Kartellbehörde erwägt harte Sanktionen wegen Monopolmissbrauchs

EU erhebt schwere Vorwürfe gegen Microsoft

19.10.2001
MÜNCHEN (CW) - Wegen illegaler Geschäftspraktiken drohen Microsoft in Europa harte Auflagen und Strafen in Milliardenhöhe. Die EU-Kommission wird möglicherweise auch Windows XP unter die Lupe nehmen. Im US-amerikanischen Monopolprozess gegen den Softwaremulti hat die zuständige Richterin einen Vermittler eingesetzt, der helfen soll, eine außergerichtliche Einigung zu erzielen.

Die Gates-Company kämpft zur Zeit an vielen Fronten. Neben dem Monopolverfahren in den USA und dem wachsenden Widerstand gegen das neue Lizenzmodell für Unternehmenskunden macht nun die EU-Kartellbehörde Ernst: Microsoft habe seine dominierende Stellung im Markt für Betriebssysteme und Office-Software auf illegale Weise ausgenutzt, lautet der Vorwurf.

Mit wettbewerbswidrigen Methoden versuche das Unternehmen, Vorteile in anderen Segmenten wie Server- und Internet-Software zu erlangen, heißt es laut "Wall Street Journal" in einem vertraulichen EU-Papier. Beispielsweise habe Microsoft sein Windows-2000-Betriebssystem und begleitende Software absichtlich so programmiert, dass sie nicht mit Anwendungen konkurrierender Firmen harmonieren.

EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti erklärte unterdessen, es sei noch zu früh, über Sanktionen gegen Microsoft zu sprechen. Eine abschließende Beurteilung sei erst möglich, nachdem Microsoft in einer Anhörung die Gelegenheit erhalten habe, sich zu verteidigen. Sollten die Brüsseler Wettbewerbshüter die Vorwürfe bestätigen, könnte die EU-Kommission als ausführendes Organ eine Geldstrafe von bis zu zehn Prozent von Microsofts Jahresumsatz, also rund 2,5 Milliarden Dollar, anordnen.

In dem 70-seitigen Papier formuliert die Kommission ihre Absicht, nicht nur eine Strafe zu verhängen. Vielmehr solle Microsoft dazu gebracht werden, seine illegalen Aktivitäten zu beenden. In ungewöhnlich harscher Sprache werfen die Kartellexperten dem Konzern vor, seinen "Windows Media Player" illegal mit dem Betriebssystem gekoppelt zu haben, um die Konkurrenz auszuschalten. Diese Praxis "friere die Innovation und den Wettbewerb ein". Microsoft nehme damit anderen Herstellern den Anreiz, mit neuen Produkten auf den Markt zu kommen, und bewirke, dass Wettbewerber aus dem Markt gedrängt würden.

Noch wichtiger ist aus Sicht von Kartellexperten der Vorwurf, Microsoft habe Schnittstellen-Informationen zurückgehalten. Dadurch würden Konkurrenten daran gehindert, Begleitprodukte für Windows zu entwickeln. Nicht zuletzt verfolge Microsoft eine diskriminierende Lizenzpolitik.

In der hauptsächlich auf den Server-Markt gerichteten Untersuchung konzentrierte sich Brüssel vor allem auf Microsofts existierende Produktlinie und ging nicht direkt auf das neue Betriebssystem Windows XP ein, das am 25. Oktober auf den Markt kommen soll. Wie die Londoner "Financial Times" berichtete, lässt Monti aber auch prüfen, ob Microsoft mit Windows XP und den damit gekoppelten Programmen gegen Wettbewerbsgesetze verstößt. Dem Hersteller sei dazu bereits ein Fragenkatalog übermittelt worden. Eine Sprecherin der Behörde dementierte diese Darstellung inzwischen.

Die europäischen Kartellwächter werfen dem Hersteller zudem vor, die EU-Untersuchung behindert zu haben. Ein Microsoft-Sprecher erklärte, sein Unternehmen habe mit der Kommission zusammengearbeitet und die europäischen Kartellgesetze nicht verletzt. Man werde auf die EU-Vorwürfe in einer formellen Antwort eingehen.

Schon seit 1998 untersucht die EU-Kommission das Verhalten des Desktop-Monopolisten. Die Ermittlungen liefen lange Zeit unabhängig von dem Washingtoner Kartellverfahren gegen Microsoft. Vor einigen Wochen reiste Monti in die USA, um mit den dortigen Kartellbehörden eine gemeinsame Haltung gegenüber dem Konzern zu entwickeln.

Nach dem Regierungswechsel im Weißen Haus zeichnet sich indes immer deutlicher ab, dass die Europäer in Sachen Kartellrecht ein restriktiveres Vorgehen bevorzugen.

Im US-amerikanischen Kartellprozess hat die zuständige Bezirksrichterin Colleen Kollar-Kotelly unterdessen ihre Bemühungen um eine außergerichtliche Einigung verstärkt. Nachdem sie bereits im September die Prozessparteien zu Verhandlungen aufgefordert hatte, bestellte sie nun den Rechtsexperten Eric Green von der Universität Boston als Vermittler.

Sollten die Einigungsgespräche unter seiner Leitung bis zum 2. November zu keinem Ergebnis führen, ginge das Monopolverfahren am 11. März 2002 in die nächste Runde.