellungsstopps wegfallen. Neue Mitarbeiter, heißt es, würden nur dort eingestellt, wo es direkt um die entstehenden Märkte in Osteuropa ginge. Außerdem wolle Big Blue Europa seiner derzeit 109 000 Mitarbeiter starken Mannschaft mehr Marktnähe verordnen und den Anteil von momentan 54 Prozent in kundennahen Bereichen arbeitenden IBMern weiter erhöhen.

Diese Zielsetzung deckt sich mit derjenigen der US-Marketing-Organisation von Big Blue. Von deren 14 Hauptbüros sollen vier geschlossen und die betroffenen Mitarbeiter in regionalen und branchenspezifischen Niederlassungen eingesetzt werden. Im Zuge dieser

Konsolidierung, heißt es im "Wall Street Journal", werde auch eine Reihe von Jobs wegfallen. Zirka 80 000 Angestellte seien derzeit im US-Marketing beschäftigt. "IBM versucht, die Entscheidungsfindung näher am Markt anzusiedeln", zitiert das "Wall Street Journal" den Ex-IBMer und New Yorker Analysten Sam Albert. Wie der weiter feststellte, nütze der Konzern gleichzeitig die Gelegenheit zum "Abspecken".