Richtlinienentwurf: Abschied vom Kriterium der Technizität?

EU-Kommission spricht sich für Softwarepatente aus

01.03.2002
BRÜSSEL (ba) - Mit der Richtlinie zur Patentierbarkeit von Software sucht die EU-Kommission den Kompromiss. Der Entwurf sieht einerseits vor, die gängige Praxis der Patentämter auf eine legale Basis zu stellen. Andererseits will die Kommission mit der Beschränkung auf den technischen Prozess verhindern, dass zukünftige Innovationen in Sachen Software behindert werden. Kritiker befürchten jedoch eine stärkere Monopolisierung durch die großen Softwarekonzerne.

Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission sieht vor, dass Software grundsätzlich durch Patente geschützt werden kann. Damit verabschiedet sich die Behörde vom bisherigen Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ), wonach Computerprogramme als solche nicht geschützt werden können. Dennoch hatte das Europäische Patentamt (EPA) in den letzten Jahren etwa 20 000 Patente auf "computerimplementierte Erfindungen" erteilt. Mit der Richtlinie soll diese Praxis auf eine legale Basis gestellt werden.

Nach Artikel 2 der Richtlinie müssen sich computerimplementierte Erfindungen auf einen Computer oder eine vergleichbare Vorrichtung stützen und durch den Ablauf eines Programms realisiert werden. Ferner müssen sie einen eigenständigen technischen Beitrag enthalten. Dieser ist "nicht anhand der Neuheit, sondern der erfinderischen Tätigkeit zu prüfen". Als technischer Beitrag gilt "ein Beitrag zum Stand der Technik auf einem Gebiet der Technik, der für eine fachkundige Person nicht naheliegend ist".

Mit dieser Regelung endet vorerst ein seit 1997 geführter Streit um die Patentierbarkeit von Software. So hatten Industrieverbände und der für den Binnenmarkt zuständige EU-Kommissar Frits Bolkestein immer wieder gefordert, Software nicht schlechter als andere Produkte zu schützen. Außerdem müsse das in Europa geltende Recht an die weitergehenden Patentrichtlinien in den USA und Japan angeglichen werden.

Im Grunde könne auf Basis der jetzt vorgesehenen Regelung auch künftig nicht mehr patentiert werden, als jetzt schon patentierbar sei, erklärt Bolkestein. Erfindungen könnten nur im Zusammenhang mit Hardware geschützt werden. So sei beispielsweise ein Programm, das eine Maschine steuert, patentierbar. Für Software ohne einen technischen Beitrag oder für elektronische Geschäftsmodelle könne auch künftig kein Patentschutz erteilt werden. Die Richtlinie werde nach seiner Einschätzung für Rechtssicherheit sorgen und damit auch in Zukunft Innovationen fördern.

Richtlinie ändert wenigAuch nach Auffassung des Münchner Patentanwalts Franz-Josef Schöniger werde sich de facto durch die EU-Richtlinie nichts ändern. So hätten die Patentämter bereits in der Vergangenheit zwischen technischen und nicht technischen Computerprogrammen differenziert, wobei Erstere schon immer patentfähig gewesen seien. Lediglich statt technisch oder nicht technisch werde nun nach erfinderisch oder nicht erfinderisch gefragt.

Demgegenüber hatten die freien Programmierer und der für Angelegenheiten der Informationsgesellschaft zuständige EU-Kommissar Erkki Liikanen eine Ausweitung des Patentrechtes auf Software abgelehnt. Es bestehe die Gefahr, dass große Softwarehäuser einzelne Codebausteine monopolisierten und damit Innovationen behinderten.

Scharfe Kritik kommt aus den Reihen des Fördervereins für eine freie Informationelle Infrastruktur (FFII). Dessen Sprecher Hartmut Pilch bezeichnet die Richtlinie in einer Stellungnahme als "verlogenes dummdreistes Manöver". Das Papier werde eine grenzenlose Patentierbarkeit aller Ideen nach sich ziehen. Ferner müsse man damit rechnen, dass künftig massiv geistiges Eigentum gestohlen, die Softwareinnovation verlangsamt sowie Grundrechte der Bürger in der Informationsgesellschaft ausgehöhlt würden.

Die Diskussionen entzünden sich vor allem an der Definition um den technischen Beitrag von Erfindungen. Diese auch als Technizität bezeichnete Eigenschaft ist heftig umstritten. So sei Funktionalität von durch Software gesteuerter Hardware an sich untechnisch, wenn die Erfindung in der Software implementiert ist, argumentieren Gegner von Softwarepatenten. Für die Befürworter dient ein Programm dazu, einen Computer zu steuern. Deshalb sei jede Software im Grunde technisch zu verstehen.

Die Begründung, dass auf in Software implementierte Erfindungen keine Patente erteilt werden dürften, weil sie das Kriterium der Technizität nicht erfüllten, erscheint Patentanwalt Schöniger absurd. Für ihn stellt die Richtlinie grundsätzlich klar, dass Software etwas Technisches ist.

Um Patentschutz für eine computerimplementierte Erfindung zu erhalten, müsse ein technischer Beitrag nachgewiesen werden. Dabei werde geprüft, was an der Erfindung neu ist. Löst die Erfindung ein technisches Problem und findet sich der Lösungsaspekt im Bereich der Software, dann kann dieses Programm durch ein Patent geschützt werden, erklärt Schöniger.

Kritiker warnen vor amerikanischen VerhältnissenKritiker befürchten eine Flut von Patentanträgen. Nach ihrer Einschätzung ist die ganze Diskussion um den technischen Beitrag einer Erfindung Augenwischerei, da im Grunde jede Software per definitionem künftig als technisch anzusehen sei. Auch den von den Befürwortern der Richtlinie hervorgehobenen Ausschluss von Geschäftsmethoden von der Patentierbarkeit sehen viele Skeptiker aufgeweicht. So heißt es in Artikel 4, die nicht technischen Merkmale einer Erfindung dürften nicht isoliert von den technischen Merkmalen monopolisiert werden. Das bedeute, dass Erfindungen, die Aspekte wie Geschäftsmethoden enthalten, auch patentiert werden könnten, wenn irgendwo ein technischer Beitrag nachzuweisen ist.

Bis zur rechtlichen Verbindlichkeit ist noch ein weiter Weg. Nach dem Ministerrat muss auch das Europäische Parlament der Richtlinie zustimmen. Bis die Vorgaben der Richtlinie letztendlich in nationales Recht umgesetzt sind, dürften weitere 18 Monate vergehen.

Abb: Zahl der Patentanmeldungen 2000

Die Fleißigsten beim Anmelden von Patenten sind die US-Amerikaner. Allerdings sind die Grenzen des Patentrechts dort weiter gesteckt als in Europa. Quelle: Europäisches Patentamt