Walter Raizner, Vorsitzender der Geschäftsführung IBM Deutschland GmbH, im CW-Gespräch

"Es geht nicht nur um IT aus der Steckdose"

11.04.2003
Bei IBM stehen Veränderungen an. Im Gespräch mit den CW-Redakteuren Christoph Witte und Martin Bayer erläutert der neue Deutschland-Chef Walter Raizner, wie er die Organisation künftig schneller machen will. Auf dieser Basis sollen dann mit dem E-Business-on-Demand-Modell auch in Krisenzeiten neue Kunden gewonnen werden.

CW: Herr Raizner, Sie wehren sich vehement gegen das Image eines Sanierers. Wollen Sie damit signalisieren, dass bei der IBM Deutschland nichts verbessert werden muss?

Raizner: Wir haben von der Struktur her eine gute Position. Allerdings werden wir intern einiges anpacken. So sind wir in der Vergangenheit die Geschäfte sehr vertikal angegangen. Das funktioniert in einer großen Matrixorganisation grundsätzlich auch gar nicht anders. Man kann 320000 Mitarbeiter nicht hierarchisch führen. Aber wir müssen, wenn wir den Kunden eine horizontale Integration empfehlen, auch IBM-intern mehr integrieren und die verschiedenen Bereiche zusammenbringen. Deshalb arbeiten wir intensiv daran, die interne Organisation und das Management-System anzupassen, um die Kommunikation und Zusammenarbeit wieder mehr zu fördern.

CW: Mit besserer Kommunikation zu besseren Geschäften?

Raizner: Darauf legen wir momentan sehr viel Wert. Ich muss dafür sorgen, dass meine Leute, die draußen beim Kunden sind, auch die Entscheidungsbefugnis und -kompetenz haben, um schnell reagieren zu können. Wenn wir analysieren, warum wir in der letzten Zeit bestimmte Aufträge verloren haben beziehungsweise nicht erfolgreich waren, dann lag der Grund oft darin, dass wir uns vor dem Kunden zu dumm angestellt oder zu langsam agiert haben. Jedenfalls nicht in der Qualität oder im Preis unserer Produkte und Services.

CW: Nach der Stabübergabe von Erwin Staudt an Sie wurde immer wieder kolportiert, IBM Deutschland habe die Umsatz- und Profitziele nicht erreicht. Können Sie das kommentieren?

Raizner: Wir haben in vielen Bereichen Marktanteile dazugewonnen, gerade im Hardware- und Softwaresektor. Wobei diese Tatsache natürlich nicht zwangsläufig bedeutet, dass man damit automatisch auch ein bedeutendes Umsatzwachstum erzielt. Sicherlich sind wir auf der anderen Seite mit manchen Geschäften nicht so zufrieden gewesen. Wir hätten liebend gerne etwas mehr gemacht.

CW: Mit E-Business on Demand kristallisiert sich eine neue Herangehensweise an den Markt heraus. Wie wird sich dieses Geschäft aus Ihrer Sicht entwickeln?

Raizner: Ich betrachte das Ganze von der Kundenseite her. Es gibt wenige Regionen, in denen die Wirtschaft, nicht nur die IT-Industrie, in einer so schwierigen Situation steckt wie in Deutschland. Die Kunden in praktisch allen Branchen verspüren einen immensen Kosten- und Leidensdruck. Wir haben uns deshalb überlegt, was man tun muss, um auch in einer derartigen Krise Geschäfte zu machen. Das geht am besten, wenn wir den Kunden nicht nur verdeutlichen, dass etwas besser, schneller oder einfacher funktioniert, sondern die neue Lösung massiv Kosten senkt.

CW: Wie realisieren Sie diese Kostenersparnisse für Ihre Kunden?

Raizner: Durch unser On-Demand-Angebot, das vom flexiblen Bereitstellen von Rechenkapazität über den Betrieb und das Management von Applikationen bis hin zu Prozessoptimierung und Business Process Outsourcing reicht. Außerdem kaufen Kunden nach wie vor Server, Speicher, Software und Netzwerke, und da müssen wir auch Angebote machen, die den Bedürfnissen der Kunden nach Performance und Preis entsprechen. Letztendlich muss sich der Kunde fragen, warum er Angebote, die seine Kosten um 30 Prozent senken könnten, nicht annimmt.

CW: Damit definieren Sie E-Business on Demand weniger als technisches Thema, sondern sehr stark als Business-Modell?

Raizner: Das ist Absicht. Es geht nicht nur um "IT aus der Steckdose". Prozessoptimierung und Outsourcing machen wir seit Jahren, genauso lange reden wir bereits über Standards und Anwendungssysteme mit unseren Kunden. Was uns gefehlt hat, war der strategische Business-Ansatz. Von daher bilden die 30000 Consultants, die wir von Pricewaterhouse-Coopers hinzugewonnen haben, eine optimale Ergänzung.

CW: Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die einzelnen Teile wie Hardware, Software oder Services vom Kunden nicht mehr wahrgenommen werden?

Raizner: Genau deshalb bleibt es bei der vertikalen Integration des Unternehmens. Wir werden nach wie vor Leute haben, die wissen, wie man einen X-Series-Rechner gegen Dell oder Storage gegen EMC verkauft.

CW: Rücken mit E-Business on Demand die Global Services bei der IBM nicht immer stärker in den Mittelpunkt?

Raizner: Natürlich. Unser Geschäft besteht bereits heute zu 50 Prozent aus Services. Aber es gibt auch hier unterschiedliche Angebote, die sich teilweise überlappen. Man muss auch immer die Erfolgsaussichten eines reinen Produktverkaufs gegen die einer Lösung abwägen. Das ist etwas, was man üben und lernen muss.

CW: Viele große Anwender gehen davon aus, dass sich E-Business on Demand hauptsächlich für kleine und mittlere Unternehmen eignet. Wie lange wird es Ihrer Meinung nach dauern, bis sich das Konzept durchgesetzt haben wird, und wo wird es beginnen?

Raizner: Es wird nicht im Mittelstand anfangen. Da bin ich völlig anderer Meinung. Es wird bei den größeren Kunden beginnen. Auf der Lösungsseite gibt es sicher noch einiges zu tun. Es wäre vermessen, zu behaupten, hier funktioniere schon alles optimal. Das ist ein Prozess, der sich über mehrere Jahre hinziehen wird. Wir sprechen ganz konkret mit Kunden über die Einführung solcher Modelle. Outsourcing oder das Utility-Modell sind dabei Teilaspekte der gesamten Palette, die aus Prozessoptimierung, Prozess-Outsourcing und dem Betreiben dieser Prozesse besteht - und daran arbeiten wir.

CW: Worum geht es bei den Deals, die Sie in den nächsten Monaten unter Dach und Fach bringen wollen? Wie kann so etwas aussehen, und welche On-Demand-Komponenten spielen dabei eine Rolle?

Raizner: Es zieht sich im Grunde durch alle Branchen. Wir führen Gespräche mit großen Kunden außerhalb des Finanzsektors über Zahlungsverkehr, Schadens- und Einkaufsabwicklung. Dabei geht es zuerst einmal darum, die Prozesse zu identifizieren, die nicht optimal laufen. Diese Prozesse verspricht die IBM, um zehn bis 30 Prozent kostengünstiger zu managen als der betreffende Kunde. Das sind natürlich Größenordnungen, angesichts derer sich der Kunde erst einmal fragt: Wa-rum soll das die IBM besser können als ich? Wird mir die Kostenersparnis garantiert?

CW: Wenn Sie Garantien über Einsparungen abgeben, müssen Sie auch Vertragsstrafen akzeptieren, falls Sie die Ziele verfehlen.

Raizner: Der Kunde braucht Sicherheit, dass die versprochenen Einsparungen erzielt werden, auch wenn es sich technisch dabei nicht um Vertragsstrafen handelt. Es ist eine Frage des Business-Modells, hier geht es nicht darum, einen Preis für eine bestimmte Stückzahl festzulegen. Wir sprechen hier von flexiblen Pricing- und Zahlungsmodellen. Für IBM dreht es sich darum, bestimmte Risiken mitzutragen und Garantien abzugeben, was an Produktivitätszuwachs beziehungsweise Kostenersparnis erzielt wird.

CW: Wie realisieren Sie diese Kosteneinsparungen? Nachdem die Firmen selbst über Jahre hinweg an der Kostenschraube gedreht haben, geben sie jetzt den Druck an IBM weiter. Steckt da nicht auch eine gehörige Portion Risiko für Sie drin?

Raizner: Sicherlich. Wir werden so etwas auch nicht machen, wenn wir nicht wissen, ob wir die Versprechen einhalten können. Das wäre Blödsinn. Wir sind im Geschäft, um Geld zu verdienen. Ich glaube, dass vor allem viele deutsche Firmen angesichts der schlechten Wirtschaftslage erst jetzt erkennen, dass sie auf der Kostenseite noch nicht alles herausgeholt haben. Sie finden keinen CIO mehr , der sich nicht das Wort Konsolidierung auf die Fahnen geschrieben hat. Wenn man sich dann aber konkret die Projekte ansieht, dann handelt es sich um Mini-Konsolidierungen, bei denen aus 20 Rechenzentren 18 gemacht werden. Hier erkennen jetzt die Unternehmen einen immensen Nachholbedarf.

CW: Schwingt bei den Kunden noch die Angst mit, über Jahre hinweg mit viel Aufwand aufgebaute Ressourcen aus der Hand zu geben und sich damit dem Serviceanbieter auch finanziell auszuliefern?

Raizner: Das ist mit Sicherheit ein Thema. Wenn Sie sich aber die großen Outsourcing-Deals ansehen, um die sich letztendlich alle Serviceanbieter streiten, kommt es nicht auf ein paar Euro an, die der eine oder der andere billiger ist. Es geht letztlich immer um die Seriosität, Kompetenz und die Philosophie des jeweiligen Dienstleisters. Das ist den Kunden schon im Hinblick auf ihre IT-Leute enorm wichtig, die das Serviceunternehmen in der Regel ja übernimmt. Ich glaube - ohne arrogant wirken zu wollen -, es gibt wenig Firmen, die in puncto Perspektive, Karriere- und Ausbildungsmöglichkeiten, Arbeitsplatzsicherheit und soziale Leistungen für die übernommenen IT-Mitarbeiter mehr bieten als die IBM.

CW: Der Outsourcing-Deal mit der Deutschen Bank ist ein Vorzeigeprojekt, das innerhalb der Branche mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird. Verzichten Sie dabei auf Profite, um diese Geschäfte zu bekommen - koste es, was es wolle?

Raizner: Mit Sicherheit überlegen wir uns sehr genau, wie wir investieren. Ursprünglich wollte die Deutsche Bank 3,5 Milliarden Euro ausgeben. Jetzt kostet das Ganze 2,5 Milliarden Euro. Das bedeutet eine Kosteneinsparung von 30 Prozent. Als Anbieter muss man schon sicher sein, dass man da nicht draufzahlt.

CW: Aber der Deal ist auf Kante genäht.

Raizner: Er ist aggressiv, das ist keine Frage. Wir gehen aber ein kalkuliertes Risiko ein. Wir haben allein im vergangenen Quartal 18 Milliarden Euro mit Outsourcing-Geschäften umgesetzt. Wenn Sie bei diesem Volumen in jedem Vertrag ein Risiko von 20 Prozent auf sich nehmen würden, wären Sie in zwei Jahren pleite.