Euro-Recherche mit Multimedia-Kommunikation macht es moeglich 40 freie Ausbildungsplaetze zum Austernfischer in Frankreich

23.09.1994

Die Nuernberger Arbeitsmarktexperten erproben die Moeglichkeiten multimedialer Telekommunikations-Verbindungen auf dem Gebiet der Bildung und der Jobvermittlung. Dabei soll, so Markus Schnurpfeil*, kuenftig sowohl europaweite Datenbankrecherche nach Arbeitsplaetzen als auch die Verstaendigung mit EU-Partnern ueber Videokommunikation moeglich sein.

Die Reporterin des Bayerischen Fernsehens wollte es genau wissen: Wie leistungsfaehig ist die Ausbildungsplatzvermittlung der Bundesanstalt fuer Arbeit (BA)? Die Aufgabenstellung, die sich die Journalistin Anfang September in der Sendung "Euro klick - Leben und Arbeiten in Europa" ausdachte, war knifflig: Eine Ausbildung zur Austernfischerin sollte es sein - und das nicht irgendwo im offenen europaeischen Arbeitsmarkt, in Frage kaeme als Ausbildungsland nur Frankreich. Um die Angelegenheit noch ein bisschen schwieriger zu gestalten, liess die Fernsehmacherin den BA- Mitarbeitern in der TV-Sendung nur fuenf Minuten Zeit zur Erledigung der Anfrage.

Die Nuernberger Arbeitsmarktexperten loesten die Aufgabe mit Bravour - nicht zuletzt deshalb, weil sie - vor laufenden Fernsehkameras - alle informations- und kommunikationstechnischen Register zogen. Der BA-Fachmann in Muenchen verband die TV-Reporterin mit seinem auf den franzoesischen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt spezialisierten Kollegen in Rastatt. Die Verbindung war multimedial: Am PC konnte die angehende Austernfischerin den Rastatter Vermittler nicht nur hoeren, sondern ihn auch sehen.

Nachdem die Anfrage in der Multimedia-Konferenz praezisiert worden war, recherchierte der BA-Mitarbeiter in den Datenbanken der franzoesischen Arbeits- und Bildungsverwaltung. Das Ergebnis des Suchlaufs: Nicht weniger als 40 Austernfischer-Lehrplaetze waren zu vergeben.

In einer erneuten Multimedia-Session am PC praesentierte der Leiter der Rastatter Berufsberatung, Hans Berberich, der Journalistin in Muenchen nicht nur die Anschriften der Ausbildungsbetriebe und zeigte ihr auf einer Landkarte, wo die Betriebe liegen.

Er schickte auch eine Fuelle zusaetzlicher Informationen via ISDN ueber die berufliche Situation der Austernfischer in Frankreich, darunter auch Bilder, die den harten Arbeitsalltag auf den Austernbooten zeigten. Haette die Sendezeit gereicht, waeren auch kurze Video-Spots uebertragen worden.

Die eindrucksvolle Vorfuehrung war mehr als nur eine technische Spielerei. "Mit der Verwirklichung des Europaeischen Binnenmarktes und damit auch eines offenen europaeischen Arbeitsmarktes ergeben sich vielfaeltige neue Perspektiven, aber auch Anforderungen fuer die Bereiche Bildung und Ausbildung", verdeutlicht Werner Damke, Leiter des sogenannten EurICom-Projektes (Europaeisches Informations- und Kommunikationssystem) in der Nuernberger Zentrale der Bundesanstalt fuer Arbeit. Eine der wesentlichen Aufgaben in diesen Bereichen sei es, fuer Transparenz zu sorgen und dieses Angebot in einem ersten Schritt jedem Berufsberatungszentrum in Europa verfuegbar zu machen. Wie das mit einem, so Damke, "grenzuebergreifenden Verbundsystem" auf der Basis moderner Informations- und Kommunikationstechniken gelingen kann, erprobt die Bundesanstalt fuer Arbeit derzeit in Zusammenarbeit mit der Europaeischen Kommission und mit Partnerverwaltungen aus sechs weiteren EU-Staaten.

Einer der wichtigsten Bausteine des "grenzuebergreifenden Verbundsystems" ist der sogenannte Euro-PC. Damke: "Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich ein Personal Computer, mit dem der Mitarbeiter unter einer einheitlichen Oberflaeche in allen relevanten europaeischen Datenbanken zur Aus- und Weiterbildung recherchieren kann."

Mit dem Euro-PC lassen sich die eingehenden Daten aufbereiten und - wenn das gesamteuropaeische Netzwerk der Arbeits- und Bildungsverwaltungen realisiert ist - an jeden anderen Rechner innerhalb des europaeischen Informationsverbunds uebermitteln.

Dafuer, dass der Euro-PC nicht nur ein multifunktionales, sondern auch ein multimediales Endgeraet ist, sorgt die Aufruestung des Rechners mit dem MFKS-System (multifunktionales Kommunikationssystem).

"Das ist ein Desktop-Videokonferenz-Produkt fuer professionelle Anwendungsbereiche", erklaert Horst Bachmann, Vertriebs-Ma-nager in der Nuernberger Niederlassung der Deutsche Telekom Systemloesungen GmbH (DeTeSystem). Sie hat auch die Systemloesung bei der BA installiert.

Europaeische Arbeitsaemter ruecken naeher zusammen

Um die Leistungsfaehigkeit von MFKS zu beschreiben, bemueht Viktor Vogt, Multimedia-Experte und IAT-Vorstand, einen Vergleich mit der Automobilindustrie: "Waere MFKS ein Auto, dann wuerde es ganz sicher zur automobilen Oberklasse gehoeren." Die IAT AG hat das MFKS- System in Zusammenarbeit mit der Telekom entwickelt.

Das System verfuegt beispielsweise bereits in der Grundausstattung ueber saemtliche Codes des internationalen H.320-Standards fuer die Telekommunikation mit Uebertragungsraten von 64 Kilobit bis zu 2 Mbit/s. Wesentlicher Effekt der Abstuetzung von MFKS auf internationalen Standards: Das PC-System ebnet der offenen Multimediakommunikation den Weg; MFKS-Anwender koennen sowohl mit Nutzern von ISDN-Bildtelefonen als auch mit Gespraechspartnern in Videokonferenzstudios kommunizieren.

IAT-Manager Vogt verweist auf ein weiteres wichtiges Leistungsmerkmal der MFKS-Technik:

"Die CPU des PCs wird nur zur Steuerung der jeweiligen Kommunikationsanwendung herangezogen, die notwendige Rechnerleistung fuer die Telekommunikation wird auf den Karten des MFKS-Systems realisiert."

MFKS biete damit "die vollstaendige Funktionalitaet eines Videokonferenzsystems unter Beibehaltung der Applikationsvielfalt und Performance des "Wirt-PCs". Anders formuliert: Selbst bei voller Ausnutzung der multimedialen Moeglichkeiten von MFKS geht der Personalcomputer nicht "in die Knie".

Werden die Telekommunikations-Verbindungen mit dem MFKS - wie bei der Bundesanstalt fuer Arbeit - ueber ISDN geknuepft, hat der Anwender die Moeglichkeit, parallel zur audiovisuellen Kommunikation auch die Datendienste mit der ISDN-Geschwindigkeit von 64 Kbit/s zu nutzen. DeTeSystem-Mitarbeiter Bachmann: "Dazu wird einer der beiden fuer die Bildkommunikation genutzten B-Kanaele fuer die Datenuebertragung umgeschaltet." Die Datenkommunikation im zweiten B-Kanal kann jederzeit unterbrochen werden, um den Kanal wieder fuer die Bild- und Tonverbindung zu belegen.

Nicht nur in diesem Fall demonstriert das MFKS-Konzept seine Flexibilitaet. Die Multimedia-Loesung laesst sich auch um eine ISDN- Buendlerkarte erweitern, die drei ISDN-Kanaele koppelt. Auf diese Weise steht eine maximale Uebertragungsrate von 384 Kbit/s zur Verfuegung. "Die Kommunikationsplattform MFKS ermoeglicht im uebrigen nicht nur die Anbindung an das ISDN oder X.25-Netze, sondern auch an Local Area Networks", erlaeutert Horst Bachmann von der DeTeSystem.

Die Implementierung von MFKS in die Euro-PCs ermoeglicht der Bundesanstalt fuer Arbeit eine Vielzahl von Kommunikationsformen. Dazu gehoert neben der in die Benutzeroberflaeche integrierten ISDN- Bewegtbildkommunikation und dem schnellen Filetransfer ueber das digitale Netz auch das Application Sharing. Dabei koennen die Kommunikationspartner ueber das Telekommunikationsnetz beliebige Anwendungsprogramme nutzen, auch wenn die Programme nur auf einem der an der Tele-Konferenz beteiligten Rechner installiert sind.

Damke betont, "dass wir die Moeglichkeiten des MFKS-Systems von Telekom in unserem Euro-PC voll ausreizen". Die dezentrale Organisation der Bundesanstalt fuer Arbeit und kuenftig des europaeischen Verbunds der Arbeits- und Bildungsverwaltungen werde mit Hilfe der multifunktionalen Rechner "gewissermassen wieder enger zusammenruecken".

Derzeit sind bei der Bundesanstalt fuer Arbeit vier Euro-PC-Systeme im Einsatz. Diese Systeme stehen neben der Nuernberger Zentrale in den Beratungszentren in Rastatt, Aachen und Bremen. Ob die Multimedia-Kommunikation schon bald in groesserem Massstab Einzug in die europaeischen Berufsberatungs- und Vermittlungsdienste Einzug haelt, haengt von dem BA-Testlauf ab. Damke: "Unsere Aufgabe ist es, im Rahmen des Projektes Empfehlungen zur Weiterentwicklung etwa der Berufsberatungsdienste in Europa sowie deren Kommunikation untereinander zu erarbeiten."

Im Klartext: Die von der Bundesanstalt fuer Arbeit erprobten Informations- und Kommunikationstechnologien werden empfehlenden Charakter fuer alle Laender der Europaeischen Union haben. Sollte die Erprobung erfolgreich verlaufen - und dafuer spricht schon jetzt einiges -, dann koennten die multimedialen PC-Arbeitsplaetze bereits in absehbarer Zukunft in allen 27 europaeischen Berufsberatungs- Zentren eingefuehrt werden.

Auch im Rahmen der nationalen Beratungstaetigkeit der Bundesanstalt fuer Arbeit eroeffnen sich fuer den Einsatz des Multimedia-PC Perspektiven.

Damke: "Wenn sich das Euro-PC-Konzept bewaehrt, empfiehlt es sich, die PC-Systeme in allen 180 Berufsinformations-Zentren unter anderem mit MFKS hochzuruesten."