Europa muss die Deregulierung forcieren Oracle-Chef Ellison entfacht Streit um Zukunft des Desktops CW-Bericht, Juergen Hill

08.09.1995

PARIS - An den Visionen ueber die Zukunft des IT-Zeitalters scheiden sich die Geister. Zwar waren sich die fuehrenden Industriebosse der Branche auf dem "European IT-Forum 1995" der IDC in Paris einig, dass der Markt ein billionenschweres Geschaeft birgt, doch ueber die kuenftige Rolle des PCs kam es zu einem Schlagabtausch zwischen Microsoft-Chef Bill Gates und dem Oracle- CEO Larry Ellison. Egal wie der Verbraucher kuenftig Informationen konsumiert - fuer Europa, so ein Resultat der Konferenz, ist es allerhoechste Zeit, die Weichen in Richtung Infogesellschaft zu stellen.

Die Diskussion ueber den Standort Europa im weltweiten IT-Gefuege wurde in der franzoesischen Hauptstadt vom Dissens zwischen Gates und Ellison ueber die Zukunft des PCs in den Hintergrund geschoben. Mit der Aussage, der PC sei nicht mehr als eine laecherliche Komponente, heizte der Oracle-Boss den Dialog an.

"Client-Server-Computing ist teuer und in der Entwicklung viel zu kompliziert", sagte Ellison. Er geht davon aus, dass der PC schon bald durch Terminals fuer 500 Dollar abgeloest wird. Seine Begruendung: Software, Applikationen und Dienste werden kuenftig ausschliesslich im Netzwerk residieren und vom Anwender nach Bedarf abgerufen.

Bill Gates stimmte Ellison in dem Punkt einer kuenftig staerker Netz- statt Desktop-zentrierten Sichtweise zu, sieht zum PC allerdings keine Alternative. "PCs werden sich nicht in dumme Terminals verwandeln", erwiderte Gates in seiner Rede, weil am Rechner vor Ort weiterhin Intelligenz und Speicherkapazitaeten fuer Applikationen erforderlich seien. "Der Desktop wird das Kommunikations-Tool der Zukunft sein", ist Gates ueberzeugt und wies damit die Vision Ellisons als unrealistisch zurueck.

Informationsgesellschaft ist fuer Europa ein Muss

Darueber, dass sich im IT-Markt auch weiterhin gutes Geld verdienen laesst, bestand auf der Konferenz jedoch kein Zweifel. Auf 2,83 Billionen Dollar schaetzt Andreas Barth, Senior Vice-President Europe, Middle East und Africa bei Compaq, den Markt fuer Informationstechnologie im Jahr 2000. Damit waere die IT-Branche, die laut Barth 1994 einen Umsatz von 1,9 Billionen Dollar erwirtschaftete, um die Jahrtausendwende doppelt so gross wie die heute noch dominierende Automobilindustrie.

Obwohl das Forum durch den Schlagabtausch zwischen Gates und Ellison ueberschattet wurde, kam die Diskussion um die Position Europas nicht zu kurz. Nach Ansicht von Pat McGovern, CEO und Chairman der International Data Group, hat die Europaeische Union durchaus Chancen, zum groessten einheitlichen IT-Markt aufzusteigen. Voraussetzung dafuer sei allerdings, dass die Europaeer zuerst Nachhilfeunterricht in Sachen Deregulierung naehmen. Denn nach seiner Einschaetzung ist die Informationsgesellschaft fuer die Europaeer keine Option, sondern ein Muss, wenn man international wettbewerbsfaehig bleiben will. Europa, so McGovern, besitze zwar die technischen und intellektuellen Ressourcen, um diese Aufgabe zu bewaeltigen, doch stuenden die Europaeer momentan im weltweiten Vergleich lediglich auf Platz zwei.

Einer, der zumindest glaubt, die Hausaufgaben bereits erledigt zu haben, ist Carlo De Benedetti, Chairman von Olivetti. Er, der sein Unternehmen als einen der "letzten ueberlebenden Dinosaurier" aus dem Mainframe-Zeitalter sieht, will sich kuenftig auch als Carrier profilieren. An die IT-Manager appellierte De Benedetti, die Zeiten der Unsicherheit und des Umbruchs als Chance und nicht als Gefahr zu begreifen.

Deregulierung und Klaerung des Urheberrechts stehen also, so ein Ergebnis der Konferenz, ganz vorne im Pflichtenheft fuer die Europaeer auf dem Weg in die Informationsgesellschaft. Ein Appell, dem sich auch ein sichtlich gutgelaunter Bill Gates - der Start von Windows 95 laeuft seinen Angaben zufolge besser als erwartet - anschloss.