"Erstanwender wollen den Ersparniseffekt sofort sehen"Diskussionsbeiträge einer Fachveranstaltung der "SYSTEMS '79" mit dem Thema "Software für Kleincomputer und dezentrale Systeme"

02.11.1979

"Die Softwarekrise ist eine Dokumentationskrise", konstatierte Kienzle-Geschäftsführer Dr. Gerd Bindels bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Symposiums. "Software für Kleincomputer und dezentrale Systeme" auf der Münchner "SYSTEMS '79" (CW-Nr.

40 vom 5. 0ktober 1979, Seite 17). Es sei oft nicht möglich, eindeutige Aussagen über Eingaben und Ausgaben eines Paketes zu bekommen Bindels: "lch glaube, daß da bei vielen Paketen der Wurm drin ist." Neben Bindels nahmen an der Podiumsdiskussion teil:

Rudolf Gierse (Finanzministerium Nordrhein-Westfalen), Professor Dr. Roland Schneider (FH Dortmund), Carl S. Meissner (IBM), Helmut Krefft (Siemens und CW-Chefredakteur Dieter Eckbauer. Die Gesprächsleitung hatte Professor Dr. Dieter 8. Pressmar(Uni Hamburg). Hier die wichtigsten Diskussionsbemerkungen:

Pressmar: Welchen Erwartungshorizont bezüglich der Software-Ausstattung hat der Anwender eines Kleincomputers? Diese Frage ist so zu verstehen, daß ich davon ausgehe, daß der Kleinanwender einen anderen Erwartungshorizont hat als der Großanwender, der durch die Tradition und auch durch die häufigen Besuche der VBs der Rechnerhersteller seinen eigenen Erwartungshorizont entweder bewußt oder unbewußt aufgebaut hat. Die Frage lautet also, gibt es im Bereich des Kleincomputer-Anwenders einen speziellen oder einen anderen Erwartungshorizont, oder wie sieht überhaupt der Erwartungshorizont aus?

Schneider: Mit Sicherheit besteht hier ein erheblicher Unterschied in folgender Hinsicht: Nach meiner Erfahrung wollen die Erstanwender, die mit so einem System überhaupt in die Datenverarbeitung einsteigen, den Ersparniseffekt, den Rationalisierungseffekt ganz kurzfristig und sofort sehen. In der Weise, daß sie sich die Einstellung eines weiteren Buchhalters oder Sachbearbeiters, der bei zwanzig oder fünfzig Mann Personal insgesamt enorm zu Buche schlägt, daß sie sich den sparen wollen. Aber die Anforderungen an die Software-Ausstattung können die Leute gar nicht in dieser Weise formulieren, das ist ja heute schon in mehreren Vorträgen herausgekommen, weil sie auf diesem Sektor noch nicht mündig sind und ein gewisses Know-how, das man erst mit der Zeit als Anwender bekommt, noch nicht besitzen. Sie sind vielmehr demjenigen ausgeliefert, der sie berät, und ich selber bin gelegentlich in der Situation, daß die Leute, die sich nicht so ganz von einem Hersteller oder von dem Ratschlag eines Herstellers oder dessen Beauftragten abhängig machen wollen, daß die versuchen, sich an eine neutrale Institution zu wenden, um einen Ratschlag zu bekommen, der etwas neutraler ist. Im Gegensatz dazu die zweite Kategorie, die mit Experten durchsetzt ist, die

ein sehr genaues Pflichtenheft oder sonst etwas erarbeiten können und die von den Dingen, die sie verlangen wollen, ganz genaue Vorstellungen haben.

Pressmar: Wie sehen denn die Hersteller oder die Software-Anbieter nun den Benutzer? Das heißt: Welches Bild gibt der Benutzer ab? Oder anders ausgedrückt: In welcher Situation will man den Anwender sehen, damit er möglichst glücklich wird?

Meissner: Der Erstanwender der Basisdatenverarbeitung erwartet Problemlösungen, ähnlich wie der mündige Großanwender auch, nämlich Lösungen im Bereich des kaufmännischen Abrechnungswesens und im Bereich der Betriebssteuerung, die ihn in die Lage versetzen, im Wettbewerb mitzuhalten oder im Wettbewerb vornanzustehen, und das heißt nicht nur in der Abrechnung a jour zu sein, sondern vor allen Dingen Führungszahlen aktuell und schnell zu bekommen.

Er erwartet zweitens, daß er diese Lösungen geboten bekommt, ohne selbst allzugroßen zusätzlichen Aufwand, der seine Möglichkeiten übersteigt, treiben zu müssen. Und hier fällt wieder die Anwenderstrategie des Herstellers hinein: Ist er in der Lage, diese Aufgabenstellungen zu befriedigen? Ist er in der Lage, sie individuell maßgeschneidert zu befriedigen oder nur teilweise? Hier fällt hinein: Ist das Angebot des Herstellers benutzerfreundlich? Das heißt, benötige ich Experten auf der Sachbearbeiterseite oder auf der Seite des Betreibers des Systems oder kann jeder normale Mitarbeiter unmittelbar eine solche Losung implementieren und hinterher auch erfolgreich betreiben?

Krefft: Ich würde den Kreis der Probleme noch ein bißchen erweitern. Wir sehen an erster Stelle eindeutig die Kostensituation und die Liquiditätssituation der Unternehmen, und dabei ist es im Grunde unerheblich, ob es ein kleines oder ein großes

Unternehmen ist, also ein Erstanwender oder Aufsteiger oder sonst was, oder ein Dezentralisierer. Natürlich kommen dann weitere Gesichtspunkte dazu - und die Personalkosten. Aber damit ist gar nicht einmal gemeint, daß man nun die Personalkosten senken will. Man kann das auch positiv ausdrücken und sagen, man will ohne Personalveränderung mehr Arbeit bewältigen. Kein Unternehmen möchte letztlich stagnieren, sondern möchte Wachstumsmöglichkeiten nutzen, und genau dazu dient eine solche Anlage, also nicht unbedingt zur Kopfzahl-Rationalisierung. Das waren im Grunde genommen betriebswirtschaftliche Probleme, die durch eine Anwendersoftware gelöst werden können.

Es gibt darüber hinaus eine Reihe von technischen Notwendigkeiten, über die mit dem Anwender gesprochen werden muß. Das ist einmal die Kompatibilität, damit meine ich die nicht im elektrischen Sinne, sondern zunächst mal die Kompatibilität zu der bestehenden Organisation - es sollte möglichst wenig umgestellt werden in dem Unternehmen. Es muß überdies durch Service ein hohes Maß an Zuverlässigkeit gewährt werden. Die Software muß heute einen intelligenten Dialog ermöglichen, und schließlich: Die Software muß idiotensicher sein, das heißt bedienerfreundlich.

All dieses setzt voraus, daß man eben nicht nur mehr Hardselling betreiben kann. Der Switch ist im großen und ganzen bei allen Herstellern schon vor längerer Zeit geschehen, und der Trend geht eindeutig zur unternehmensberaterischen Leistung.

Bindels: Ich möchte es ganz simpel ausdrücken: Ich glaube; den Unternehmer interessiert schlicht und einfach daß sich seine Investition innerhalb kürzester Zeit bezahlt gemacht hat, und dazu braucht er greifbare Ergebnisse.

Pressmar: Ich darf kurz zusammenfassen: Der Anwender, der autonome Anwender des Kleincomputers, muß Datenverarbeitung praktisch voraussetzungslos ins Haus geliefert bekommen. Man kann nicht davon ausgehen, daß er nennenswert versiert ist auf diesem Gebiet - von mündig kann man schon gar nicht reden. Er ist in aller Regel ein Laie auf dem DV-Gebiet. Diesen ungünstigen Randbedingungen muß meines Erachtens der Computer mit seinen Möglichkeiten entgegenkommen. Das sind zum Teil hardwaretechnische Dinge wie blendfreie Bildschirme, möglicherweise Sprachausgabe oder -eingabe oder solche Dinge, aber vor allem eben die entsprechende Software, damit die Kommunikation wiederum möglichst voraussetzungslos, einfach und komplikationslos ablaufen kann. Daß da noch viel zu machen ist, ist völlig klar. Gleichwohl glaube ich, daß der Benutzer bereits eine für sich befriedigende Lösung hat, wenn er für ein bestimmtes Gebiet eine gebrauchsfertige und auch schon in der Praxis bewährte Systemkonzeptlon und Systemrealisierung angeboten bekommt.

Ich möchte nun zu der Frage kommen: Welche softwaretechnischen Konsequenzen sind daraus zu ziehen? Wie stellt man heute die geeignete Software für den Kleincomputer-Anwender zur Verfügung? Ist die ausschließliche Lösung Standardpakete oder ist die Lösung Modularprogramme? Ist die Lösung Branchenpaket oder gar Programmierhilfen?

Frage also: Wie sieht die Situation heute aus und wie wird der Trend in der Zukunft sein? Gibt es mal die Situation, daß wir nicht mehr das Wort Standardpaket oder Serienpaket strapazieren müssen, sondern sagen können, wir haben heute so kosten-

und

leistungsgünstige Generatorhilfen, daß wir Individualsoftware genauso billig und kostengünstig herstellen können wie Seriensoftware. Ist das utopisch oder meint man, das sei realisierbar?

Meissner: Das ist Tatsache und nicht erst seit heute, sondern Tatsache zumindest in unserem Hause seit dem Jahre 1975. Sie kennen unser Angebot auf diesem Markt, das heißt MAS Modulares Anwedungs-System, und hier ist die Modularität so zu verstehen, daß der Erstanwender, der möglichst keine Voraussetzungen mitbringen soll, in der Lage ist, allein oder unter fachkundiger Anleitung aus einer Funktionsvielzahl eines bestehenden Anwendungsgebietes diejenigen Funktionen herauszusuchen, die er benötigt.

Zwischenfrage aus dem Publikum: Es gibt sehr viele Versprechungen auf diesem Gebiet. Nur, der Anwender ist nicht so mündig, daß er das beurteilen kann, und deshalb würde ich es begrüßen, wenn - wie schon i anderen Bereichen der Wirtschaft - Test-Institutionen für Software eingerichtet würden. Es gibt im Automobilbereich, im Haushaltsbereich und, last not least, heutzutage auch schon im Gaststättenbereich sehr gute Beurteiler über angebotene Produkte. Warum soll das nicht möglich sein, so etwas auch im Softwarebereich einzurichten? Nach dem könnte man sich dann doch richten oder zumindest doch Erkenntnisse aufnehmen.

Pressmar: Das ist ein außerordentlich interessanter Vorschlag, möge er in das Ohr des Ministers für Forschung und Technologie dringen, der möglicherweise die Mittel und Möglichkeiten hat, so etwas in die Wege zu leiten.

Meissner: Man darf das nicht ganz so in die Zukunft verschieben. Ich meine, es gibt zwar keine Stiftung "Anwendungstest", aber es gibt eines für jeden einzelnen Hersteller, und das ist entscheidend das sind die Kunden, die mit diesen Anwendungen

arbeiten. Im Marketing spricht man von sogenannten Referenzkunden. Und solange es eine Stiftung Computertest oder Anwendungstest nicht gibt, bleibt dem Erstanwender, der auf der Suche ist, nichts anderes übrig, als sich installierte Kunden - unabhängig vom Herstellerbetreuer - selbst anzusehen, mit diesen Leuten zu sprechen mit der Geschäftsführung, mit dem Sachbearbeiter.

Dann kann er sehr wohl einen Schluß daraus ziehen, ob das für ihn geeignet ist oder nicht; ob Versprechungen dahinter sind oder Realitäten.

Gierse: Aus meiner Sicht kann ich einem Erstanwender nur dringend empfehlen, sich ein Branchenpaket anzusehen, und zwar bei den verschiedensten Institutionen. Es gibt beispielsweise eine Reihe von Softwarehäusern, die mit Herstellern kooperieren, die ganz spezielle Branchenpakete, und nicht einmal schlechte, anbieten. Dem DV-Einsteiger ist zu raten, sich dort wirklich über die Referenzen umzuschauen, ob die auch flexibel genug sind. Den Ehrgeiz zu haben, womöglich sogar die Basis für ein Testforum zu geben, ist irgendwie nur ein Traum. Für Erstanwender kommt nur der eben geschilderte Weg in Frage.

Schneider: Herr Gierse, wenn ich das richtig verstanden habe, empfehlen Sie also den Erstanwendern zu warten, bis jemand anderes diesen Sprung ins Wasser getan hat. Habe ich doch richtig verstanden?

Gierse: Einer muß immer der Erste sein, das ist nun mal auch bei Adam und Eva so gewesen.

Schneider: Ich verstehe das, wenn Sie das raten. Ich würde aber eigentlich gerne mal die Zuhörer hier auffordern, eine andere Stellung zu beziehen, wenn Sie es können, denn ich bin folgender Überzeugung: In den kleineren und mittleren Betrieben gibt es erfreulicherweise eine Reihe von experimentierfreudigen Leuten, die neuen Dingen aufgeschlossen sind und die deswegen auch häufig den Großbetrieben in gewisser Weise eine Nase voraus sind, dadurch können sie überhaupt existieren. Diese kleinen Anwender haben in entscheidender Weise dazu beigetragen, daß eine ganze Reihe von Branchenpaketen am Markt sind.

Bindels: Ich möchte zu dieser ganzen Softwarekrise, die hier angesprochen wird, nur sagen: Das ist eigentlich keine Softwarekrise. Es ist die Frage des Vorzeigens, das ist eine Dokumentationskrise. Das ist nämlich eine reine Katastrophe, wenn man sich ein Softwarepaket präsentieren läßt von einem Hersteller. Oder auch von einem Softwarehaus. Ich glaube, daß da bei vielen Paketen der Wurm drin ist. Es ist oft nicht möglich eindeutige Aussagen über Eingaben und Ausgaben des Paketes zu bekommen, und ich muß ehrlich sagen, das wird hier so hochgespielt, daß es so schwer ist, ein Softwarepaket zu bewerten und so weiter. Ein mittelständischer Unternehmer, ein Großhandelsunternehmer, der weiß schon, was er reinzugeben hat und was rauskommen muß - und

das kann er durchaus vergleichen mit einer vernünftigen präsentationsfähigen Dokumentation. Ich glaube, hier muß noch eine Menge getan werden.