VSI-Analyse des IT-Arbeitsmarkts

Es fehlen nicht 100 000, sondern 400 000 Computerexperten

28.07.2000
Die Massnahmen zur Behebung der IT-Personalmisere reichen vorne und hinten nicht aus. Anstatt auf Informatiker zu warten, sollten Unternehmen mehr in die Weiterbildung investieren, empfiehlt der Verband der Softwareindustrie Deutschlands (VSI) . Von Winfried Gertz*

"Jede zweite im letzten Jahr eingestellte IT-Fachkraft war Absolvent von Weiterbildungsprogrammen." Dies sagte Peter Littig, Mitglied der Geschäftsleitung der Dekra Akademie GmbH, Stuttgart, vor Journalisten in München. Nur 22 Prozent der Stellenbesetzungen entfielen dagegen auf Hochschulabsolventen. Wie Littig, Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Arbeitsmarkt" des VSI, unter Bezug auf eine VSI-Stellenanalyse weiter mitteilte, sei jede zehnte Position von einem zuvor arbeitslos gemeldeten Bewerber besetzt worden. Jede sechste entfiel auf Quereinsteiger, die sich ohne Qualifizierungsmaßnahme beworben hatten.

Personalentwicklung wurde vernachlässigtMit Verwunderung beobachtet der VSI, wie die Unternehmen auf die Personalmisere reagierten. "Alle sind überrascht, dass alle überrascht sind", so Littig augenzwinkernd. Viele Unternehmen hätten ihre Personalentwicklung vernachlässigt und würden nun von der Entwicklung überrollt. Während noch vor wenigen Jahren vor dem Informatikstudium gewarnt worden sei, stelle nun die Verbreitung von Internet undE-Commerce radikal neue Anforderungen.

Gefragt sei nicht mehr der Programmierer, also der typische DV-Spezialist von einst, sondern der Generalist, der notwendige fachliche und persönliche Kompetenzen vorweisen könne. Dazu zählten Flexibilität, Kreativität und Lernbereitschaft ebenso wie Teamkompetenz und die Bereitschaft, sich in andere hineinzuversetzen. "Selbst Zertifizierungen wie etwa zum Microsoft Certified Engineer (MSCE)", erläuterte Littig, "bilden zwar wichtige Qualifikationen, reichen aber nicht aus, wenn der Bewerber nicht über die persönlichen Voraussetzungen verfügt."

Dass von den Hochschulen zu wenig Informatikabsolventen in die Wirtschaft einsteigen, hat laut Littig mehrere Gründe. Denn trotz einer seit 1995 deutlich ansteigenden Einschreibequote - laut VSI-Schätzungen bereits 35000 in diesem Jahr - pendeln sich die Absolventenzahlen bei etwa 6000 Informatikern ein. Viele Studenten brechen Littig zufolge das Studium vorzeitig ab, weil es ihnen an der notwendigen Qualifikation mangle oder sie über das Fach nicht richtig informiert worden sind. Angesichts unzureichender Praxisorientierung der Studieninhalte seien auch viele unmotiviert, bis zum Examen durchzuhalten.

Hoffnung verknüpft der VSI mit den neuen IT-Ausbildungsberufen. Angesichts relativ niedriger Ausbildungsquoten verlangt der VSI, das Ausbildungsvolumen der neuen IT-und Medienberufe bis zum Jahr 2003 auf insgesamt 40000 Stellen zu erhöhen.

Um das IT-Personalproblem mittelfristig zu bekämpfen, soll das Weiterbildungsangebot der Bundesanstalt für Arbeit auf ebenfalls 40000 Plätze angehoben werden. Denn der Personalbedarf ist immens. Nicht - wie immer wieder verlautet - bis zu 100000 Stellen seien unbesetzt, sondern rund viermal so viel, kalkuliert Littig. Schließlich seien nicht nur Positionen der Hersteller und Dienstleister in die Bilanz einzubeziehen, sondern vor allem auch die freien Stellen der Anwenderunternehmen.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.