Erster Streik in der deutschen DV-Branche Die IG Metall fordert fuer Digital Equipment einen Haustarifvertrag

18.06.1993

MUENCHEN (CW) - Der 14. Juni 1993 wird in die deutsche DV- Geschichte eingehen als der Tag, an dem erstmals in der BRD ein Unternehmen der Computerbranche bestreikt wurde.

Getroffen hat es die Digital Equipment mit ihrem Standort in Berlin. An diesem Montag traten 40 der dort beschaeftigten 130 Arbeitnehmer in den Streik, nachdem sich Anfang Juni 936 der 1017 gewerkschaftlich organisierten DEC-Mitarbeiter in einer Urabstimmung fuer Streikmassnahmen ausgesprochen hatten.

Ziel des Streikaufrufs der IG Metall ist die Schaffung eines Haustarifvertrages, der unter anderem den insgesamt 3900 Digital- Mitarbeitern Schutz vor Rationalisierungsmassnahmen bieten soll. Der unbefristete Streik weitete sich am Dienstag auf die Standorte Hannover und Bremen aus.

Die Muenchner Pressestelle von DEC teilte mit, dass momentan keine Tarifgespraeche gefuehrt wuerden und das auch nicht geplant sei, da man sich nicht dem Zwangskorsett eines Haustarifvertrags unterwerfen wolle. Vielmehr soll an der bisherigen Vorgehensweise festgehalten und mit den Betriebsraeten sowie den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat und Wirtschaftsausschuss diskutiert werden. Das Geflecht der bestehenden Betriebsvereinbarungen, das das soziale Leben innerhalb von Digital sinnvoll regelt, soll beibehalten und ausgebaut werden.

Regelungen zum Rationalisierungsschutz bestehen nach Angaben von Firmensprecherin Theresia Wermelskirchen in Form von Abfindungszusagen bei betriebsbedingter Kuendigung, der bevorzugten Einstellung von DEC-Mitarbeitern auf

freiwerdende Posten oder Anspruch auf Weiterbildung. Der IG Metall gehen diese Vereinbarungen nicht weit genug. Sie fordert beispielsweise acht Wochen Bildungsurlaub - der momentan bei DEC durchschnittlich drei Wochen betraegt - "und das ist fuer kein Unternehmen heute mehr tragbar", erklaert Frau Wermelskirchen. Weitere Forderungen der Gewerkschaft betreffen die unternehmensweite Stellenausschreibung und eine moeglichst gleiche Behandlung aller Arbeitnehmer, was auch im Sinne der Arbeitgeber liege. Nur wolle man flexibel agieren koennen und sehe keine Vorteile in Verhandlungen mit der Gewerkschaft.

Ein moeglicher Hintergrund fuer den Streik gegen die DEC- Geschaeftsstellen, die in Deutschland ueber keinerlei Produktionsstaetten verfuegen, liegt in dem Praezedenzfall-Charakter. Die IG Metall verschafft sich damit den Zugang zur DV-Branche und folgt der gesellschaftlichen Entwicklung der zunehmenden Angestellen - bei abnehmenden Arbeiterzahlen.

Brisant wird das Streikthema, da Umstrukturierungsplaene fuer die deutsche DEC-Organisation bei der Mutterfirma im amerikanischen Maynard liegen. Von der Zustimmung zur Reorganisation haengt es auch ab, ob die deutsche Tochter wieder profitabel werden kann, nachdem sie im vergangenen Jahr 146 Millionen Mark Verluste eingefahren hat. Die Plaene sehen vor, die beiden Vertriebsgesellschaften Digital Equipment GmbH und die 1992 erworbene Mannesmann Kienzle GmbH in eine Holding-Struktur mit drei Vertriebsgesellschaften (fuer Grosskunden, Mittelstand und PC- Direkt-Vertrieb), einer Service- und einer Verwaltungs-GmbH zusammenzufuehren.