Intranet und Extranet/Ausgerechnet die Medienbranche hält sich zurück

Erste Erfahrungen von Verlagen mit Intranet-Anwendungen

16.12.1998
Von Stephan Eder* Intensiv genutzte und vielfältige Intranets sind in der deutschen Verlagslandschaft noch längst nicht die Regel, aber es tut sich was. Vor allem in großen Verlagen laufen Anwendungen, die Arbeitsprozesse mit einbeziehen. Die IG Medien sieht darin ein regelungsbedürftiges Kontroll- und Überwachungsinstrument, aber auch Chancen für mehr Selbstorganisation der Angestellten.

"Die Intranet-Nutzung im deutschen Verlagswesen liegt weit hinter dem industriellen Durchschnitt zurück", meint Karl Schmitz. "In der Regel beginnt es bei statischen Informationen wie den Gelben Seiten oder dem Kantinenplan und wird später um dynamische Informationen, etwa Datenbankabfragen, ergänzt." Was der Mitgesellschafter der TSE - Gesellschaft für Technologieberatung und Systementwicklung in Hamburg als Anfängerübung einordnet, gilt bei den Verlagen stolz als "erstes Intranet-Projekt".

Angesichts der Tatsache, daß manche Redaktion noch nicht einmal über einen E-Mail-Anschluß verfügt, verwundert Schmitz'' Einschätzung nicht. Erstaunlicherweise hinkt ausgerechnet die Kommunikationsbranche bei der Einführung eines neuen Mediums, des Intranet, hinterher.

"Abgesehen von einigen großen überregionalen stehen die Verlagshäuser nicht so im Wettbewerb wie die Unternehmen anderer Branchen. Häufig handelt es sich um lokale Monopolisten, für die der Nutzen eines Intranet nicht ersichtlich ist."

Dabei eröffnen sich große Chancen für die effiziente Bündelung unternehmensinterner Informationsflüsse durch ein Intranet gerade im Medienbereich. Thomas Breyer vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDVZ) beobachtet denn auch, daß mehr und mehr Intranets, vor allem aber Groupware-Lösungen eingesetzt werden. Einen statischen Überblick hat er jedoch noch nicht.

Auch Frank Werneke, im Vorstand der IG Medien für Verlage und Technologiepolitik zuständig, sieht allenfalls eine breite Intranet-Diskussion in Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen. Aber die Phase der Realisierung beginne jetzt erst.

Einen besonderen Schub habe die in jüngster Zeit zunehmende Umstellung vieler Verlage auf SAP-Anwendungen bewirkt. SAP bietet mit verlagsspezifischen Modulen in R3, etwa dem Anzeigenmodul IS-M/AM (Advertising Management), offensichtlich den nötigen Anreiz für weitergehende DV-Modernisierungen.

Die "Mainpresse", den Weka Fachverlag, Gruner+Jahr, Burda, den Axel Springer Verlag und die FAZ nennt SAP unter anderem als Kunden. IS-M/AM ist offen für die Integration von Intranet- und Internet-Technologien. Deswegen bietet es sich als Einstiegs-Tool bei einer DV-Reorganisation für das Intranet an.

BDVZ-Experte Breyer skizziert typische Einstiegsanwender in den Verlagen: Vertriebsaußendienst, freie Journalisten, die den Redaktionen zuarbeiten, externe Partner im Multimedia-Bereich und Außenredaktionen. Insbesondere die Anzeigenabteilungen spielen häufig die Vorreiter bei der Implementierung eines Intranet, weil ihre Angebote in der Regel auch im Internet präsent sind. Gerade große Verlage haben daher in den vergangenen zwei Jahren mit Intranet-Projekten begonnen.

Der Axel Springer Verlag ist mit seinem "Springer-Net" fast schon ein Spätstarter. Eingerichtet im Frühjahr dieses Jahres, umfaßt es dafür aber auch alle 6000 PC-Arbeitsplätze des Unternehmens in Deutschland. Die Anbindung der ausländischen Standorte ist in Planung.

Bislang ist das Springer-Net eine reine Informationsplattform. Neben dem unvermeidlichen Telefonbuch und dem Kantinenplan stehen Mitarbeiter- und Marktinformationen, Nachrichten, eigene Seiten verschiedenster Abteilungen, unter anderem des Betriebsrats, interne Job-Börsen und für die Redaktionen zu Recherchezwecken eine Online-Anbindung an die Dokumentation zur Verfügung.

Bei der Verlagsgruppe Handelsblatt existiert seit vergangenem Jahr ein ähnlich strukturiertes Intranet. Auch der seit 1996 bestehende "Greenpark" von Gruner+Jahr in Hamburg ist bislang als reines Informationsmedium mit vergleichbarem Inhalt ausgelegt, bestätigt Hans Wachtel, Geschäftsführer der Gruner+Jahr-Tochter EMS, die das Intranet organisiert.

Das ebenfalls seit 1996 existierende Burda-Intranet bietet noch umfassendere Informationen. Ausländische Verlagsstandorte sind mit eigenen "Reports" angeschlossen. Neben den Informationen des Verlages ("publisher''s page") bietet die Burda Intranet-Homepage ein breites Infotainment-Angebot, das mehr darstellt als ein Medium für ausschließlich verlagsinternen Informationsfluß.

Ebenso beim Heinrich Bauer Verlag, wo schon die Einstiegsseite tatsächlich mit einem Tageshoroskop überrascht. "Man braucht eine vernünftige Ausgewogenheit zwischen einer Spielwiese und einer Informationsplattform, um eine intensive Nutzung zu gewährleisten", erläutert Uwe Kolk die Konzeption. Er ist als Leiter Technik und Organisation der Heinrich Bauer Produktions KG in Hamburg und für das Verlags-Intranet zuständig.

Bei der "Süddeutschen Zeitung" will man indes den Weg zum Intranet mit anderen Prioritäten beschreiten - mit Anwendungen, die die Redaktion unterstützen, vor allem bei Recherchen.

"Der Leitgedanke bei uns ist, daß wir erst einmal alles tun wollen, um das Arbeiten zu erleichtern, die Leistung zu erhöhen und möglicherweise Kosten zu sparen", heißt es aus dem Verlag. Ein unternehmensweites Intranet sei in Planung. Zum Status bestehender Projekte wollte sich der Verlag nicht äußern.

Generell ist zu beobachten, daß Zeitschriften und Zeitungen Intranets nur sehr begrenzt zur Verbesserung redaktioneller Abläufe nutzen. Normalerweise finden sich nicht viel mehr als Recherchemöglichkeiten, Nachschlagewerke oder sämtliche Ausgaben der eigenen Printproduktionen in elektronischer Form - aber dies als exklusive Anwendungen für die Redakteure im Haus.

Beim Heinrich Bauer Verlag ist man schon wesentlich weiter. Die Redaktionen können direkt auf die Bilddatenbank in Rastatt zugreifen, über die Auftrags- und Betriebsdatenerfassung verfolgen, wie weit etwa bestimmte Seiten in der Repro sind, oder sich aus der Farbanzeigenverwaltung in Köln die für ein Heft relevanten Anzeigen als Mini herunterladen, um die Einbindung in die Heftstruktur zu prüfen.

Auch dort, wo Infotainment eine wichtige Rolle spielt, wird es dabei nicht bleiben. Für die Verlage interessante Anwendungen sind projektiert und wären einsatzbereit, wenn die Akzeptanz der Nutzer zugenommen hat. Beim Axel Springer Verlag sind etwa Workflow-Anbindungen und Transaktionen geplant. Das Intranet wandelt sich dann vom Infotainment-Bereich zur Plattform, auf der Arbeitsprozesse stattfinden und dokumentiert werden.

Ebenso denkt Gruner+Jahr an Workflow-Elemente, etwa im Bereich des Bestellwesens, wie EMS-Geschäftsführer Wachtel bestätigt. Die Verlagsgruppe Handelsblatt avisiert für 1999 einen Ausbau des verlagsseitigen Informationssystems im Bereich Formularwesen und Abrechnungen. Auch die Vertriebs- und Marketing-Aktivitäten mit E-Commerce-Funktionen sollen ausgeweitet werden.

Spätestens beim Stichwort Workflow spitzen Betriebsräte und Gewerkschafter die Ohren, weil der Arbeitsalltag der Angestellten davon betroffen ist. Frank Werneke von der IG Medien nennt als Risiken vor allem die Überwachung des Informationsverhaltens der Angestellten: Wer nutzt welche Informationsangebote im Intranet wie häufig? Dies erhält eine weitere Dimension, wenn vom Intranet aus ein Internet-Zugang besteht. Und falls der Betriebsrat im Intranet anbietet, ist es wichtig, daß nicht kontrolliert wird, wer sich wie häufig in diese Seiten einklickt.

Werneke warnt zudem vor einem zusätzlichen Mittel, den Arbeitsdruck hochzutreiben, etwa wenn im Intranet die Umsätze einzelner Gruppen oder gar von Einzelpersonen der Anzeigenabteilung publiziert würden. "Wir halten diese Art sozialistischen Wettbewerbs für kontraproduktiv - wie generell alle Arten von Kontrolle oder Überwachung. Die Beschäftigten sollen das Intranet ja möglichst intensiv nutzen und nicht Angst davor haben."

Gewerkschaften fordern Betriebsvereinbarungen

Genau diese Punkte müßten in einer Betriebsvereinbarung zum Intranet geregelt werden, so der Gewerkschafter. Dazu käme, daß es im Intranet keine den Betriebsräten verschlossenen Bereiche geben dürfe, um seine Kontrollmöglichkeiten zu garantieren. Zudem müsse der Betriebsrat die Möglichkeit haben, Informationen ins Intranet zu stellen, was auch für gewerkschaftliche Informationen gelte. Zur Zeit versucht zum Beispiel der Gesamtbetriebsrat bei Gruner+Jahr eine separate Betriebsvereinbarung zum Intranet zu erzielen.

Die Chancen eines Intranet liegen in zusätzlichen Freiheiten für die Beschäftigten. Werneke: "Wenn ein Intranet wirklich eine offene Informationsplattform ist, besteht die Möglichkeit, bisherige Informationsmonopole aufzubrechen. Die Informationschancen werden breiter, Entscheidungen würden dadurch transparenter für die Beschäftigten." Der Mediengewerkschafter sieht die Möglichkeit, "daß die Nutzer ein größeres Maß an Selbstorganisation bekommen und sich so die Entscheidungsspielräume erweitern".

"Auch einen gewissen Wildwuchs zulassen"

Die Ansätze scheinen durchaus vorhanden zu sein. Uwe Kolk vom Heinrich Bauer Verlag erklärt: "Zum Konzept gehört, ein relativ breites Angebot zuzulassen, auch einen gewissen Wildwuchs. Erst wenn unternehmensstrategische Interessen wie Presseinformation für alle Beteiligten oder Bilddatenbanken ins Spiel kommen, greift unsere Abteilung steuernd ein."

Ähnlich skizziert sein Kollege Wachtel bei Gruner+Jahr das Vorgehen: "Ob Abteilungen für das Intranet von sich aus ein Angebot erstellen, liegt bei ihnen selbst. Prinzipiell kann sich jeder, der einen Server betreibt, einklinken. Von daher läuft Greenpark wie ein Internet. Wir lassen es sich demokratisch entwickeln."

Doch ein Intranet lohnt sich nur, wenn eine Konzernstrategie dahinter steht und gewisse Voraussetzungen bestehen. Die firmeninterne Kommunikation muß derart vielfältig sein, daß sie sich nicht durch den Gang ins Nebenzimmer erledigen läßt. Damit die Vernetzung Sinn macht, müssen ganz spezielle Synergieeffekte vorhanden sein. Bei Bertelsmann geht es beispielsweise darum, Kooperationen über Länder- und Bereichsgrenzen hinweg zu fördern. Markus Langer, in der Gütersloher Zentrale zuständig für das seit Juni 1998 etablierte konzernweite "bE-Net": "Bei einem stark dezentral organisierten Unternehmen mit 600 weitgehend selbständigen Profit-Centern in 50 Ländern ist es sehr wichtig zu vermeiden, daß mehrere Unternehmenszweige an denselben Lösungsansätzen arbeiten. Das bE-Net soll die nötige Kommunikationsplattform sein, um Synergieeffekte im Bereich Multimedia zu erzielen."

Das bE-Net ist ein Management-Mittel. Allerdings richten große Firmen ihre Intranets nicht immer auf Initiativen der Chefetagen ein. Beispielsweise Greenpark bei Gruner+Jahr, wie der Projektorganisator Wachtel erläutert: "Wir sind mit 50 Millionen Page-Uses pro Monat einer der großen Internet-Anbieter im Verlagsbereich. Von daher ist das Know-how für ein Intranet vorhanden. Greenpark wurde in Eigeninitiative der beteiligten Bereiche eingerichtet."

Solche Eigendynamik kollidiert nicht mit den Unternehmensinteressen, wenn sich die Führungsspitzen darauf einstellen können. "Um ein Intranet sinnvoll zu nutzen, muß man den Umgang mit Informationen als strategisches Gut erkennen, etwa in der Gestaltung der Kundenbeziehungen", erläutert Technologieberater Schmitz. "Wenn der Besitz oder das Verteilen von Informationen betriebliche Hierarchien begründet, wird man nicht viel von der neuen Technik haben..

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Ausgerechnet in einer Branche, die vom Verteilen von Informationen lebt, tun sich manche Unternehmen damit außerordentlich schwer. Verlagshäuser hängen in puncto Intranet-Anwendungen anderen industriellen Bereichen hinterher. Das liegt keineswegs an besonders renitenten Mediengewerkschaftern oder Betriebsräten, die in solchen Netzen sogar große Chancen sehen. Einige Unternehmen sind allerdings ihrer Branche weit voraus und besitzen erhebliche Erfahrungen mit dem Medium. Selbst wenn es eigendynamisch als naheliegender Schritt aus der Internet-Präsenz entstand, avancierte es zum Management-Instrument.

*Stephan Eder ist freier Journalist in Bonn.