EUROPA IM AUFBRUCH

Europäische Ängste und US-japanische Erfolge

27.12.1991

Die japanische und amerikanische Dominanz in der weltweiten IT-Industrie ist in aller Munde. Kaum jemand aber spricht noch von den europäischen DV-Unternehmen. Diese befinden sich seit Jahren auf dem Rückzug, obwohl sie in den fünfziger und sechziger Jahren in diesem Marktsegment für nicht wenig Furore sorgten.

Balkhausen: Ich möchte unsere Diskussion mit folgenden Thesen einleiten: Wer technisch nicht vorn ist, fällt wirtschaftlich zurück, produziert Arbeitslosigkeit. Wer nicht kooperiert, wer Überkapazitäten aufbaut, wer nicht genügend Staatshilfe ergattern kann - das tun zumindest die Größeren -, der bekommt Probleme, weil die Märkte überstrapaziert sind. Die Informationstechniken sind Schlüsseltechnologie für viele andere Produkte, und ich möchte nun zuerst Herrn Nasko fragen, wo und wie er dort die Defizite sieht.

Nasko: Zweifellos existieren Defizite im Hardwarebereich bei den Mikroprozessoren, die ein Basiselement der gesamten informationstechnischen Industrie sind. Diese Mikroprozessoren werden in erster Linie in den USA entwickelt und hergestellt. Es gibt keinen europäischen Mikroprozessor, der sich im Weltmarkt bis heute wirklich durchgesetzt hat. Daneben fehlen uns auf dem Softwaregebiet die Betriebssysteme für offene Systeme. Die Betriebssysteme kommen ebenfalls ausschließlich aus den USA - seien es die für PCs (MS-DOS, Windows oder OS/2) oder die für Mehrplatz-Systeme oder eben Unix.

Was mir aber als Defizit noch wichtiger erscheint, ist das Bewußtsein im europäischen Markt über die Bedeutung der Informationstechnik für die gesamte Volkswirtschaft. Es ist wohl jedermann klar, daß die Informationstechnik einen gewaltigen Einfluß auf die gesamte Volkswirtschaft, auf alle Branchen hat und in Zukunft noch mehr haben wird. Nur, ob man sich die IT-Technik aus Japan oder den USA besorgt oder sie originär in Europa zur Verfügung hat - über diese Abhängigkeit unserer Volkswirtschaft ist in Europa kein Bewußtsein vorhanden.

Balkhausen: Kann man sagen, daß Europa bei den Superchips in der Computerindustrie oder in der Unterhaltungselektronik und in einigen anderen Bereichen gegen Japan, gegen die USA, gegen Korea ums Überleben kämpft?

Nasko: Ja. Sie kennen das Jessi-Projekt, in dem eine mit Forschungsmitteln geförderte Kooperation der europäischen Halbleiter-Hersteller versucht, den Rückstand - soweit er gegeben ist - aufzuholen und im Weltmarkt wieder eine Rolle zu spielen. Aber das ist ein sehr harter, verzweifelter Kampf. Denn die Japaner haben diesen Bereich zu ihrem strategischen Gebiet erklärt und wollen hier den Weltmarkt dominieren, auch gegenüber Amerika.

Balkhausen: Herr Kübler, wo sehen Sie die Defizite?

Kübler: Es gibt sicher eine ganze Menge von Defiziten. Vorab aber: Interessant ist, daß nicht nur wir Europäer, die wir uns jetzt fast schon traditionell seit 20 Jahren in der Informationstechnik schwach fühlen, sondern gleichwohl die Amerikaner zum Teil sehr starke Defizite fühlen. Auch in den USA werden kontemplative Diskussionen, ob man beispielsweise überhaupt noch Hardware entwickeln soll, geführt. Daß in Europa viele Defizite bestehen, hat seinen Ursprung zum einen in dem lokalen Denken, bedingt durch die getrennten und dadurch zu kleinen Märkte und ihre Protektion. Zum anderen denken wir zu defensiv. Wir trauen uns in Europa in der Informationstechnik überhaupt nichts mehr zu.

Zu Herrn Naskos Bemerkung hinsichtlich der Betriebssysteme möchte ich sagen: Okay, wir haben weder MS-DOS noch Unix entwickelt. Doch die Japaner haben auch kein Betriebssystem entwickelt, und trotzdem beherrschen sie den PC-Markt. Somit gibt es für mich echte Defizite, die sich in Abschottung, defensivem Denken und fehlender Konzentration auf zukunftsorientierte Entwicklungen ausdrücken, und es gibt Pseudo-Defizite. Kämpfen wir gegen die, verplempern wir die Energien, von denen wir sowieso zuwenig haben.

Balkhausen: Herr Waid, wenn Sie als deutscher Manager einer der erfolgreichsten japanischen Elektronikkonzerne diese Diskussion über die Defizite hören, könnten Sie sich doch wünschen, daß die Defizite noch lange gepflegt werden, damit die japanischen und die amerikanischen Unternehmen erfolgreicher sind. Was würden Sie den Europäern raten?

Waid: Daß man immer sagt, die Japaner machen dieses und jenes und sind so erfolgreich in allen Bereichen, die sie vorher definieren, ist der falsche Ansatz. Ich meine, daß sowohl in Deutschland als auch in Europa eine sehr gute Basis vorhanden ist von Menschen, die auch im Verstehen der Technologie hochentwickelt sind. Problem ist, daß diese Kapazität nicht gebündelt wird, daß nicht gemeinsam Ziele definiert werden, die dann auch erreicht werden. In Japan ist es häufig so, daß große Unternehmen gemeinsame Entwicklungsprogramme in Angriff nehmen. Sind diese abgeschlossen, geht jedes Unternehmen für sich damit in den Wettbewerb und versucht, durch die eigene Marktstrategie dasselbe Produkt im Markt zu positionieren und einen größeren Marktanteil zu erwischen. Ein solches Vorgehen vermisse ich sowohl in Deutschland als auch in Europa.

Ein anderes Beispiel: Die Japaner werden von Kindheit an in dem Bewußtsein erzogen, daß ihr Land arm ist. Man muß sich alles erarbeiten, weil es alles zu importieren gilt, was die Basisgüter betrifft. Dies wiederum ergibt eine andere Verbaltensweise gegenüber der täglichen Arbeit und der Motivation. Sie quälen sich mehr als andere, bewegen sich prägnanter und versuchen, ihre Arbeit besser zu erledigen als andere Menschen in einer anderen Kultur. Ich glaube, daß wir in dieser Hinsicht ein erhebliches Defizit haben.

Nasko: In Europa werden die Kinder in dem Bewußtsein erzogen, in einem reichen Land zu leben. Wir versuchen permanent, das Verhältnis von Arbeitszeit zu Freizeit in Richtung Freizeit zu verbessern, denken daran, wohin wir unsere nächste Reise machen, und an andere schöne Dinge. Diese Einstellung aber wird sich spätestens dann mit der der Japaner messen müssen, wenn die Grenzen völlig offen sind und die Wirtschaftssysteme aufeinanderprallen. Wir müssen sie aneinander anpassen, sonst werden wir in diesem Konkurrenzkampf nicht bestehen können.

Betonen möchte ich aber, daß die Japaner nicht auf allen Gebieten der Technologie oder des Marktes führend sind. Nur haben sie strategische Felder definiert, die Zukunftscharakter und möglichst große Auswirkung auf Beschäftigung, Volkswirtschaft etc. haben. Auf diesen Gebieten investieren und kooperieren sie. Daneben haben die Japaner das Miti, das solche Kooperationen nahezu erzwingt, und die Banken, deren Einfluß immens groß ist. Die Vorgehensweise ist also, Geld in die Forschung zu investieren, die von zentraler Stelle gesteuert und unterstützt wird, die Industrie zu zwingen, bei Projekten zusammenzuarbeiten und schließlich Geld zur Verfügung zu stellen, um den Weltmarkt zu erschließen. Da werden für das strategisch definierte Gebiet Investitionsmittel bereitgestellt, um Kapazitäten aufzubauen, die praktisch den ganzen Weltmarkt versorgen können.

Balkhausen: Das Miti allein kann aber wohl kaum für den Erfolg der Japaner stehen. Auch gibt es in Japan sieben oder acht Konglomerate, die sich aus Industrie, Versicherungen, Banken etc. zusammensetzen. Dort kann man Kräfte aktivieren. In Europa ist das nicht machbar. Was also benötigen wir tatsächlich?

Nasko: Ich bezweifele, daß man ein Forschungsministerium von einem Wirtschaftsministerium getrennt betreiben kann in einer Zeit, in der es um Strategien geht, halte ich eine engere Zusammenarbeit, wenn nicht sogar Zusammenlegung zu einem Industrieministerium, schon für einen überlegenswerten Ansatz. Dennoch soll das nicht eine Fürsprache für das Miti sein, denn diese Institution dirigiert. Daß ein Industrieministerium den Unternehmen vorschreibt, was sie zu tun haben, das wollen wir in Deutschland und Europa sicher nicht. Was aber eine koordiniertere Vorgehensweise angeht, da stimme ich Herrn Waid zu, bestehen hier noch Defizite, wenngleich wir auf vielen Gebieten mittlerweile Kooperationen begonnen haben. Ein Beispiel ist das europäische Forschungsprogramm Esprit. Auch die verbliebenen Großunternehmen der informationstechnischen Industrie in Europa, nämlich Olivetti, Bull und Siemens-Nixdorf, haben auf dem Hard- und Softwaresektor Bereiche definiert, in denen sie zusammenarbeiten.

Balkhausen: Herr Waid, beim Thema Miti haben Sie den Kopf geschüttelt. Bei den sieben Konglomeraten, die die eigentliche Stärke ausmachen, nicht.

Waid: Das ist richtig. Die sieben Konglomerate haben eine Umsatzgröße von etwa 300 Milliarden Dollar - manche Staaten sind in ihren Bruttosozialprodukten schwächer als sie. Was das Miti betrifft, wird vieles falsch gesehen. Sie sagen Dirigismus. Davor aber liegt der Konsens. Von irgendwo her kommt ein Anstoß. Dann setzen sich Menschen zusammen, definieren das Ziel. Danach wird Konsens gebildet, der schließlich von der Gruppe getragen und nach vorne getrieben wird. Wenn die Japaner etwas verabschieden, stehen sie wirklich dahinter.

Balkhausen: Das aber spricht gegen unsere wettbewerbspolitischen Vorstellungen, Herr Nasko.

Nasko: Absolut. Viele Dinge, die in Japan selbstverständlich sind, dürfen wir in Europa aus gesetzlichen Gründen schon nicht.

Balkhausen: Andererseits wird immer mehr kooperiert, immer mehr gemeinsam entwickelt. Ich glaube, es gibt gar keine andere Chance, als unsere alten Wettbewerbsideen umzuterminieren, oder?

Nasko: Das sehe ich auch so. Ich bin hundertprozentig für Wettbewerb, aber auf der kartellrechtlichen Seite müssen wir einiges überdenken. Da das Kartellrecht bei bestimmten Projekten von Deutschland auf Europa übergeht, wird dies eine gewisse Veränderung bringen müssen.

Balkhausen: Wie denkt der Jungunternehmer Kübler in Sachen Industriepolitik?

Kübler: Viele sagen, Wettbewerb ja, und denken hinterher, aber bitte nicht, wenn es wehtut. Da fängt es an, gefährlich zu werden. Die Diskussion, ob wir so etwas wie ein europäisches Miti bekommen, ist sicher wichtig. Ich würde vom Prinzip her Herrn Nasko zustimmen, daß die Richtung, in der die Europäer heute gehen, gut ist, insbesondere auch das, was an vorsichtiger Koordination in Sachen Forschungspolitik gemacht wird. Aber den Wettbewerb aufzuheben, zu versuchen Konsensprinzipien zu etablieren, wie sie in Japan funktionieren, und dann zu glauben, auf einmal hätten wir die japanischen Erfolge, das kann nicht funktionieren. Wir Europäer sind ein anderer Menschenschlag. Wir sind eine andere traditionelle Vorgehensweise der Industrie gewöhnt, und wir müssen versuchen, unsere Stärken weiterzuentwickeln. Auf keinen Fall sollten wir uns irgendwelche Verhaltenshülsen von völlig anderen Gesellschaften überstülpen, denn das würde im endgültigen Desaster enden.

Auch würde ich Kooperationen auf Druck des Staates für sehr gefährlich halten. Dann närnlich rnacht der Staat den Markt, und er trägt letztlich auch die unternehmerische Verantwortung. Daß er dies leisten kann, halte ich für ausgeschlossen - insbesondere in einer sich so rasend schnell bewegenden Industrie wie der Informationstechnik-Industrie. Kooperationen sind wictig, auch oder gerade so eine kleine Firma wie Parsytec kann Erfolge nur durch Kooperation erreichen. Kooperationen aber müssen komplementär sein. Das heißt, es müssen sich Partner finden, die unterschiedliche Fähigkeiten einbringen, die sie durch das Zusammenbringen stärker rnachen. Gehen Unternehmen zusammen die in direktem Wettbewerb stehen und im Grunde das Gleiche können beziehungsweise nicht können, dann erleben wir so etwas wie bei Sperry und Burroughs - was aus Unisys wurde, ist bekannt. Größe allein ist noch kein Heilungsprinzip. Kooperationen und Zusammenschlüsse machen Sinn, wenn sie dazu führen, daß man im jeweiligen Segment zu einem der zwei oder drei Marktführer wird.

Balkhausen: Einige große Computerhersteller wackeln schon kräftig...

Kübler: Ja, aber wenn zwei Große wackeln und halten sich aneinander fest, dann fallen sie gemeinsam zu Boden.

Balkhausen: Das habe ich nicht gemeint. Ich sagte nur, daß viele wackeln.

Kübler: Es ist ein natürlicher Prozeß, daß gewisse Industrien in ihrer Bedeutung zurücktreten und dadurch neue entstehen. Die Unternehmen, die die PC-Technik nach vorne brachten, waren absolute Winzlinge, haben aber eine ganze Industrie entstehen lassen. Ende der siebziger Jahre hielt das noch niernand für möglich. Ich wage zu behaupten, daß in der technisch-wissenschaftlichen Informationstechnik, die viel mit Parallelverarbeitung zu tun hat, ähnliche Prozesse bevorstehen und Parsytec in Europa große Chancen hat, da wir in dieser Technologie früher angetreten sind.

Natürlich darf man auch die Großen nicht außer acht lassen - sie beschäftigen Zehntausende von Arbeitskräften. Können die Großen nicht weiter, muß dies abgefedert werden. Dennoch müssen wir uns mehr auf das konzentrieren, was sich dynamisch entwickeln kann, was neue Industrien schafft. Was schwach ist, muß weg, und das geht auch weg.

Balkhausen: Herr Nasko, wie sieht es mit den Neigungen der EG-Kommission aus? Solch große Behörden neigen dazu, alles im Griff halten, zu wollen. Haben Sie nicht den Eindruck, daß die EG-Kommissare - auf den Erfolg fixiert - am Ende doch sehr viele Mittel einsetzen, um eine Industrie voranzubringen? Nasko: Ja, das stimmt schon. Nur gibt die EG-Kommission von dem Gesamtbudget zur Zeit noch nicht einmal zwei Prozent für Forschung und Entwicklung aus. Und dabei meine ich nicht Forschung und Entwicklung der Informationstechnik, sondern die gesamten Aktivitäten. Von diesen knapp zwei Prozent ist wieder nur knapp ein Drittel für die Informationstechnik vorgesehen.

Balkhausen: Da gibt es aber noch die Nationalsubsidien?

Nasko: Zumindest in Deutschland ist davon im Bereich Informationstechnik kaum noch etwas zu spüren. Im Industriebereich wird fast gar nicht mehr gefördert, etwas mehr ist es im Universitäts- und Forschungszentrenbereich.

Balkhausen: Ich habe gerade noch gelesen, daß zusammen über 2,5 Milliarden Ecu Forschungsgelder für den IT-Bereich in Deutschland bereitgestellt wurden.

Nasko: Nein, mit Sicherheit nicht.

Balkhausen: Supermikro-Elektronik, Automations-, Daten-, Computertechnik - Sie müssen alles zusammenrechnen...

Nasko: Ich kann nur sagen, bei den Industriefirmen, die hier betroffen sind, kommt verdammt wenig an. Das sind einstellige Millionenbeträge, höchstens. Von den 1,8 Milliarden Mark, die wir im letzten Geschäftsjahr für Forschung und Entwicklung aufwandten, ist vielleicht ein halbes Prozent Forschungsförderung, aus welchen Quellen auch immer.

Balkhausen: Aber bei der Siemens AG ist es in Sachen Mikroelektronik nicht wenig.

Nasko: Das ist nicht mein Gebiet.

Balkhausen: Aber darüber reden wir hier auch, denke ich.

Nasko: Man kann dennoch nicht sagen, daß dies entscheidend ist.

Waid: Wenn ich mich da einmal einmischen darf - 2,5 Milliarden Ec-u in dem Geschäftsumfeld der Informationstechnik sind nichts. NEC gab im vergangenen Jahr 7,5 Milliarden Mark für Forschung und Entwicklung aus. In Japan würde allerdings kein Aktionär zulassen, daß 16 oder 17 Prozent vom Umsatz für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden.

Balkhausen: Herr Nasko, aus Ihren Worten entnehme ich, daß Sie sich in Deutschland und in Europa mehr staatliche Fördermittel vorstellen, um diesen großen Dreikampf zumindest unentschieden enden zu lassen.

Nasko: Nein, das würde ich nicht sagen. Sicher, wem Geld angeboten wird, der wird nicht nein sagen. Aber staatliche Förderung der Forschung allein ist nicht die Lösung für Europa.

Balkhausen: Wir reden auch von der Anwendung.

Nasko: Sicher, aber aus kartellrechtlichen Gründen darf die Förderung nur bei vorwettbewerblicher Forschung erfolgen. Geht es in die Anwendungsnähe, ist es schon verboten.

Balkhausen: Haben Sie noch weitere Vorschläge für Gesamtstrategien?

Nasko: Wir müssen uns in Europa überlegen, ob wir eine informationstechnische Industrie eigenständiger Art - ich meine damit eine Industrie, die ihre Befehlszentrale in Europa hat - erhalten wollen oder nicht.

Balkhausen: Würden Sie IBM und NEC mit ihren europäischen Produktionsstandorten dazurechnen?

Nasko: Ich sehe NEC als wertvollen Geschäftspartner. Wir sind ein Großkunde von NEC.

Waid: Wir kaufen aber auch nicht schlecht.

Nasko: Gegenseitige Geschäftsbeziehungen finde ich gut - wie auch die gemeinsamen Entwicklungsprojekte, die wir mit amerikanischen und japanischen Firmen durchführen. Trotzdem haben diese Unternehmen ihre Befehlszentralen in Japan beziehungsweise in Amerika. Werden strategische Entscheidungen für Deutschland, für Europa getroffen, geschieht dies in Japan oder in den USA. Wir wären gut beraten, eine solche Kompetenz und Potenz auch in Europa zu haben. Wir müssen sie haben, wir müssen sie aufrechterhalten. Neben der Forschungsförderung ist es notwendig, daß ein Bewußtsein entsteht, daß diese Industrie in Europa gebraucht wird. Dies impliziert, daß die öffentliche Hand bei preislich oder technisch konkurrenzfähigen Angeboten auch einem Europäer eine Chance gibt. In Amerika oder Japan erfahren wir von solchen Projekten nichts, weil sie für ausländische Anbieter nicht ausgeschrieben werden. Da müssen wir einen Umdenkungsprozeß einleiten. Ich bin sicher nicht dafür, daß die amerikanischen Anbieter hier keine Kenntnis von Ausschreibungen erhalten sollen. Wir wollen, wir brauchen den Konkurrenzkampf. Aber: Wollen wir uns mit den Japanern und Amerikanern messen, so müssen weltweit auch faire Bedingungen herrschen. Was also in den USA oder in Japan erlaubt ist, das muß auch hier erlaubt sein und umgekehrt.

Balkhausen: Herr Waid, bevor uns in Europa der Protektionismus packt, bevor japanische und amerikanische Produkte vom Wettwerb ausgeschlossen werden, weil einfach die Übermacht zu stark ist - was würden Sie den Europäern noch empfehlen?

Waid: Ich kann mich nur wiederholen: Die Europäer müssen ihre Kräfte bündeln. Die Konzernspitzen sollten sich zusammensetzen, ihre lokalen Nervositäten abbauen, möglicherweise mit Brüssel sprechen und wirklich einen Konsens herbeiführen.

Die Verantwortungsbereiche oder das Verständnis von Verantwortung müssen in Europa neu definiert werden. Es geht nicht an, daß Abteilungen einen ganzen Prozeß blockieren und so letztlich eine Entscheidung verhindern.

Das heißt, die Individualität der Abteilungen, die ich in Europa vielfach feststelle, muß abgebaut werden. Daß Defizite bestehen, ist offensichtlich.

Balkhausen: Und das muß zu Protektionismus führen.

Waid: Das würde zwangsläufig zu Protektionisrnus führen, was enorme Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft hätte. Protektionismus können wir uns nicht leisten.

Balkhausen: Das gilt natürlich auch für Japan. Aber, Herr Nasko, diskutieren wir vielleicht falsch? In fast jeder größeren deutschen Gemeinde wird auch hinsichtlich dieser neuen Industrien der Weltmarkt reflektiert. Kann man überhaupt noch von den Blöcken USA, Europa und Japan sprechen, muß man nicht mehr in Richtung Internationalität denken?

Nasko: Wir können als Markt nur den Weltmarkt sehen. Die Informationsflüsse sind heute so perfektioniert, daß die Kenntnis über Produkte und Märkte überall vorhanden ist. Deshalb muß man wirklich weltweit anbieten, um konkurrenzfähig zu sein. Dennoch haben strategische Zentren zu existieren, und das sind nun einmal Nordamerika, Asien und Europa. Es gibt diese Triade, wie es auch einen gewissen Konkurrenzkampf untereinander gibt. Deshalb heißt es, weltweit zu agieren, wobei aber die Strategie in Europa, in den USA und in Japan beheimatet sein muß. So offen und so verbunden sind die Kontinente nicht, daß man darüber hinwegkommt - jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.

Balkhausen: Ich fürchte nur daß das nicht ganz funktioniert. Meine Herren, darf ich um ihre Schlußbemerkungen bitten?

Kübler: Unsere IT-Industrie ist stark, wenn auch nicht in allen Bereichen. Wir sollten uns nicht so sehr auf die Aufholjagd in Märkten und Produktbereichen konzentrieren, die wir bereits verloren haben. Aufholjagden kosten zu viele Kräfte, und Märkte, die weg sind, bleiben weg. Wir müssen uns auf Zukunftsmärkte konzentrieren. Auf die Frage: "Braucht Europa eine eigene Informationstechnik-Industrie?" möchte ich uneingeschränkt mit ja antworten. Wir brauchen eine starke Prozessorindustrie, wir müssen sogar bis zur Speicherindustrie kommen. Förderung macht da Sinn, wo sie die Kooperation von Industriefirmen wie auch die Forschung an Universitäten und sonstigen Einrichtungen unterstützt. In den wenigen Zukunfts-märkten, auf die wir uns konzentrieren sollten, haben wir durchaus Grund zu Selbstvertrauen. Dieses kann uns eine Chance geben, unsere Kräfte zu bündeln und eine Art von Siegeswillen zu haben, der den Japanern eigen ist. Wir brauchen als Europäer nicht zu glauben, wir könnten es nicht.

Waid: Als Repräsentant eines japanischen Unternehmens wünsche ich mir persönlich einen sehr, sehr starken und intelligenten Wettbewerb. Dieser nämlich fordert uns alle gleichermaßen, was dazu führen wird, daß wir bessere Anwendungen und bessere Lösungen für alle von uns zur Verfügung halten werden.

Nasko: Auf einem Gebiet wie der Informationstechnik mit der Bedeutung und Ausstrahlung auf die gesamte Volkswirtschaft darf es meiner Ansicht nach nicht dazu kommen, daß ein Unternehmen oder eine Nation eine so dominierende Rolle spielt, daß der Wettbewerb nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Wir müssen durch Kooperation, durch Bewußtseinsbildung im Bereich des Marktes, im Bereich der öffentlichen Hand dafür sorgen, daß dieser Zustand nicht eintritt.