Erste Eindruecke von Visio 3.0 fuer Windows Nach OLE 2.0 setzt Shapeware auf die Integration mit Suites

14.10.1994

Von Michael Matzer*

Die Muenchner Shapeware GmbH versucht in Deutschland mit "Visio" an den Erfolg der amerikanischen Mutter anzuknuepfen. Das auf Ablauf- und Strukturdiagramme spezialisierte Business-Grafikpaket ist seit kurzem in Version 3.0 fuer Windows verfuegbar und erlaubt unter dem Motto "Switchable User Interface" eine Integration in die Office- Loesungen von Microsoft und Lotus.

Mit Visio lassen sich unter anderem Flussdiagramme erzeugen, Organisationsstrukturen abbilden, Geschaeftsablaeufe veranschaulichen und innenarchitektonische Grundrisse beziehungsweise Ingenieurszeichnungen gestalten. Fuer diese Einsatzbereiche stellt das Programm 750 Symbole und Formelemente (Shapes) in sogenannten Paletten bereit, die am Bildschirm seitlich der Arbeitsflaeche angeordnet sind. Der Anwender zieht das benoetigte Symbol von dort per Drag and drop auf seine Zeichnung, fuegt im Bedarfsfall Verbindungslinien oder Pfeile hinzu und editiert seinen Text. Dabei laesst sich jedes verwendete Symbol wie ein eigenes Objekt behandeln. Markierte Symbole koennen formatiert und in ihrer Ausrichtung veraendert werden. Es lassen sich auch neue Shapes vom Benutzer definieren und in die gewuenschte Palette einordnen.

Bereits in Version 2.0 unterstuetzte das Shapeware-Paket OLE 2.0, so dass sich Visio-Charts als Objekte in anderen Anwendungen bearbeiten lassen. Umgekehrt koennen auch Ton- und Videodateien zusaetzlich zu den Charts und Clipart-Bildern in Visio-Diagramme integriert werden. Mit der Einbindung von Grafiken oder Text, etwa aus Winword, in ein Symbol wird dieses zu einem Dokument, bei dem die Ursprungsanwendung via OLE per Mausklick aktiviert wird.

Mit dem Update werden diese Integrationsmoeglichkeiten erweitert. Der Anwender kann zwischen drei Symbolleisten und Menuesets waehlen, je nachdem, in welcher Arbeitsumgebung er sich befindet: Zur Verfuegung stehen die Standardleisten und -menues von Visio, MS- Office und Lotus Smartsuite. Der Wechsel zwischen den Benutzeroberflaechen erfolgt von Visio aus entweder ueber das Menue oder per rechte Maustaste auf einen Freiraum in der Symbolleiste. Es erscheint ein Kontextmenue, in dem man zwischen der Office- oder Smartsuite-Leiste waehlen kann. Ausserdem wird der Visio-Startbutton in die Symbolzeile der Office- beziehungsweise Smartsuite- Anwendungen integriert, so dass von dort aus jederzeit die Funktionen des Grafik-Tools aktiviert werden koennen. Darueber hinaus unterstuetzt Visio 3.0 einen Zwei-Wege-Datenaustausch mit Lotus Notes, bei dem sich Felder aus Notes F/X in Zeichnungen einfuegen lassen. In diese Felder koennen Informationen wie das Erstellungsdatum, die Masse von Elementen und andere Details eingefuegt werden. Ueber den Link werden die Informationen auf dem jeweils neuesten Stand gehalten.

Auch die Moeglichkeit, Verbindungen ueber Konnektoren herzustellen, wurde im Visio-Update erweitert. Dafuer stehen nun sowohl eine universelle Konnektoren-Schablone (Symbolpalette) als auch ein spezielles Konnektor-Werkzeug bereit. Wird ein verbundenes Element auf der Zeichenflaeche bewegt, verschiebt Visio automatisch den Konnektor an die neue Position.

Neu in Visio ist auch eine Symbolpalette mit ueber 30 Formelementen fuer das Total Quality Management, also die Qualitaetssicherung nach ISO 9000. Die Druckvorschau erlaubt eine Kontrolle der Zeichnung vor der Uebergabe an den Druck-Manager. Das Besondere daran: Auch hier laesst sich die Zeichnung noch bearbeiten.

Anwender, die an Festplattenspeicher und an die LAN-Kapazitaet denken muessen, koennen eine Datei auf rund 40 Prozent des Originals komprimieren. Zugleich sollen laut Shapeware einige Arbeitsschritte um 30 bis 100 Prozent gegenueber der Vorgaengerversion beschleunigt worden sein. Dies betreffe besonders das Kopieren von Objekten in die Zwischenablage, die Erzeugung eines weiteren Mastersymbols sowie das Oeffnen einer neuen Symbolpalette.

Shapeware erleichtert die Einarbeitung in Visio 3.0 durch eine Quicktour, ein Lernprogramm sowie Tips und Tricks zu Visio- Mastersymbolen. Fuer die individuelle Anpassung der Steuerung steht eine Makrosprache zur Verfuegung, aber auch OLE 2.0 und Visual Basic erlauben die Entwicklung von sogenannten Add-ins, also Zusatzmodulen. Im Vergleich zu den Mitbewerbern - bei den professionellen Anwendungen ist dies der "ABC Flow Charter 3.0" von Micrografx - hat Visio 3.0 besonders in bezug auf die Integration in die beiden Office-Loesungen die Nase vorn. Der Verkaufspreis liegt knapp unter 400 Mark, darin eingeschlossen ist die technische Unterstuetzung fuer 90 Tage.

Das Geschaeft mit Shapes

Die 1990 in Seattle, USA, gegruendete Shapeware Corp. hat sich auf Programme zum Erzeugen von Diagrammen und Geschaeftsgrafiken per Drag and drop spezialisiert. Die Software "Visio" stellt dem Anwender Paletten mit Symbolen (Shapes) fuer spezielle Aufgabenbereiche am Bildschirm zur Verfuegung. Der Erfolg in Amerika veranlasste das Unternehmen zum Sprung nach Europa. Vor knapp einem Jahr wurde eine Niederlassung in Muenchen eroeffnet. Das Ergebnis dort: Voraussichtlich - das Geschaeftsjahr ist noch nicht abgeschlossen - werden in Deutschland zwoelf Prozent des weltweiten Gesamtumsatzes von 25 Millionen Dollar erzielt.

Die Produkte basieren auf der "Visio-Engine" und gliedern sich bezueglich der Symbolpaletten in die Bereiche Business-Grafik, private Enduser und Soho-Markt. Fuer Grosskunden werden Applikationen mit speziellen Symbolen angefertigt, etwa fuer die petrochemische oder elektrotechnische Industrie. Ausserdem vertreibt das Unternehmen die Variante "Visio Express", die als Komponentensoftware nur in Verbindung mit einer Windows-Office- Loesung laeuft. Gerade mit diesem Produkt soll die Installationsbasis merklich erhoeht werden: Shapeware hat mit Microsoft ein Abkommen geschlossen, wonach bis zum 31. Januar 1995 jeder Kaeufer von MS-Office zusaetzlich eine kostenlose Version von Visio Express erhaelt.