Erste Erfahrungen mit MS-Project 4.0 Microsofts Projekt-Management: Alte Funktionen mit neuer Optik

22.07.1994

Von Thomas Schlereth

Das aktuelle Release 4.0 des Windows-basierten Projekt-Management- Systems "MS-Project" unterscheidet sich von seinem Vorgaenger vor allem durch die optische Anpassung der Einzelprodukte. Neue Projekt-Management-Funktionen wie automatische Alternativressourcen oder Planungsszenarien bleibt Microsoft den Anwendern noch schuldig.

Mit der neuen Project-Ausfuehrung beansprucht Microsoft die Fuehrungsposition als Software-Ausstatter fuer Office-Systeme im Arbeitsplatzbereich. Neben Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Termin-Management koennen mit MS-Project 4.0 komplexe Projekte gesteuert, aber auch einfache unternehmerische Ablaeufe visualisiert werden.

Allerdings stellt Project 4.0 gegenueber seinem Vorgaenger keineswegs eine Innovation oder gar eine Revolution dar. Es wurde mehr Wert auf optische Anpassungen gelegt - wie sie bei der Textverarbeitung Word in der Version 6.0 sichtbar wurden - als darauf, den Funktionsumfang zu erweitern. Aufwendige Dialogfenster, die bei der Version 3.0 in List-Boxen dargestellt wurden, sind nun in der aus Word 6.0 bekannten Registerdarstellung verfuegbar.

Optisch aufgewertet wurde auch die Gantt-Diagramm-Darstellung (Balkendiagramm). Abhaengige Vorgaenge erscheinen nun grafisch mit Verbindungslinien. Auch Verknuepfungen lassen sich direkt im Gantt- Diagramm interaktiv herstellen, indem auf den Balken des Vorgaengers geklickt und mit gedrueckter Maustaste der entsprechende Nachfolger angewaehlt wird. Das Programm zieht eine Verbindungslinie und veraendert entsprechend die Termine.

Die Funktion macht die Anwendung komfortabler, denn bisher war das Verknuepfen von Vorgaengen, die in der Vorgangstabelle nicht untereinander standen, nur durch die Eingabe der Vorgangsnummern moeglich. Allerdings beeintraechtigen die Linien in der Gantt- Darstellung die Uebersichtlichkeit, vor allem wenn komplexe Verknuepfungen vorhanden sind. Die Funktion kann auch jedoch abgeschaltet werden.

Soll-ist-Vergleich von Duplikat und Basisplan

Das Basisverfahren mit Vorgaengen, Ressourcen und Terminen blieb bis auf wenige Ausnahmen unveraendert. Bisher wurden fuer einen Vorgang drei Termine angeboten: "kalkuliert", "geplant" und "tatsaechlich". In der neuen Version ist hingegen ein Basisplan vorgesehen.

Die Softwaredesigner gehen davon aus, dass ein Projektplan erstellt wird, der die Grundlage fuer einen spaeteren Soll-Ist-Vergleich bildet. Er wird als Basisplan gespeichert und bleibt unveraendert. Waehrend der Projektverfolgung kommt eine Art Duplikat zum Einsatz. Bei Projektende werden dann beide Plaene verglichen, um dem Projektleiter ein Feedback zu ermoeglichen und Erkenntnisse fuer spaetere Vorhaben zu gewinnen.

Komfortabel ausgestattet wurde das Berichtswesen. Konnten bisher nur einfache Reports erstellt werden, so sind in der neuen Version etwa 30 Berichte in unterschiedlichen Kategorien, beispielsweise Ressourcen oder Kosten, vordefiniert.

Darueber hinaus wurde eine Art Report-Generator implementiert, mit dem sich alle Elemente und Daten eines Projekts in eine Liste bringen und verknuepfen oder kumulieren lassen. So ist es fuer den Benutzer wesentlich einfacher, eigene Reports wie Arbeitsplaene oder Kostenuebersichten zu generieren.

Ganz im Trend der unternehmensweiten Kommunikation hat Microsoft neue Moeglichkeiten fuer den Einsatz des Produktes im Netz geschaffen. Besonders gelungen ist hier die Faehigkeit, Veraenderungen eines Projekts via E-Mail an andere Systeme zu uebermitteln. Beispielsweise laesst sich auf einem zentralen Rechner der gesamte Ressourcen-Pool halten, so dass jeder Projektleiter festellen kann, welche Mitarbeiter ihm zur Verfuegung stehen.

Aber auch Projekte, die in Unterprojekte aufgeschluesselt werden, lassen sich in Teamarbeit bearbeiten, ohne dass Konsistenzprobleme auftauchen. Diese Funktion erfordert aber eine genaue Planung des Projekt-Managements und setzt eine relativ einheitliche Strategie bei der Projektfuehrung voraus.

Selbstverstaendlich sind DDE- und OLE-Funktionalitaet vorhanden. Gerade DDE hat sich in der Praxis als sehr wichtig erwiesen. Kostenberechnungen fuer Ressourcen, die in dem Tabellenkalkulationsprogramm Excel erstellt und gepflegt werden, sind in Project 4.0 staendig auf dem neuesten Stand. Diese Funktion gleicht das fuer Projekt-Management-Systeme typische Manko bei der Kostenanalyse fast vollstaendig aus.

Im Stil von Word 6.0 weist die neue Project-Version auch Assistentenfunktionen auf. Die in einem Frage- und Antwortverfahren definierte optische Gestaltung beispielsweise eines Gantt-Diagramms laesst sich mit dem Assistenten entsprechend formatieren. Gerade fuer Einsteiger ist diese Funktion ideal. Wer mit dem Produkt vertraut ist, wird die Ansichten einmal selbst definieren und sie spaeter dann ueber Pull-

down-Menues einblenden, um Zeit zu sparen.

Da ein Assistent in erster Linie verstaendlich und uebersichtlich agieren soll, ist es teilweise sehr aufwendig, alle Fragen zu beantworten. Das Verfahren fuehrt aber in der Regel zum gewuenschten Ergebnis.

Neueinsteiger sollten auch den Mitbewerb analysieren

Nach den Massstaeben des computergestuetzten Projekt-Managements ist die neue Project-Version sicher nicht als deutlicher Schritt nach vorn zu bezeichnen. Es sind wie bisher nur die einfachen Standardverfahren der Vorgangssteuerung moeglich. Wirklich entscheidende Funktionen wie automatische Alternativressourcen oder Planungsszenarien fehlen jedoch nach wie vor.

Project 4.0 ist vielmehr eine logische Weiterentwicklung frueherer Ausfuehrungen, wie sie auch bei anderen Produkten beobachtet werden kann. Vorteil: Die ergonomische Einheitlichkeit der Produkte erlaubt es dem Anwender schnell, neue Microsoft-Produkte zu lernen und einzusetzen. Es laesst sich allerdings vermuten, dass mit 4.0 eine Grenze erreicht ist und die naechste Version tatsaechlich neue oder zumindest erweiterte Strategien des Projekt-Managements umsetzt.

Wer von 3.0 nach 4.0 wechseln will, wird keine Probleme mit der Bedienung und dem Verstaendnis haben. Anwendern, die bereits Project 3.0 im Einsatz haben, kann also zu einem Umstieg geraten werden. Neueinsteiger sollten hingegen auch Konkurrenzprodukte analysieren, um die passende Loesung zu finden.