Kolumne

"Es geht um mehr als Linux"

11.01.2002
Wolfgang Herrmann Redakteur CW

Erklären die Abgeordneten den Deutschen Bundestag zur Microsoft-freien Zone? Sollen Parlamentarier künftig nur noch Open-Source-Software statt Windows und Office nutzen? Die Fragen sind nicht neu, doch es mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Entscheidungsträger vor einem radikalen Umbau der IT-Landschaft zurückschrecken. In der kontrovers geführten Debatte vermengen beide Lager rationale Argumente mit ideologischen, politischen oder schlicht werbetaktischen Aussagen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Kompromiss kommt, der niemandem wehtut.

Die Marketing-Maschine von Bill Gates und Steve Ballmer ist auch in der Bundeshauptstadt angesprungen. Was Microsoft im Zuge des Jahre währenden Kartellverfahrens mühsam lernen musste, ist inzwischen fester Bestandteil der Firmenstrategie: professionelles Lobbying auf allen Ebenen. So kümmert sich Deutschland-Chef Kurt Sibold neuerdings persönlich darum, ausgewählten Volksvertretern die Vorzüge Windows-basierender Produkte nahe zu bringen. Schon im vergangenen Jahr lud der weltgrößte Softwarehersteller deutsche Abgeordnete in die US-Firmenzentrale. Ausgewiesenen Open-Source-Befürwortern erklärten die Microsoft-Ökonomen unverblümt, dass es nicht Sache des Staates sein könne, sich in wirtschaftliche Angelegenheiten einzumischen.

Wie sich der Desktop-Monopolist die freie Marktwirtschaft vorstellt, machen seine Geschäftspraktiken deutlich: Die Urteilsbegründungen US-amerikanischer Gerichte belegen, dass Microsoft seine Marktmacht jahrelang missbraucht hat; EU-Wettbewerbsbehörden ermitteln in ähnlichen Fällen. Soll dieses Unternehmen die IT-Infrastruktur des Deutschen Bundestages liefern?

Von grundsätzlicher Bedeutung sind auch andere Aspekte der Debatte: Die Risiken eines reinen Open-Source-Konzepts sind kalkulierbar geworden, das Service- und Supportangebot im Linux-Umfeld steht dem der Microsoft-Partner nicht mehr nach. Eine Bundestagsentscheidung für den Einsatz von freier Software, die maßgeblich von deutschen und europäischen Entwicklern stammt, wäre zudem ein Signal für den IT-Standort Deutschland.

Schlüssige Argumente liefert der aktuelle Jahresbericht des Bayerischen Obersten Rechnungshofs: Mit Open-Source-Software und weniger häufigen Versionswechseln ließen sich Kosten senken, resümiert die Behörde mit Blick auf Microsofts neues Lizenzmodell. Die Herstellerabhängigkeit verringere sich (siehe Seite 8).

Die Volksvertreter könnten mit einem Votum für Open Source einen Präzedenzfall für die gesamte öffentliche Verwaltung schaffen. Und ihre Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Einzelinteressen unter Beweis stellen.