IPA-Arbeitstagung in Stuttgart zum Thema CIM:

"Es wird keine menschenleere Fabrik geben"

06.06.1986

STUTTGART - Produktionsplanung und Produktionssteuerung In der CIM-Realisierung waren Themen der 18. Arbeitstagung des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) In Stuttgart. Die Vortragsthemen waren sorgfältig ausgesucht, wurden jedoch von einigen Referenten ausgesprochen großzügig ausgelegt und teilweise miserabel dargestellt.

Professor H. J. Warnecke, Geschäftsführer des IPA, nannte als Voraussetzung für die "Realisierung eines rechnerintegrierten Fabrikbetriebs, daß die betrieblichen Funktionen aufeinander abgestimmt sind und das Zeitverhalten der dabei zu verarbeitenden Daten eine steuerbare Größe ist". In den heutigen Anwendungsfällen seien die Automatisierungsinseln in der Fertigung und der Montage auf eine gemeinsame Zeitbasis nicht angewiesen. Die physische Verknüpfung aller Rechner werde jedoch immer wichtiger - Aussagen, die einen Zuhörer zu der Zwischenfrage veranlaßte: "Wer soll denn das bezahlen?"

In Zukunft sei das Zeitverhalten des Datenflusses jedoch ein entscheidendes Kriterium für die Durchsetzbarkeit von CIM-Lösungen. Warnecke wies daher auf die Bedeutung von flexiblen DV-Schnittstellen-Programmen hin, die zur Abstimmung der betrieblichen Funktionen mit den Planungs-, Steuerungs- und Überwachungsaufgaben in der rechnerintegrierten Fabrik erforderlich seien.

Den Zeigefinger erhob Referent R. Schneider vom Fraunhofer-Institut Karlsruhe und verwies auf die menschliche Komponente: "Es wird keine menschenleere Fabrik geben." Außerdem vertrat er im Gegensatz zu Professor Warnecke die Auffassung, daß die redundanzfreie Datenspeicherung in integrierten Systemen die Systemsicherheit reduziere. Das gleiche gelte für die Verkürzung der Auftragsdurchlaufzeiten, die aus kleinen Störungen mangels "Zeitpuffer" weitreichende Pannen produzieren könne. Wenig erfuhr der Zuhörer hingegen von "Stand und Entwicklungslinie der Computerintegrierten Produktion", wie der Vortrag angekündigt war.

Professor August Wilhelm Scheer von der Universität Saarbrücken beschäftigte sich in seinem Vortrag mit Anforderungen an Datenverwaltungssysteme in CIM-Konzepten. Als realisierbar sieht der Wissenschaftler zunächst eine organisatorische Verbindung zwischen CAD/ CAM und PPS in der Weise an, daß an den Sachbearbeiterplätzen in Materialwirtschaft, Arbeitsvorbereitung oder Konstruktion jeweils zwei Bildschirme aufgestellt werden, um auf beide Systeme zugreifen zu können.

Diese Stufe müsse aber als Notlösung betrachtet werden, weil es keinerlei Datenkonsistenz zwischen den Datenbasen gebe. Eine logisch einheitliche Datenbasis sei eine Jedoch vernünftige Forderung und die Zwischenschaltung von Mikrocomputern als offene Systeme zur Verbindung zwischen CAD/CAM und PPS vorteilhaft.

Durch Dateitransfer aus den CAD/ CAM und PPS-Systemen könnten auf dem Personalcomputer dann zusammengeführte Daten für integrierte Anwendungen zur Verfügung gestellt werden. Von Vorteil sei hierbei, daß die Basissysteme unverändert blieben.

Eine dritte, ebenfalls schon realisierbare Stufe sei, eine Verbindung unterschiedlicher Softwaresysteme für CAD/CAM und PPS dadurch herzustellen, daß Daten aus einem Bereich über eine Schnittstellendatei an den anderen überstellt würden.

In Zukunft, so Scheer, könne man eine weitere Integration durch eine gemeinsame Datenbasis für die beiden Systeme erreichen, in denen Stückzahlen und Arbeitspläne gemeinsam geführt würden. Da sich die Entwicklung auf den Gebieten CAD/ CAM und PPS bisher getrennt vollzogen hätte, sei auch noch kein einheitlicher Datenaufbau vorhanden, der Voraussetzung für diese Integrationsstufe ist.

Als höchste Form der Integration bezeichnet Scheer die Anwendung-zu-Anwendung-Beziehung durch Programmintegration. Dabei könne dann zum Beispiel im Rahmen eines CAD-Dialogs automatisch ein Programmteil aus dem Produktionsplanungsbereich aufgerufen werden und umgekehrt. Scheer denke außerdem auch an den Einsatz von Expertensystemen, die im Hintergrund der Datenbankanwendungen laufen und gewisse Abläufe steuern sollen.

CAD senkt Kosten am stärksten

Über das Kostensenkungs- und Leistungssteigerungspotential durch CIM für Unternehmen des Maschinenbaus referierte Professor H. Schultz vom Institut für spanende Technologie und WZM, Darmstadt. "Obwohl durch Entwicklung und Konstruktion rund 75 Prozent der Kosten eines Produktes bestimmt werden", führte Schulz aus, "ist der Anwendungsumfang von CAD-Systemen im deutschen Maschinenbau noch relativ gering."

So setzten von über 5000 Betrieben des Maschinen- und Anlagenbaus derzeit nur etwa 150 bis 200 auch CAD-Systeme in der Konstruktion ein. Für das Jahr 1990 rechne man jedoch schon mit einer erheblichen Steigerung, denn allmählich werde erkannt, daß der indirekte Nutzen durch CAD-Systeme den direkten bei weitem übersteige. Schulz: "Der Anteil des direkten Nutzens macht lediglich 25 Prozent, der indirekte dagegen 75 Prozent des Gesamtpotentials aus."

Weil bei Investitionsentscheidungen jedoch oft nur der direkte Nutzen berücksichtigt werde, seien in der Vergangenheit aufgrund der unvollständigen Entscheidungsgrundlagen Automatisierungs-Investitionen häufig unterlassen worden. Das größte Potential für eine Gesamtkostensenkung sieht Schulz bei der Herstellung komplexer Produkte in kleinen Stückzahlen.

Schulz erklärte weiter, daß die Kenntnis des Automatisierungsniveaus und des Potentials der in den nächsten fünf Jahren erreichbaren Senkung der Gesamtkosten eine entscheidende Grundlage für unternehmensstrategische Investitionen bilde. Für CIM bestehe langfristig ein Kostensenkungspotential von 25 bis 30 Prozent der Gesamtkosten, was aber ein Automatisierungsniveau von 100 Prozent sowie die simultane Integration von CAD, CAP und CAM erfordere.

Ein Forschungsprojekt habe ergeben, daß ein Durchschnittsunternehmen des Maschinenbaus bis 1990 durch rechnergestützte Fabrikautomatisierung etwa 13 Prozent der Gesamtkosten einsparen könne, wozu CAD zur Hälfte und CAM und CAP je zu einem Viertel beitrügen.

Da bestimmte Unternehmenstrukturen niedrige Gesamtkostensenkungspotentiale besitzen, verwies der Darmstädter Wissenschaftler noch auf die Bedeutung der strategischen Unternehmensplanung. Es müsse mit neuen Management-Konzepten gearbeitet werden, um keinen Schiffbruch zu erleiden: Investitionsentscheidungeen sollen mehr strategisch und nicht nur unter wirtschaftlichen Aspekten getroffen werden. Er forderte eine verstärkte Beteiligung und vor allem eine höhere Qualifikation der Mitarbeiter.

*Angelika Schrader ist freie DV-Fachjournalistin in München.

Das meinten die Teilnehmer

"Die Vorträge reisen doch keinen der anweisenden Praktiker zur Diskussion" war die Ansicht von Alexander Butrimenko, der wohl die weiteste Anreise zur IPA nach Stuttgart hatte. Der Moskauer DV-Profi vom "All-Union Scientific-Technical Information Center" des Staatlichen Komitees für Wissenschaft und Technologie der UdSSR zeigte sich denn auch wenig beeindruckt von den Darbietungen seiner westlichen Kollegen: "Bei den Aussagen handelt es sich schlechthin um Allgemeinplätze."

Um die Integration lokaler Systemlösungen in CIM-Konzeption sollte es gehen, um Instrumente für und Erfassungen mit CIM-Realisierungen, um Strategien und neue Ansätze sowie um wissensbasierte Systeme im CIM-Verständnis. Doch etwa ein Drittel der rund 400 Seminarteilnehmer hielt die Tagung eher für eine Werbeverantstaltung, weil ein Teil der fast dreißig Referenten aus den Reihen der Hersteller kam und zahlreiche Produktionspräsentationen dargeboten wurden. So kam IBM mit zum Teil CIM-fremd ausgelegten Beiträgen (zum Beispiel: "Der PC in der Fertigugsindustrie") gleich dreimal zu Wort; wohl des Gleichgewichts wegen aber auch Siemens ("Wissenbasierte Simulation von Fertigungsläufen") und Nixdorf ("Das System Twaice der Nixdorf Computer AG") mit je einem Vortrag.

Zwei Drittel der Teilnehmer - so die Organisation - hätten sich mit dem fachlichen Part der Veranstaltung jedoch zufrieden gezeigt.