ESA verändert Anforderungen

15.02.2006
Von Manuel Okroy
SAP macht die Enterprise Service Architecture (ESA) zum Fundament ihrer Lösungen. SAP-Spezialisten müssen sich entsprechend rüsten, wollen sie auch in Zukunft erfolgreich sein.
Ende Januar meldeten die großen Online-Jobbörsen über 7000 offene SAP-Stellen.
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Evolution oder doch eine Revolution? SAP stellt seine Geschäftsanwendungen und Branchenlösungen auf ein neues Fundament: Mit SAP Netweaver steht eine komplexe, umfassende Technologieplattform zur Verfügung, die ERP-, SCM- oder CRM-Lösungen nach innen wie außen öffnet. Unterschiedlichste Schnittstellen wie Daten-Management, Portalzugriff und Business Intelligence, Mobilanbindung oder RFID-Integration, alles kann nun mit dieser einen Plattform realisiert werden. Darüber hinaus bildet sie die Grundlage für eine noch größere, architektonische Veränderung.

Zertifizierung macht den Meister

Ob SAP-Retail-Berater, Netweaver-Experte, SAP-Systemarchitekt oder gar SAP-Cross-Function-Engineer, die Bezeichnungen für SAP-Experten sind so vielfältig wie das Portfolio des Softwaregiganten. Unter dem Namen Pace (Process Aligned Competence Excellence) hat SAP intern nun Beraterprofile für Technologie-, Entwicklungs- und Anwendungsberater entwickelt. Für Berater lassen sich darauf zugeschnittene spezifische Zertifizierungsprogramme ableiten, die die Walldorfer anbieten. Zudem haben auch SAP-Bildungspartner Kurse des Softwarehauses im Programm.

Lösungsorientierte Schulungen führen zu der zertifizierten Qualifikation Anwendungsberater Mysap Business Suite, mit Spezialisierung auf HCM, CRM, PLM oder SCM. Darüber hinaus sind Seminare insbesondere für Solution Architects geplant: Hier wird das Wissen zu integrierten Geschäftsprozessen und ein breites Verständnis zur Abbildung betrieblicher Geschäftsprozesse innerhalb der Lösung Mysap ERP vermittelt. Der Solution Architect wird der SAP-Generalist von morgen werden, der Prozess- mit Technologiewissen verbindet.

"Soziale Kompetenz ist entscheidend"

SAP-Vorstandsmitglied Claus Heinrich erklärt, warum Technologie-Know-how alleine noch keinen guten SAP-Spezialisten ausmacht.

"Neben fundierten Branchen- und Technologiekenntnissen sind Kundenorientierung, Lernbereitschaft und Teamarbeit zentrale Kompetenzen, die einen SAP-Experten unbedingt auszeichnen sollten. Daneben sind Konflikt- und Kritikfähigkeit sowie Selbständigkeit weitere wesentliche Eigenschaften für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern. Diese Fähigkeiten wiegen mindestens genau so viel wie die Fachkenntnisse. Bei der Auswahl neuer Mitarbeiter sind die ,sozialen‘ Qualifikationen daher von besonderer Bedeutung.

Gerade vor dem Hintergrund einer globalen Wertschöpfungskette wird die interkulturelle Zusammenarbeit immer wichtiger. So genannte weiche Faktoren werden damit zu einem entscheidenden Kriterium im weltweiten Markt für Beratung, Projekt-Management und IT-Services."

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• wie ESA das Berufsbild des SAP-Profis verändern wird;

• warum SAP-Experten mit Modulwissen allein nicht mehr weiterkommen werden;

• welches fachliche und technische Know-how künftig ihr Überleben sichert.

Unter dem Begriff ESA propagiert das Softwareunternehmen seit 2003 die Ausgestaltung einer Service-orientierten Architektur (SOA), deren Herzstück so genannte Enterprise Services sind - betriebswirtschaftliche Anwendungsfunktionen, die sich je nach Bedarf immer wieder neu zu komplexen Geschäftsprozessen zusammenfassen lassen. Damit sollen Prozesse flexibler gestaltet und schneller verändert werden können, auf Basis vordefinierter und wiederverwendbarer Funktions-"Engines". Im Zuge der ESA-(R)evolution werden die klassischen Anwendungspakete wie Mysap ERP oder Mysap CRM schrittweise verschwinden beziehungsweise in kleine Funktionsbausteine zerlegt. Im Mittelpunkt einer zukünftigen Lösung stehen dann nicht mehr monolithische Applikationen, sondern verzahnte Enterprise-Services, die auf offenen Standards basieren.

Also adieu SAP-Berater, SAP-Entwickler und SAP-Projektleiter der klassischen Prägung? Vorbei mit dem Expertenwissen zu spezifischen SAP-Modulen, das hohe Einkommen, rege Nachfrage auf dem Markt und eine sorgenfreie Zukunft garantierte? Wird es bald nur noch "ESA Solution Engineers" geben, die den herkömmlichen SAP-Experten ablösen?

"Kein SAP-Spezialist muss um seine Zukunft fürchten", beruhigt Hansjörg Jäckel, bei der SAP-Abteilung KPS, die für den Knowledge Transfer innerhalb der SAP zuständig ist. "Allerdings müssen sich Entwickler, Berater und Projekt-Manager zusätzliches Know-how aneignen, um die SAP-Technologie verstehen und anwenden zu können. Die Implementierungssprache eines Großteils der Geschäftslogik wird auch in Zukunft Abap bleiben. Obwohl die Abap-Programmierung für die Grundfunktionalitäten der Mysap Business Suite weiter wichtig ist, werden Web- und Schnittstellen-Standards stärker im Mittelpunkt der Entwicklungsarbeit stehen, denn die ,Splendid Isolation’ der SAP-Welt gehört der Vergangenheit an. Darüber hinaus bietet Netweaver die Möglichkeit, Anwendungen in Java zu schreiben."

Auch in puncto Benutzerschnittstellen müssen Entwickler und Berater umdenken und das Frontend radikaler als bisher vom Geschäftsprozess samt der darunter liegenden Anwendung trennen. "Die User Interfaces können Web-Browser sein, aber auch mobile Endgeräte, sogar Handys. Hierfür sind Java- oder Dotnet-Kenntnisse unabdingbar. Die Zukunft heißt also Abap plus Web-Standards", so Jäckel.

Der Entwickler von heute kann auf seinem vorhandenen Modulwissen aufbauen. Aber er benötigt vor allem Verständnis für den Geschäftsprozess, den er abbilden soll. Im Zuge der Service-orientierten Architektur werden zunehmend mehr vorgefertigte Funktionsengines als Enterprise Services verfügbar sein. Berater und Entwickler müssen also erst einmal sehen, welche Services schon vorhanden sind, um gewünschte Funktionen abzubilden. Sie werden zu prüfen haben, wie sich die betriebswirtschaftlichen Anforderungen über diese Funktions-Engines abbilden, wie sie sich auf vorhandene Services mappen lassen. Kunden und Berater werden in der Lage sein, die von SAP ausgelieferten Services flexibel zu erweitern, ohne gleich modifizieren zu müssen. Der bisherige Berater oder Entwickler werde so zum Softwarearchitekten, der Technologie- und Prozess-Know-how zu verbinden weiß. "Die Komposition oder neudeutsch Orchestrierung der vorhandenen Services erfordert neues Know-how", ergänzt Thomas Jenewein, ebenfalls von SAP KPS.

Einen herkömmlichen Währungsumrechner oder einen Stammdatenverbucher etwa, beliebt und von vielen Modulen verwendet, entwickeln viele Anwender selbst. Solche Funktionen sind zukünftig als (Software-) Services von SAP zu beziehen und können von Anwendungen für Human Resources ebenso verwendet werden wie vom Finanz- oder Logistik-Management. Wer diese generische Engine kennt und weiß, wo sie zu finden ist, spart seinem Auftraggeber bares Geld. Und macht sich auch in Zukunft unverzichtbar.

Politikum Systemintegration

Auch der Systemintegrator wird sich auf die schöne neue SAP-Welt einzustellen haben: Der Hersteller verheißt seinen Kunden mit dem eigenen Technologie-Stack einen Zugewinn an Flexibilität und Agilität - und hofft auf rege Inanspruchnahme. Mit der Netweaver Exchange Infrastructure (SAP XI) etwa können Fremdsysteme und SAP-Lösungen miteinander integriert werden. Die Verbindung unterschiedlicher Systeme, bei gleichzeitigem Wegfall der Wartung eigenentwickelter Schnittstellenprogramme, wird zunehmend wichtig. Insbesondere weil hier für viele Kunden Prozess- wie Kostenvorteile winken.

Dabei wird’s dann unter Umständen schnell politisch: "Bei manchen SAP-Einführungs- oder Migrationsprojekten wird sich die Frage stellen, ob im Unternehmen vorhandene Technologien wie etwa IBM Websphere abgelöst werden sollen", weiß Jenewein. "Letztendlich sollte aber nicht die Vorliebe für einen Anbieter entscheiden, sondern die architektonische Notwendigkeit. Die muss ein Systemintegrator, aber auch ein Projekt-Manager ermessen können. Er benötigt also dieses architektonische Wissen, um entsprechende Empfehlungen geben zu können."

Das Ende der Privilegien?

Also ein Kulturschock für SAP-Berater, für Entwickler, Integratoren und Projekt-Manager? Michael Kiessle, Vice President im Bereich Globalization Services bei SAP, wiegelt ab: "SAP-Experten, gerade mit Spezialwissen etwa für internationale Projekte oder mit tiefem Modul-Know-how, waren früher beinahe Götter, denen fast schon magische Fähigkeiten zugeschrieben wurden. Durch die Standardisierung und Öffnung innerhalb der SAP-Technologie wird nun auch das Wissen darüber standardisiert und ,offen’."

Kiessle ist sicher, dass die Spezialisierung auf Branchenprozesse weiterhin relevant bleibt, sie müsse nur durch Kenntnisse zu offenen Standards und Schnittstellen ergänzt werden. "Und die Götter werden verschwinden. Das SAP-System ist nicht mehr geschlossen wie früher, der Berater der Zukunft muss sich mit Standards und Integration auskennen. Das macht ihn weiterhin wichtig, aber er wird kein individuelles Herrschaftswissen mehr für sich vereinnahmen können."

Dieser kulturelle Wandel ist das Wichtigste, was den SAP-Experten von morgen von dem von gestern unterscheidet. Hat der Berater früher von einem Wissen profitiert, das nur er hatte, und wusste er, in welchen Tabellen welche Prozessfunktionen lagen, ist dieses Wissen heute öffentlich, weil dokumentierte Schnittstellen vorhanden sind. Komplexe SAP-Systemlandschaften sind keine geschlossene Welt mehr. "Das Abbilden von Prozessen wird einfacher. Wie diese Prozesse jedoch aussehen können, wie sie idealerweise für ein Unternehmen, eine Branche zu gestalten sind, das wird die Kompetenz eines SAP-Experten in Zukunft entscheidend ausmachen. Und hier kann er aus dem Fundus seines betriebswirtschaftlichen Wissens schöpfen, das er sich aufgebaut hat."

Kiessle sieht die Zukunft gelassen: Ein Berater, der die Prozesse einer Branche oder bestimmter Abteilungen wie HR oder Finanzen nicht kennt, kann sie auch nicht sinnvoll umsetzen. Der Berater benötigt Wissen über Branchen, über gesetzliche Bestimmungen, über Prozesse. Und er muss weit über die (bisherige) Einzelkomponente hinaus denken und planen können. Er muss das Solution Management beherrschen, muss Geschäftslogik in der Welt von ESA in UML-Prozesse abbilden können. Kurz, er wird zum Solution Architect. "Hier werden wir eine völlig neue Form von Generalisten erleben: Denn Netweaver-Technologie wird das Generalthema, das man beherrschen muss. Daneben ist Spezialisierung nach wie vor gefragt."

Die Prozesskette entscheidet

SAP-Partner wie Accenture bewerten die Situation ähnlich wie der Hersteller selber. So betont Hans-Detlef Weber, Associate Partner bei Accenture und verantwortlich für SAP-Projekte und -Ausbildung, die Abbildung von durchgängigen Prozessketten als eine Kompetenz, die jeder Berater, jeder Entwickler und Systemintegrator aufweisen müsse: "Die Kunden wollen Prozesse betreiben, keine Applikationen anwenden. Ein Berater braucht daher, zusätzlich zu seinem Spezialwissen, einen fundierten Überblick über das Zusammenspiel der SAP-Technologieplattform, der Anwendungsmodule und der Prozessintegration. Nur so kann er End-to-End-Prozesse souverän umsetzen." Der Blick über den Tellerrand der funktionalen Betrachtung ist also unabdingbar. "Entscheidend ist auch hier wieder die Plattform", so Weber: "Mit SAP Netweaver sind solche Prozessketten applikationsübergreifend und durchgängig darstellbar. Das Wissen über dieses Potenzial zeichnet den SAP-Experten von morgen aus."

Trainee für sechs Monate

Weber betont allerdings, dass hier noch Überzeugungsarbeit geleistet werden müsse. Netweaver biete ein enormes Potenzial, dessen Nutzen der SAP-Experte aber jedem Kunden konkret aufzeigen müsse. Niemand investiere in Technologie, nur weil sie neu sei. "Der Bedarf an Beratung ist sehr hoch, es eröffnen sich also vielfältige Chancen für gut geschulte Experten im deutschsprachigen Raum, aber auch in USA und in Asien."

Accenture beispielsweise investiert aus diesem Grund schon seit geraumer Zeit in seine Mitarbeiter: durch Kompetenzentwicklung in puncto Netweaver und die Erweiterung von SAP- und Prozesswissen. Dies geschieht etwa in einem in Walldorf betriebenen "Accenture Innovation Center for SAP Netweaver" des Dienstleisters. "Auch unser Ausbildungsprogramm für Junior-Berater hebt auf die neue SAP-Architektur ab, auf Business Solution Maps und die Technologieplattform. Zudem bieten wir für Young Professionals mit ,Accenture SAP Jump Start‘ ein auf SAP zugeschnittenes sechsmonatiges Trainee-Programm. Diese Schritte sind notwendig, um den steigenden Bedarf an Experten decken zu können", erklärt Weber die Investitionen.

Einen wachsenden Bedarf konstatiert auch SAP selber. Sergio Lencinas, Development Manager bei SAP, sieht erhebliche zusätzliche Geschäftsoptionen für SAP-Experten, wenn sie zu ESA-Spezialisten werden: "Wir erkennen einen Trend bei unseren Kunden, Berater von außen zu holen. Ausnahme sind vielleicht die Großkunden.

3500 Neueinstellungen geplant

Die externen Berater können durch die offene, komponentenbasierende Architektur von ESA zusätzliche Services und Erweiterungen direkt selber entwickeln und werden damit zu unabhängigen Softwarehäusern. Ein lukrativer Zusatzmarkt, der ein ungeheueres Potenzial bietet. Auch Walldorf setzt weiterhin auf Wachstum und plant dieses Jahr etwa 3500 Neueinstellungen weltweit - davon bis zu 20 Prozent in Deutschland. (hk)