Erste Produkte sollen noch dieses Jahr auf den Markt kommen Data General zieht Intel-CPUs den RISC-Chips von Motorola vor

30.06.1995

MUENCHEN (jm) - Die Data General Corp. (DG) steht vor einer grossen Herausforderung: Sie wird ihre in den "Aviion"-Rechnern benutzten RISC-Prozessoren von Motorola, die CPUs der 880x0-Familie, ausmustern und auf die Intel-CISC-Plattform umsteigen.

Der Wechsel deutete sich schon seit Jahren an. Zwar befand ein Prozessorspezialist wie Michael Slater, Herausgeber des "Microprocessor Report", Motorola habe mit der 880x0-Chip-Linie, insbesondere aber mit der 88110-CPU, eine technologische Meisterleistung vollbracht. Verwirrende Management-Konzepte bei Motorola ueber die zukuenftige technologische Ausrichtung des Chipherstellers sorgten aber bei Analysten wie Anwendern fuer Irritationen darueber, auf welche Prozessorkonzepte man sich in Schaumburg, Illinois, konzentrieren werde.

Neben der 880x0-Familie fertigt Motorola auch die 680x0-CISC- Chips, die vor allem Apple in seinen aelteren Macintosh-Rechnern einsetzte. Besonders aber die Allianz mit Apple und IBM zum AIM- Triumvirat, das 1991 den Power-PC-Chip konzeptionell aus der Taufe hob und bereits zwoelf Monate spaeter erstes Silizium praesentierte, sorgte fuer Verunsicherung. Verbanden sich doch mit dem Power-PC- Chip hochfliegende Erwartungen. Dabei verstieg sich mancher Brancheninsider zu der gewagten Einschaetzung, der AIM-Prozessor koenne sich gar zum Koenigsmoerder fuer Intel auswachsen.

Schon vorher hatten Softwarehaeuser wenig Interesse gezeigt, Applikationen auf die 880x0-RISC-Architektur zu portieren. Mit Motorolas zunehmender Konzentration auf die Power-PC-Architektur sank die Motivation, Programme fuer die 880x0-Architektur zu entwickeln, weiter. Eine Anwendung wie die Groupware "Notes" etwa, die im Softwaremarkt strategisches Gewicht hat, laeuft auf der Motorola-Plattform unter DGs Unix-Derivat DG-UX nicht.

Folgerichtig setzte auch keiner der bekannten und marktrelevanten Systemanbieter auf die Plattform - Data General verblieb als letzter bedeutender Hardwarehersteller, der der 880x0-CPU die Treue hielt. Diese zahlte sich allerdings nicht aus. Obwohl die Aviion-Rechner technologisch anerkannt waren, konnten auch sie die finanziell prekaere Lage von DG nicht entscheidend verbessern: In acht der vergangenen neun Jahre schrieb das Unternehmen aus Westboro, Massachusetts, rote Zahlen.

Mit dem Zuschlag fuer Intel hofft DG, nunmehr auf der sicheren Seite zu sein. Analysten glauben, dass DG bei der Migration von 880x0- auf Intel-Pentium- und P6-Chips weniger technische Probleme zu gewaertigen hat. Vielmehr gehe es waehrend der Migrationsperiode um das Image des Herstellers: Zum einen stehe das Unternehmen trotz der Uebergangsphase vor der Aufgabe, seine Finanzen in Ordnung zu bringen. Zum anderen muesse es der Branche glaubhaft vermitteln, dass seine kommenden Rechnergenerationen eine Zukunft haben.

Ob die Migration problemlos ueber die Buehne geht, ist allerdings noch fraglich. Der Umstieg auf Intel bedeutet nicht nur einen Wechsel von RISC auf CISC. Darueber hinaus handelt es sich bei Motorolas 880x0-Prozessoren um eine Architektur, die nach dem sogenannten "Big-endian"-Byte-Adressierverfahren funktioniert. Intels Chips hingegen arbeiten nach der "Little-endian"-Methode. Genaue Produktplaene veroeffentlichte DG nicht. Noch Ende 1995 sollen aber erste Multiprozessor-Server mit Pentium-Prozessoren auf den Markt kommen.