LAN-Klassiker als günstige Alternative zur Standortkopplung

Ethernet erobert den Weitverkehrsbereich

18.04.2003
MÜNCHEN (ave) - Der Markt für Weitverkehrsverbindungen ist in Bewegung. Neben Verfahren wie Asynchronous Transfer Mode (ATM), Frame Relay oder Standleitungen etabliert sich Ethernet als ernst zu nehmende Alternative für die Kopplung von Unternehmensstandorten. Hohe Bandbreiten, geringe Komplexität und Kosten sprechen für die Technik.

Theoretisch hat das Übertragungsverfahren Ethernet außerhalb von lokalen Netzen überhaupt nichts zu suchen. Als die Technik in den 70er Jahren von Robert Metcalfe, David Boggs, Charles Thacker und Butler Lampson konzipiert wurde, ging es laut Patentschrift darum, "mittels eines Kabels die Kommunikation zwischen zwei oder mehr Datenverarbeitungsstationen zu ermöglichen". An einen Einsatz außerhalb von Unternehmensnetzen dachten die Erfinder damals nicht einmal im Traum.

Inzwischen hat Ethernet, das in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag feiert, die Grenzen der Local Area Networks (LANs) längst gesprengt und erobert Stück für Stück den Weitverkehrsbereich. Zunächst machte das Verfahren innerhalb von Städten im Rahmen von Metropolitan Area Networks (MANs) von sich reden: Alternative US-Carrier wie Yipes oder XO Communications propagierten Ethernet-Dienste als preisgünstige Alternative zu etablierten WAN-Techniken. Inzwischen haben auch Service-Provider hierzulande die Chance erkannt und offerieren die Technik.

Selbst die Deutsche Telekom hat auf der CeBIT im März angekündigt, im Sommer 2003 mit einem bundesweit flächendeckenden Ethernet-Service an den Start zu gehen, den sie unter der Bezeichnung "DDV-M Ethernet 100" vermarkten möchte. Colt Telecom baut sein bestehendes Angebot unterdessen weiter aus und bietet mit "Euro-LAN-Link" Unternehmen in insgesamt 32 europäischen Metropolen die Möglichkeit, ihre Standorte via Ethernet miteinander zu verbinden.

Auch auf Anwenderseite erkennen immer mehr Unternehmen die Vorteile, die ihnen Ethernet im MAN und WAN bietet. Zu ihnen gehören beispielsweise die Itellium Systems & Services GmbH, der IT-Dienstleister der Karstadt-Quelle AG, oder die RAG Informatik. Itellium hat ein Rechenzentrum von der Nebenstelle in Fürth in das Hauptrechenzentrum von Quelle in Nürnberg verlagert. Seit rund einem Jahr greifen die Mitarbeiter von der Außenstelle aus über eine redundant ausgelegte Ethernet-Verbindung mit 100 Mbit/s auf die Zentrale zu. Die Kopplung gestaltet sich nach Angaben von Peter Niedermeyer, der bei Itellium für die Beschaffung von Provider-Diensten zuständig ist, "problemlos".

RAG Informatik nutzt seit November 2002 den Service "CT Metrolan" des Providers Completel zwischen der RAG-Konzernzentrale in Essen, dem Rechenzentrum in Herne und dem RAG-Informatik-Standort in Gelsenkirchen. Wie Ralf Holzapfel, Leiter Produkt-Management im Bereich Access- und Communication-Services, erzählt, wurden davor jeweils zwei Standleitungen à 2 Mbit/s genutzt, deren Kapazität jedoch nicht mehr ausreichte. Die Suche nach Alternativen mit höherer Bandbreite führte zu mehreren Angeboten, wobei das von Completel "46 Prozent unter dem nächstgünstigeren" gelegen und "entscheidende Vorteile" mit sich gebracht habe.

Flaschenhälse entfallen

Zu einem Preis, der laut Holzapfel "etwa dem Niveau unserer vorherigen Standleitungslösung entspricht", verfügt das Unternehmen nun über Anbindungen zwischen den drei Niederlassungen, die um ein Vielfaches schneller sind. Die berüchtigten Flaschenhälse zwischen den lokalen Netzen sind nicht mehr vorhanden, was weitere Annehmlichkeiten bedeutet. So benutzt RAG Informatik jetzt nur noch einen zentralen Internet-Zugang mit 10 Mbit/s am Standort Essen, auf den die Mitarbeiter in Herne und Gelsenkirchen über das bis zu 155 Mbit/s schnelle Ethernet-WAN zugreifen. Davor war jede Niederlassung separat an das weltweite Datennetz angeschlossen.

Der Provider stellt vor Ort jeweils eine Ethernet-Schnittstelle zur Verfügung, wodurch sich "der Verbund der drei Standorte wie ein einziges lokales Netz gestaltet", erklärt Holzapfel. Das wirkt sich wiederum positiv auf Administration und Netzplanung aus. So war es beispielsweise problemlos möglich, einen zentralen Mail-Server in Herne aufzustellen, was für die Verwaltung günstiger war. Außerdem nutzt die RAG-Tochter die Ethernet-Strecken zur Übertragung von VoIP-Traffic zwischen den Standorten. Dafür haben die Spezialisten virtuelle LANs definiert, ferner wird diesen Datenströmen über Quality-of-Service-(QoS-)Mechanismen eine höhere Priorität als anderen eingeräumt.

"Wir haben jetzt auch eine bessere Verfügbarkeit als vorher", freut sich Holzapfel, der mit dem Ethernet-Service "rundum zufrieden" ist: Boten die Standleitungen eine Ausfallsicherheit von 98,5 Prozent, so erreicht die neue, redundant ausgelegte Anbindung einen Wert von 99,95 Prozent.

Durchgängige Technik im LAN und WAN

Einfach, schnell und flexibel - so lassen sich die wesentlichen technischen Vorteile von WAN-Ethernet auf den Punkt bringen. Anders als bei der Nutzung von Verfahren wie Frame Relay, Asynchronous Transfer Mode (ATM), Synchronous Digital Hierarchy (SDH) oder Standleitungen findet kein Technologiebruch zwischen den lokalen Netzen und der Weitverkehrsstrecke statt. Die Anwender bekommen vom jeweiligen Provider eine Ethernet-Schnittstelle zur Verfügung gestellt, die sie nur noch mit ihrer lokalen Infrastruktur verbinden müssen.

Mark Dittmann, Senior Product Manager Data Services bei Colt, erläutert: "Eine Standleitung mit 2 Mbit/s oder 34 Mbit/s kann ein Unternehmen nicht einfach mit einem Ethernet-Switch verbinden, dafür ist immer ein zusätzliches Gerät mit einer WAN-Schnittstelle erforderlich, in der Regel ein Router." Das verursacht Kosten, weil die Geräte nicht nur angeschafft, sondern auch gewartet werden müssen. Gleiches gilt für Frame Relay oder ATM.

Bei Ethernet hingegen entfällt diese Notwendigkeit, die WAN-Verbindung kann direkt auf einen Switch geschaltet werden, wie sie im Unternehmen ohnehin vorhanden sind. "Für den Administrator verhält es sich genauso, als wenn er es mit einem lokalen Netz zu tun hätte." Dazu gehört, dass alle im LAN verwendeten Protokolle ohne irgendeine Umsetzung völlig transparent übertragen werden, auch Priorisierungsmechanismen stellen kein Problem dar. Selbst virtuelle LANs (VLANs) lassen sich standortübergreifend definieren und nutzen.

Hinzu kommt, dass Unternehmen auch kein Spezialwissen wie bei ATM benötigen. Das ist nach Einschätzung von Markus Nefzger, Account Manager beim Systemintegrator Controlware, von Bedeutung, weil sich "die technischen Spezialisten bei den Anwendern mit Ethernet gut auskennen, das Know-how für Verfahren wie ATM in den meisten Fällen jedoch fehlt". Für ihn stellt Ethernet "eine der günstigsten Techniken überhaupt" dar, die speziell gegenüber ATM oder Frame Relay "klar im Vorteil" ist.

Bandbreite flexibel anpassen

Michael Baucke, Marketing Programs Manager beim Hersteller Lucent, preist Ethernet zudem wegen seiner Flexibilität im Vergleich zu anderen Verfahren. Gegenüber ATM oder SDH könnten Unternehmen bei der Inanspruchnahme von Ethernet-Services die Bandbreite besser an ihre tatsächlichen Bedürfnisse anpassen. Die meisten Anbieter stellen ihren Kunden Übertragungsraten zur Verfügung, die denen in ihren jeweiligen lokalen Netzen entsprechen. Üblich sind Abstufungen von 10 über 100 Mbit/s bis zu 1000 Mbit/s, die den Spezifikationen für Ethernet, Fast Ethernet und Gigabit Ethernet entsprechen. Es sind jedoch auch Zwischenschritte erhältlich. Zum Vergleich: Typische Standleitungen bieten Übertragungsraten ab 64 Kbit/s bis hin zu 2 Mbit/s beziehungsweise einem Vielfachen davon. "Das lässt sich skalieren, je nachdem, wie viel Daten zwischen den Standorten übertragen werden", erläutert Colt-Vertreter Dittmann. Bei Frame-Relay-Verbindungen bekommt der Anwender in der Regel Kapazitäten zwischen 56 Kbit/s und 45 Mbit/s. ATM stellt zumeist Bandbreiten zwischen 1,5 und 622 Mbit/s zur Verfügung.

Ethernet oder SDH?

Sollten Unternehmen einmal eine höhere Durchsatzrate benötigen, kann das Baucke zufolge in der Regel ohne neue beziehungsweise zusätzliche Investitionen in Hardware bewerkstelligt werden. Wie Hans-Jürgen Roß, Produkt-Manager bei Completel, behauptet, schaltet der Provider höhere Bandbreiten "innerhalb von 24 Stunden" rein über Software frei, ohne dass ein Servicetechniker beim Kunden vor Ort sein muss.

Als Nachteil von Ethernet wird gerne angeführt, dass es keine so gute Ausfallsicherheit garantiert wie ATM oder SDH. Dieses Problem lösen die meisten Carrier jedoch, indem sie ihre Ethernet-Services für den Anwender transparent auf Basis ihrer SDH-Netze implementieren. Für die Anbieter hat dieses Vorgehen den Vorteil, dass sie mehrere Dienste parallel anbieten können: Neben Ethernet nutzen ATM- oder Sprachservices zugleich die optische Infrastruktur.

Ethernet-Installationen bei Carriern, die direkt auf Glasfasernetzen aufsetzen, sind zwar technisch möglich, in Deutschland sucht man sie bislang jedoch vergebens. Eine Untersuchung der Analysten von Network Strategy Partners kommt zu dem Schluss, dass diese letztendlich günstiger sind und besser skalieren. Diese Einschätzung teilt der französische Carrier Cegetel, der die Bereitstellungs- und Betriebskosten 20 bis 50 Prozent unter denen für SDH beziehungsweise ATM schätzt. Das Unternehmen, das im Oktober 2003 einen reinen Metro-Ethernet-Dienst in der Region um Paris gestartet hat, geht sogar davon aus, dass Gigabit Ethernet SDH auf lange Sicht verdrängen wird.

Ob deutsche Carrier das Wagnis eingehen werden, angesichts ihrer bereits in SDH getätigten Investitionen eine reine Ethernet-Struktur aufzubauen, ist fraglich. Doch selbst wenn SDH sich als Basis weiterhin behauptet, spielt dies für Anwenderunternehmen letztlich keine Rolle. Der Provider stellt ihnen in jedem Fall eine Ethernet-Schnittstelle zur Verfügung, so dass sie sämtliche Vorteile von Ethernet auch im WAN ausschöpfen können.

Die Ausgangssituation

Carrier und Service-Provider setzen in ihren Glasfasernetzen in der Regel das für die klassische Telekommunikation entwickelte Verfahren Synchronous Digital Hierarchy ein. Es erfordert teures Spezialequipment, dafür lassen sich auf dieser Basis andere Dienste realisieren, zum Beispiel Telefonie, Videoübertragungen, ATM oder Ethernet. Zu den Vorteilen von SDH zählen hohe Dienstequalitäten, große Verfügbarkeit sowie Selbstheilungsfunktionen, die beim Auftreten von Fehlern die Ausfallzeiten kurz halten. Ethernet-Verfahren können ebenfalls direkt auf Glasfaser aufgesetzt werden, allerdings sind dafür spezielle Komponenten erforderlich. Außerdem müssen dann Verfahren implementiert werden, die wiederum Dienstequalität oder Verfügbarkeit garantieren. Die Reichweite der Datenübertragungen ist zunächst eingeschränkt, lässt sich aber ausbauen.