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Reding und die Pfründe der Carrier

EU-Regulierung: Kommen die Telcos ohne Netz?

12.11.2007
Bei der bevorstehenden Neuordnung des TK-Marktes zeichnet sich ein handfester Interessenkonflikt zwischen der EU und Deutschland ab: Während Brüssel die Carrier zwingen will, ihre Netze auszugliedern, halten die Deutschen am alten Regulierungsmodell fest.

Der 13. November 2007 dürfte für EU-Kommissarin Viviane Reding und für viele Anwender ein spannender Tag werden: Dann will die Kommissarin ihren neuen Rahmenentwurf zum TK-Markt präsentieren. Das Dokument birgt, wie die Diskussionen im Vorfeld zeigen, viel politischen Sprengstoff. An Forderungen nach einer obersten EU-Regulierungsbehörde, der "European Electronic Communications Market Authority" (EECMA), oder an einer möglichen Ausgliederung der TK-Netze in eigene Betreiberorganisationen erhitzen sich die Gemüter. Dabei nimmt die Meinungsfront teilweise einen unerwarteten Verlauf, wenn sich etwa hierzulande die Telekom-Konkurrenten dafür aussprechen, dass der marktbeherrschende Carrier sein Netz in der heutigen Form behalten soll.

Erfordern die Next Generation Networks eine neue Regulierung?

Die Frage nach der künftigen Regulierung der TK-Netze ist jedoch nur der formalrechtliche Aspekt einer Diskussion, die sich eigentlich darum dreht, ob die reine TK-Infrastruktur – egal ob Glasfaser oder Kupferkabel - im All-IP-Zeitalter überhaupt noch einen Wert hat und die Marktteilnehmer nicht vielmehr künftig mit Services und Anwendungen untereinander konkurrieren. Von diesem Szenario, neudeutsch als Next Generation Networks (NGN) bezeichnet, ist beispielsweise Matt Bross, CTO der British Telecom Group, überzeugt. Er sieht auf die klassischen Telcos einen grundsätzlichen Wandel ihrer Geschäftsmodelle zukommen: "Früher agierten die Carrier als Infrastrukturbetreiber, heute sind sie in der Rolle eines Serviceanbieters, und künftig werden sie als Lösungsanbieter von Kommunikationssoftware auftreten." Mittel- beziehungsweise langfristig müsse die neue Positionierung der Carrier deshalb zu einer Änderung der Regulierungspolitik führen. Für Bross passt in die NGN-Welt nämlich eine Regulierung, die auf dem Infrastrukturwettbewerb basiert, nicht. Er ist davon überzeugt, dass die Netzbetreiber in naher Zukunft ihre Infrastrukturen öffnen sollten, so dass alle Beteiligten "diskriminierungsfrei" auf die Technik zugreifen können, womit er sich mit EU-Kommissarin Reding auf einer Wellenlänge befindet. Der eigentliche Wettbewerb fände dann auf der Ebene der Kommunikationsapplikationen statt. Eine Einschätzung, die auch Dan Bieler, Director Consulting European Telecommunications & Networking bei IDC und Autor der Studie "Next-Generation Networks: Prepare for the Global Revolution", teilt. In seinen Augen müssen die Telcos mit neuen Wettbewerbern wie IBM, Logica und anderen rechnen, die künftig ebenfalls Kommunikationsservices offerieren werden.

Europas Regulierer für Abspaltung der Netze

Eine ähnliche Meinung vertritt der Verband der europäischen Regulierungsbehörden (European Regulators Group (ERG). In einem an Reding gerichteten Positionspapier "ERG Opinion on Functional Separation" spricht er sich für eine Abspaltung des Netzbetriebs aus. Allerdings geht die ERG nicht so weit, dass sie eine strukturelle Zerschlagung der marktbeherrschenden Telcos fordert. Den Regulierungsbehörden schwebt unter der Bezeichnung "Functional Separation" vielmehr eine Ausgliederung des Netzbetriebs in einen eigenständigen Geschäftsbereich vor, wie es bereits in Großbritannien geschehen ist (siehe Kasten "Das Beispiel Großbritannien"). Dieser soll seine Leistungen zu gleichen Bedingungen an den Mutterkonzern sowie die Wettbewerber vermarkten. In ihrem Grundsatzpapier konkretisieren die Regulierer dann auch gleich ihre Vorstellungen: So dürfen Mitarbeiter des Netzbetriebs nicht für andere Unternehmensbereiche arbeiten, die Büros und Arbeitsplätze müssen baulich getrennt von den anderen Bereichen sein, innerhalb der Telco muss es - wie aus der Bankenwelt bekannt - eine "chinesische Mauer" zur Begrenzung des Informationsflusses geben.

Allerdings bezweifelt Joachim Trickl, Geschäftsführer beim virtuellen Netzbetreiber Vanco in Neu-Isenburg, dass die Anwender von einer "Functional Separation" wirklich profitieren. "Als virtueller Netzanbieter mit Hauptsitz in London konnten wir die dortige Entwicklung genau beobachten", so Trickl, " für unsere Kunden, global agierende Unternehmen, hat die Trennung von Infrastruktur und Service kaum positive Effekte gebracht." Lediglich regional habe sich ein besseres Serviceangebot herausgebildet.

Das Beispiel Großbritannien

Bei Diskussionen um das Thema Functional Separation wird immer wieder die Regulierung von BT als Beispiel für die positiven Erfahrungen mit diesem Modell angeführt. Die dortige Regulierungsbehörde Ofcom hatte 2005 eine neue Führung bekommen, die als eine ihrer ersten Amtshandlungen eine kritische Bestandsaufnahme von zehn Jahren TK-Marktregulierung vornahm. In diesem Telecom Strategic Review (TSR) kam die Behörde zu dem Ergebnis, dass BT trotz Regulierung immer noch einen erheblichen Marktanteil an den Endnutzermärkten aufwies. Zudem konnte das Unternehmen aufgrund seiner Herrschaft über das Access-Netz seine Wettbewerber durch unfaire Verhaltensweisen behindern. Deshalb wurde die Frage erwogen, ob BT nach den Vorschriften des britischen Kartellrechts zerschlagen werden sollte. Um dies zu vermeiden, stimmte BT in einer umfassenden Vereinbarung mit Ofcom einer Vielzahl von organisatorischen Änderungen zu. Dazu zählte insbesondere die Auslagerung des Access-Netzes in eine Access Services Division.

Diese Division agiert nunmehr als BT Openreach und ist eine Unternehmenseinheit von BT. Funktional ist sie von anderen Bereichen getrennt. So sitzen die Mitarbeiter von Openreach in anderen Gebäuden, sind nicht den Unternehmenszielen von BT verpflichtet und berichten nicht an den BT-Vorstandsvorsitzenden, sondern an ein dem Aufsichtsrat verantwortliches Equivalence of Access Board (EAB), um nur einige Beispiele zu nennen. Diese Trennung ist aber keine strukturelle Separierung: Das Netz wurde weder verkauft noch in eine separate Gesell-schaft ausgelagert.

Als Unternehmenseinheit innerhalb des BT-Konzerns betreibt BT Openreach das Access-Netzwerk des Carriers. Das eigentliche Kernnetz verblieb dagegen bei BT Wholesale. Als Dienstleister beliefert BT Openreach unternehmensinterne und unternehmensexterne Kunden nach dem Prinzip der "Equivalence of Access" mit Zugangsprodukten wie Telefonleitungen. Equivalence of Access bedeutet dabei, dass BT seine eigenen Unternehmenszweige und seine Wettbewerber nicht nur im Ergebnis diskriminierungsfrei zu behandeln hat, sondern auch im Hinblick auf den gesamten Vorleistungsbezug. Unterschiedliche Lieferzeiten für DSL-Ports, wie sie in Deutschland immer wieder von den Wettbewerbern beklagt werden, darf es nach diesem Prinzip nicht geben. Zudem werden bei Bestellungen für interne und externe Kunden die gleichen Interfaces und Systeme genutzt.

Während sich BT anfangs gegen diese funktionale Trennung sträubte und nur vor der Drohkulisse einer Zerschlagung dazu bereit war, feiert das Unternehmen diesen Schritt heute als Erfolgsstory. So entwickelt sich der Börsenkurs besser als der Branchentrend.

Ablehnung der EU-Pläne in Deutschland

Erstaunlicherweise hält man auch beim Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), in dem viele Telekom-Konkurrenten zusammengeschlossen sind, wenig vom Vorschlag der Functional Separation. Der Verband, der in der Vergangenheit immer wieder kritisierte, dass die Telekom ihren Wettbewerbern den Zugang zum Netz erschwere, glaubt schlicht nicht an eine Verbesserung der Wettbewerbsituation durch diese Form der Regulierung. Zumal für VATM-Sprecher Wolfgang Heer das Problem nicht im Core-Netz liegt, sondern im Access-Bereich, also der letzten Meile. "Von einem Euro Umsatz", so rechnet er vor, "bleiben den Anbietern knapp 50 Cent, denn 20 Cent müssen sie für die Interconnection mit anderen Netzen bezahlen und 30 Cent an die Telekom für Vorleistungen auf der letzten Meile." Noch drastischer fällt die Rechnung für die Wiederverkäufer von Telekom-Leistungen - also den Resalern - aus: Sie führen fast 90 Prozent ihrer Einnahmen an die Telekom ab. Angesichts dieser Zahlen erwartet Heer von einem anderen Regulierungsmodell und NGN kaum positive Effekte auf der Kostenseite.

Er hält in Sachen Regulierung zwei andere Punkte für viel entscheidender: Was passiert, wenn die Telekom im Zuge des VDSL-Ausbaus irgendwann die Hauptverteiler (HVTs) – auch als Ortsvermittlungsstellen bekannt – abschaltet? Müssen die Wettbewerber dann eigene Leitungen bis zu den Kabelverzweigern (KVZ) am Straßenrand verlegen? Neben diesem ungelösten Problem stört Heer an den EU-Vorschlägen noch, dass die Zahl von ursprünglich 18 Regulierungsmärkten (hierunter verstehen die TK-Fachleute unterschiedliche Services wie Terminierung, Verbindungsaufbau etc.) auf acht reduziert werden soll und der Rest ins einfache Kartellrecht überführt wird. Ferner befürchtet er bei einer funktionalen Trennung noch andere Schwierigkeiten: Wenn eine privatwirtschaftlich organisierte Telekom als Aktiengesellschaft ihr Netz ausgliedern muss, dann könnten die Anteilseigner womöglich Schadensersatz fordern.

Die Bundesnetzagentur als deutscher TK-Regulierer hält die Trennung zwischen Netzbetrieb und TK-Services nur für die Ultima Ratio. Zumal das Beispiel Großbritannien wenig mit der deutschen Regulierungsrealität gemeinsam habe, denn auf der Insel hätten die Wettbewerber ursprünglich nicht einmal eine Teilnehmeranschlussleitung vernünftig von BT bekommen.

Nein zur EU-Behörde

Ebenfalls einig sind sich Bundesnetzagentur und VATM in der Ablehnung der EECMA. In ihren Augen schießt eine europäische Regulierungsbehörde über das Ziel hinaus und werde den Besonderheiten der einzelnen nationalen Märkte nicht gerecht. Zumal von einem einheitlichen TK-Markt der 27 Mitgliedsstaaten keine Rede sein könne. Darüber hinaus sind durchaus Bedenken angebracht, ob eine EU-Regulierungsbehörde bei Streitigkeiten in den einzelnen Märkten wirklich schnell und fundiert zu einer Entscheidung findet.

Ganz anders dagegen das Meinungsbild beim auf Unternehmenskunden spezialisierten Carrier Colt: Das Unternehmen begrüßt den Vorstoß der EU für eine einheitliche Marktaufsicht als positive Ergänzung zu den nationalen Behörden. "Eine einheitliche Marktaufsicht wird den Wettbewerb stärken und Fehlentwicklungen verhindern", zeigt sich Sabine Hennig, Director Regulatory Affairs bei Colt, überzeugt. Die Regulierungswirklichkeit der vergangenen Jahre habe deutlich gezeigt, dass der derzeitige Abstimmungsmodus zwischen den nationalen Regulierungsbehörden nicht ausreiche, um eine Harmonisierung der Regulierungspraxis herbeizuführen.

Angesichts der technischen Weiterentwicklung in Richtung NGN macht eine Regulierung auf EU-Ebene auch für IDC-Direktor Bieler Sinn. In seinen Augen führen viele Telcos in der derzeitigen Diskussion um die Rahmenbedingungen eine Abwehrschlacht, um neuen Playern den Marktzutritt zu erschweren. "Die Telcos tun sich mit dem Versuch, die Zukunft aufzuhalten, keinen Gefallen", bewertet Bieler dieses Verhalten.

Letztlich bleibt abzuwarten, wer sich am Schluss in Brüssel auf politischer Ebene durchsetzt: Die umtriebige Viviane Reding oder die nationalen Interessengruppen mit ihrem Beharrungsvermögen. Sollten Letztere die Oberhand behalten, dann haben sie aber nur eine Atempause gewonnnen, denn die technische Entwicklung in Richtung NGN können sie nicht aufhalten. Damit tritt aber der Infrastrukturwettbewerb – zumindest im Core-Netz - zwangsläufig in den Hintergrund. Allerdings wollen Insider wissen, dass das Verhältnis der Pro-Reding-Lobbyisten zu den Gegnern in Brüssel bei sieben zu eins liegt. (hi)