Erst wenige Anbieter profitieren vom Web

Erst wenige Anbieter profitieren vom Web E-Commerce ist noch keine Lizenz zum Gelddrucken

27.03.1998

Was die Gurus sagen und unzählige Marktstudien prophezeien, klingt höchst verheißungsvoll: Das amerikanische Marktforschungsinstitut Forrester Research zum Beispiel beziffert das übers Internet erzielte Handelsvolumen 1998 auf 17 Milliarden Dollar, mehr als doppelt so hoch wie im vergangenen Jahr.Doch damit nicht genug: Für das Jahr 2002 sagen die Forrester-Auguren sogar einen Umsatz von 327 Milliarden Dollar voraus, 40mal mehr als 1997.

Noch optimistischer gibt sich Novells CEO Eric Schmidt: "In den kommenden zwölf Monaten werden im elektronischen Handel 30 Milliarden Dollar umgesetzt werden.In zehn Jahren, wenn nicht schon früher, kann daraus leicht ein Billionen-Dollar-Business entstehen.", behauptete er in einem Interview mit der Zeitschrift Finanz und Wirtschaft.

So imposant diese Schätzungen auch aussehen mögen, stellt man sie in Relation mit anderen Größen, so wirken sie plötzlich ziemlich mickrig.Die von Forrester Research für 1998 weltweit erwarteten 17 Milliarden zum Beispiel machen bloß ein Fünftel des Betrages aus, der allein in den USA im Kataloghandel umgesetzt wird.Und selbst wenn das erwartete stürmische Wachstum eintreffen sollte, hebt dies auch in vier Jahren den traditionellen Handel volumenmäßig noch lange nicht aus den Angeln.Denn: 327 Milliarden Dollar entsprechen gerade mal 2,3 Prozent des für 2002 prognosti- zierten weltweiten Bruttosozialprodukts.

Nun kann man sicher mit Fug und Recht sagen, auch Zwerge hätten mal klein angefangen - die 17 Milliarden Dollar seien mithin ein schöner Anfang, und die Steigerungsraten imposant.Das stimmt zwar, doch vom Umsatz allein hat bisher noch kein Unternehmen gelebt.Was zählt, ist das Gesamtergebnis, da sieht es leider ziemlich schlecht aus, selbst bei Firmen, die von den Medien immer wieder zum Vorbild für erfolgreichen E-Commerce hochstilisiert werden.

Der amerikanische Cyber-Buchladen Amazon.com http://www.amazon.com zum Beispiel hat zwar im vergange-nen Geschäftsjahr seinen Umsatz mehr als verneunfacht (von 15,7 auf 147,8 Millionen Dollar), mußte aber gleichzeitig beinahe eine Verfünffachung des letztjährigen Verlustes hinnehmen (von 5,8 auf 27,6 Millionen Dollar).

Trotzdem gibt sich das Amazon-Management unbeirrt zuversichtlich und bezieht sich dabei auf die rapide steigende Zahl der Kunden-Accounts und die zunehmende Reichweite.Ob der Optimismus auch gerechtfertigt ist, muß sich aber erst zeigen: Konkurrenten wie die amerikanische Ladenkette Barnes & Noble sind jedenfalls wild entschlossen, dem ungestümen Vorwärtsdrang des 1995 gegründeten Newcomers nicht mehr länger tatenlos zuzuschauen.

Anlaß zum Stirnrunzeln gibt auch die Bemerkung von Amazon-Präsident Jeff Bezos, die Weihnachtssaison 1997 hätte gezeigt, daß das Publikum den Online Commerce zusehends akzeptiere.Trifft dies tatsächlich zu, so muß es sich um ein amerikanisches Phänomen handeln, denn die Erfahrungen, die europäische Anbieter gemacht haben, beweisen genau das Gegenteil.

So erwies sich das Internet-Projekt "E-Christmas" als kommerzielles Disaster. Der von Microsoft, Hewlett-Packard und United Parcel Service zusammen mit über 100 Unternehmen aus neun Ländern lancierte Web-Shop bot 1800 Produkte in sechs Sprachen weltweit zum Online-Kauf an.Statt des erwarteten 500000 Besucher wählten sich bloß halb so viele ein, und nur 500 von ihnen (0,2 Prozent) rangen sich zu einer Bestellung durch.

Nicht viel besser erging es der Schweizer Firma Edicom http://www.edicom.ch mit ihrem Christmas Store.Obschon die Web-Site nach Angaben seiner Betreiber die meistbesuchte Homepage in der Schweiz sein soll, fanden nur 18000 Surfer den Weg in den elektronischen Weihnachtsladen des Verlagsunternehmens.Das Resultat: lediglich 70 Bestellungen.

Im Nachhinein haben die Betreiber gleich reihenweise Erklärungen für den offensichtlichen Mißerfolg: Von der schlechten Performance des kontinentalen Internets über Import- beziehungsweise Export-Restriktionen, vor allem bei Alkoholika, bis hin zu den Zahlungsmodalitäten.So mußte zum Beispiel jeder Kaufwillige ein detailliertes elektronisches Registrierungsformular ausfüllen. Nur ein Grund scheint den gescheiterten Cyber-Enterpreneuren nicht in den Sinn zu kommen: daß möglicherweise ihr Angebot nicht das richtige war.

Was sind die Renner im Online-Handel?Zur Zeit sicher einmal Computer.Dell etwa verkauft weltweit übers Internet 1000 PCs pro Tag.Auch Bücher, CDs und CD-ROMs holen sich die Konsumenten gerne übers Netz.Freizeitartikel wie Fahrräder und Snowboards gehen auch noch gut über den digitalen Ladentisch; bei Kleidern kann es schon problematisch werden: Was tun, wenn die gelieferte Ware nicht den Vorstellungen entspricht?Bei Blumen, Wein und Konzert-Tickets ist ein Fehlkauf hingegen nicht so tragisch.Auch zum Bestellen einer Pizza kann der Online-Shopper spaßeshalber mal zur Tastatur statt zum Telefon greifen.

Stark im Online-Aufwind befindet sich der Reisemarkt.Inzwischen sind die großen Touristik-Unternehmen und Fluggesellschaften mit ihrer ganzen Palette im Internet vertreten.Außerdem können Surfer querbeet nach Flügen oder Hotelzimmern suchen.Dadurch weicht die Angst, in Unkenntnis des ständig wechselnden Angebots die günstige Lösung zu verpassen und sich im Alleingang einen Ladenhüter zu buchen.

Soviel aus Sicht der Online-Käufer.Doch was ihr Herz erfreut, läßt längst nicht in jedem Fall auch die Kassen der Anbieter klingeln.Einer der seltsamsten Erscheinungen ist das Medien-Business.Egal, ob Tageszeitungen, Fachmagazine oder Boulevard-Blätter: Viele produzieren seit Jahr und Tag auch online fleißig drauflos.Dabei ist trotz der Investitionen in ihre Internet-Präsenz weit und breit kein Return on Investment sichtbar, sieht man einmal von Sex- und Pornoangeboten ab.Versuche, bei den Surfern für das Hingucken und Kopieren abzukassieren, sind in den meisten Fällen kläglich gescheitert: Das Massenblatt "USA Today" zum Beispiel mußte das Ansinnen nach kurzer Zeit wieder aufgeben.

Eine der wenigen Ausnahmen ist das "Wall Street Journal" (WSJ).Laut einem Bericht der Handelszeitung konnte das WSJ nach harzigem Anfang 180000 Online-Leser an sich binden, die bereit sind, dafür 49 Dollar pro Jahr zu entrichten.Obschon die Web-Site täglich von 50 000 Lesern besucht wird, soll sie nach wie vor die Kosten nicht decken.Anderen geht es nicht besser: Der große US-Zeitungsverleger Knight-Ridder gab 1997 für seine 32 Web-Sites 27 Millionen Dollar aus, nahm gleichzeitig aber nur elf Millionen Dollar ein.Auch die "New York Times" rechnet für letztes Jahr mit einem Verlust von 15 Millionen Dollar.

Wenn schon solche Flaggschiffe der Weltpresse mit ihrem Internet-Auftritt rote Zahlen schreiben, wie soll denn etwa eine Regionalzeitung auf einen grünen Zweig kommen?

Offenbar hoffen viele Verleger immer noch, daß Online-Inserate ihnen aus den roten Zahlen helfen.Doch wenn die Anzeichen nicht trügen, wird es wohl bei der Hoffnung bleiben.Erfahrungen in den USA jedenfalls zeigen, daß sich im Medium "Internet" steigende Reichweiten keineswegs in höheren Anzeige-Tarifen niederschlagen.

Da mit dem explosiven Wachstum des World Wide Web auch die Konkurrenz unter den Anzeigeträgern zunimmt, könnte Online-Werbung laut einer IDC-Studie sogar noch billiger werden, als sie es heute schon ist.Mit anderen Worten: Der verzweifelte Versuch der Verleger, durch Online-Präsenz zumindest einen Teil der Werbeeinnahmen zurückzugewinnen, die sie zuvor an branchenfremde Konkurrenz verloren haben, ist möglicherweise zum Scheitern verurteilt.

Was kann man denn all den Unternehmen raten, die nach wie vor auf die Online-Schiene setzen wollen?Wahrscheinlich müssen sie erst mal lernen umzudenken, denn das Online-Business hat seine eigenen Regeln.

Zum Beispiel rückt E-Commerce den Kunden sehr viel näher zum Produzenten und Lieferanten, wie das Beispiel Dell Computer eindrucksvoll beweist.Egal, in welch abgelegenem Dorf der Kunde auch wohnt, auf der Dell-Site findet er mit wenigen Mausklicks alle Informationen, um sich seinen Wunsch-PC individuell zusammenzustellen, wobei er laufend Feedback kriegt, wie zum Beispiel Konsequenzen auf den Preis oder technisch unmögliche Konfigurationen.Das Resultat: Zeit und Kosten, bis sich Kunde und Anbieter finden, werden dadurch drastisch reduziert.Bezahlung und Produktion erfolgen zudem "just in time" - ein weiterer Web-Vorteil.

Die ganzen Geschäftsprozesse werden elektronisch abgewickelt und historische Daten angelegt.Damit spart Dell nicht nur Administrationskosten, sondern kann auch einen besseren Kundenservice bieten.So hat der Kunde nach der Bestellung die Möglichkeit, über das Internet jederzeit zu erfahren, wann sein Rechner fertig ist.

Und ruft er später einmal die Hotline an, weiß der Support-Mitarbeiter aufgrund der gespeicherten Daten sofort, mit welcher PC-Konfiguration er es zu tun hat.

Wenn die Online-willigen Anbieter solche Lektionen nicht lernen, wird sich das altbekannte Goldrauschmuster wiederholen: Nicht die Schürfer machen das große Geld, sondern höchstens jene, die ihnen die Mittel und Werkzeuge zum vermeintlichen Erfolg verkaufen.

Wunschliste

-80 Prozent: Unabhängigkeit von Ladenöffnungszeiten-60 Prozent: Kein Einkaufsstreß (parken, et cetera), unkompliziertes Bestellen-50 Prozent: Zeitersparnis beim Suchen-40 Prozent: Ausführliche Produktinformationen, vergleichbare Preise-35 Prozent: Direktkontakt zum AnbieterQuelle: Umfrage bei 7400 deutschsprachigen Internet-Nutzern, durchgeführt vom Marktforschungsinstitut Fittkau & Maaß, W3B Hamburg.

Tips für Web-Anbieter

-Es genügt nicht, seine Produkte einfach Eins-zu-eins ins WWW zu stellen, etwa, indem der Anbieter den Inhalt seines Verkaufskatalogs abbildet.Das Internet ist ein anderes Medium, entsprechend sollten die Angebote präsentiert werden.

-Bilder sind nützlich, solange sie den Seitenaufbau nicht allzusehr verzögern.

-Die Navigation hat in allen Richtungen einfach zu sein, damit der Besucher ungehindert im Laden stöbern kann.

-Das Angebot muß stimmen.Wer wie www.travelmarket.ch Hotelzimmer in Kolumbien, Litauen und der Mongolei anbietet, aber nicht in England, Frankreich oder Italien, braucht sich nicht wundern, wenn die Kunden zur Konkurrenz weiterklicken.

-Der Käufer will einen erkennbaren Mehrwert.Ein gutes Beispiel ist der Internet-Rabatt, den Dell bei Bestellungen übers Internet gewährt.Aber auch Spielereien wie die Airline-Ticket-Versteigerungen von Imholz oder Lufthansa können Online-Kunden anlocken.

-Gute "Passantenlage" entscheidet auch hier über Erfolg.Das beginnt schon beim Domain-Namen: www. landkarten.ch läßt sich einfach merken und eintippen.

-Die präsentierten Angebote sollten elektronisch zumindest bestellbar sein.Die Möglichkeit der Internet-Zahlung, heute erst ein Plus, wird bald einmal zum "Muß" werden.

-Die Logistik muß durchdacht sein.Wer im Internet bestellt, will nachher nicht wochenlang auf die Auslieferung warten.

Felix Weber ist freier Journalist in Zürich.