Falsche Ausübung der Mitarbeiter verhindert den Anwendungserfolg

Erst veränderte Qualifikationen ermöglichen neue Techniken

23.06.1989

Ausbildung muß dem Stand der Technik entsprechen. Dieser Grundsatz ist weitgehend unbestritten. Auf dem diesjährigen REFA-Organisationsforum in Friedrichshafen drehte Joachim Pöppel* den Spieß um. Nach seiner Meinung öffnen erst veränderte Ausbildungsinhalte den Weg zu neuen Techniken und zu sinnvollen Investitionen.

*Joachim Pöppel ist Vorstandsmitglied der Heidelberger Druckmaschinen AG;

Die Schwierigkeiten fahr Wirtschaft und Industrie mit den Veränderungen in der angewandten Technik ergeben sich nicht so sehr aus der neuen Technik, sondern sehr häufig auch aus den dafür falsch ausgebildeten Mitarbeitern. Dies hat zur Konsequenz, daß Wirtschaft und Industrie Ausbildungsaufgaben übernehmen müssen, für die wir als Bürger und Unternehmen ohnehin schon erhebliche Steuergelder bezahlt haben, weil der Staat die Aufgabe der Grundausbildung übernommen hat und sie nicht ausreichend bedarfsorientiert "oder gar dual löst"

In der Praxis beobachten wir oft, daß flexible, Fertigungssysteme gekauft werden, und wenn diesig dann in den Betrieben stehen und nicht laufen, beginnt man, die Mannschaft auszubilden. Bis diese ausgebildete Mannschaft dann die Maschinen beherrscht, sind die schon veraltet, das Return on Investment fehlte die Mannschaft, ist in die Resignation getrieben worden, und der Markt bietet schon wieder produktivere Betriebsmittel an. Gerade bei langwierigen Ausbilungsinvestitionen muß deshalb "Aus bilden" vor "Investieren" unbedingt beachtet werden. Hat man diesen Zusammenhang einmal erkannt, stellt sich nun die Frage, wie denn diese Ausbildung aussehen muß, um neue Technologien zu ermöglichen.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand, der in der Praxis mit diesen neuen Techniken zu tun hat, behauptet, (sie fordern weniger Qualifikationen. Anläßlich des letzten Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquiums 1987 wurde eine Delphi-Umfrage unter anderem mit folgender Frage gestellt:

"Glauben Sie, daß die CIM-Ideen schnell und umfassend die Betriebe erreichen werden?"

Diese Frage war besonders wichtig vor dem Hintergrund, daß in den wissenschaftlichen Artikeln das theoretisch-technologische Potential integrierter Produktionssysteme mit einer Steigerung um mehrere 100 Prozent im Jahr angekündigt wurde.

Das Ergebnis dieser Delphi-Umfrage konnte nur die Theoretiker überrascht haben; die Praktiker fanden bestätigt, daß Fachleute mit einer sehr langsamen und vorsichtigen Entwicklung in den nächsten zehn Jahren rechnen. Die Wirklichkeit zeigt unterdessen, daß auch aufgrund der mangelnden Qualifikation der Mitarbeiter, diese Entwicklung noch zu optimistisch gesehen wurde. Und das deutete sich schon bei der Antwort, auf die zweite Frage nach dem größten Hemmnis für den produktionstechnischen Fortschritt an. 25 Prozent der Befragten haben die mangelnde Qualifikation des Personals hervorgehoben. Diese Tatsache steht, nun im krassen Gegensatz zu dem Weltbild, das uns die Gewerkschaften, besonders die Industriegewerkschaft Metall, für diese Entwicklung angekündigt, oder soll ich besser sagen, angedroht haben.

- Karl-Heinz Janzen prophezeite noch 1978 in Böblingen schon für den Anfang der 80er Jahre zwei Millionen arbeitslose Sekretärinnen durch die Einführung von Textsystemen.

- Siegfried Bleicher rief 1982 aus: "Einige Zehntausende erzeugen die Technik, einige Hunderttausende bauen damit die Geräte, einige Millionen müssen um ihre Existenz bangen."

- Franz Steinkühler machte auf die Folgen neuer Technologien noch 1985 aufmerksam: "Zunahme der psychischen Belastung, Entwertung der beruflichen Qualifikation und Arbeitsplatzvernichtung" waren seine Untersuchungserkenntnisse.

Es gibt keinen Zweifel, wer diesen Thesen geglaubt und deshalb in der Aus- und Weiterbildung in den 70er sind 80er Jahren zu wenig getan hat, der wird tatsächlich und in großer Zahl Arbeitsplätze gefährden,

Viele, viele andere haben diesen Tenor unterstützt, auch außerhalb der Gewerkschaft. Ich will ja gar nicht an die lächerliche Aktion gegen die Bildschirmarbeitsplätze erinnern, zu einer Zeit, in der die junge Generation jede freie Minute vor den Rechnern verbrachte. Diese unrealistischen Thesen der Gewerkschaften führten dann ja auch zu einer Distanzierung der technischen Intelligenz in den Betrieben von der Gewerkschaft, die im Organisationsgrad ablesbar sind.

Nun kämpft die Gewerkschaft um die Glaubwürdigkeit einer Wende. Wer jetzt die Arbeiten der Projektgruppen "Automation und Qualifikation" mit dem Titel "Gewerkschaftliche Arbeitspolitik im Umbruch - am Beispiel der IG-Metall Technologie-Politik" liest, findet hier eine gewerkschaftsinterne Abrechnung mit den falschen Thesen der Vergangenheit. Leider wird diese Schrift viel zu wenig beachtet. Ich empfehle sie Ihnen und leugne nicht, daß ich der IG-Metall für diese Wende ein Kompliment mache - spät kommt ihr, aber ihr kommt.

Fachleute wissen daß die technische Entwicklung, die unter den Randbedingungen der deutschen Industriegesellschaft wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu sichern hat, keine "Abqualifizierung" brachte und" bringt, sondern ein eklatantes Qualifikationsdefizit aufgedeckt hat.

Welche Anforderungen an unsere Mitarbeiter ergeben sich daraus?

Wenn im Zusammenhang mit der technischen Entwicklung immer wieder das Wort "Integration" fällt, dann heißt das ja nichts anderes, als daß wir Mitarbeiter benötigen, die in der Lage sind, Teilgebiete in Gesamtsysteme einzuordnen und somit ein Systemdenken "gelernt" haben.

Wenn dem so ist, daran habe ich keinen Zweifel, ist die Zukunft der spezialisierten Spezial-Spezialisten aus zwei Gründen gefährdet:

- aus dem Grund der Integration, also der erforderlichen "ganzheitlichen" Denkweise,

- aus der Halbwertzeit des Wissens, die bei technologischen Veränderungen die erforderlichen Kenntnisse sehr schnell einem anderen Spezialgebiet abruft.

Aus diesem Grunde benötigt die Industrie überhaupt keine berufsfertigen Ingenieure, sie benötigt schnell berufsfähige Ingenieure.

Schaut man sich dagegen die durchschnittliche Studiendauer an den Hochschulen hierzulande an, so kann man nur erschrecken: 13 Semester sind zuviel.

Wenn das Regelstudium an den Fachhochschulen acht Semester lautet und an den Universitäten neun Semester, die Studierenden aber 50 Prozent länger brauchen, sind entweder die Studierenden nicht qualifiziert, das heißt das Abitur stellt keine Hochschulreife mehr dar, oder die Professoren sind nicht qualifiziert, in der vorgesehenen Zeit ihr Wissen zu vermitteln oder, in meinen Augen die wahrscheinlichste Ursache, die Stoffinhalte der Studien sind einfach zu groß. Die Regelstudienzeit ist somit eine unfaire und unwahre Information an die Studierenden. Hier müßten dringend die Kultusministerien mit der Praxis zusammenarbeiten und Studieninhalte streichen.

Da wir aber keine berufsfertigen Ingenieure brauchen, sondern welche, die sich in das soziologische System der Unternehmen einfügen können und die noch lern- und arbeitsfähig im Team sind, brauchen wir die Ingenieure in einem Alter von 26 bis 28 Jahren. Die Altersstruktur im Wintersemester 87/88 zeigt aber, daß 16 Prozent der Absolventen über 30 Jahre sind, vier Prozent über 15 Semester studieren.

Aufgeteilt nach Universitäten und Fachhochschulen zeigt sich: An der Universität sind 22 Prozent und an den Fachhochschulen zehn Prozent der Absolventen älter als 30 Jahre. Die Wirtschaft hat also zusätzlich zu der Misere, daß sie die Ingenieure zu spät bekommt, auch noch den Ärger, daß diese falsch ausgebildet wurden.

Wenn neue Techniken neue Ausbildungsperspektiven bieten, woran nicht gezweifelt werden kann, muß gefragt werden, ob hierzulande Potential an intelligenten Menschen sinnvoll eingesetzt wird. Dies sollte man einmal nüchtern und zahlenmäßig betrachten. Dazu müßte man wissen, wieviel Arbeitskräfte die deutsche Wirtschaft in den nächsten 20 Jahren benötigt, welche Tätigkeiten diese ausüben sollen und weiche Qualifikation von ihnen verlangt wird. Eine Projektion zum Qualifikationsbedarf der deutschen Wirtschaft bis zum Jahr 2000 erarbeitete die Prognos AG zusammen mit dem Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit. Das Ergebnis dieser Berechnung läßt sich folgendermaßen zusammenfassen:

Das Schwergewicht der beruflichen Arbeit verlagert sich zunehmend auf Tätigkeiten, die eine höhere Qualifikation voraussetzen. Für Führungsfunktionen, für Aufgaben in Forschung und Entwicklung werden zusätzliche Kräfte mit entsprechend höherer Vorbildung benötigt. Der Bedarf an qualifizierten Kräften steigt bis zum Jahr 2000 und sicher auch danach kontinuierlich an.

Folgt man dem Pfad der Prognos-Trendberechnung, werden von den 25,3 Millionen Arbeitsplätzen, die im Jahr 2000 zur Verfügung stehen, fast 3,5 Millionen mit Hochschulabsolventen, 1,6 Millionen mit Absolventen der Fach-, Meister- und Technikerschulen, 15,2 Millionen mit betrieblich Ausgebildeten, aber nur noch knapp 5,0 Millionen mit ungelernten Arbeitskräften besetzt sein.

Dies bedeutet, daß im Jahre 2000 nur noch knapp 20 Prozent der vorhandenen Arbeitsplätze Mitarbeitern ohne Ausbildungsabschluß zur Verfügung stehen.

Läßt sich diese Bedarfsstruktur aus dem vorhandenen Arbeitskräftepotential decken?

Wie hoch das Bildungsniveau der erwerbstätigen Bevölkerung gemessen am Schulabschluß und an der rufsausbildung tatsächlich ist, zeigen die Ergebnisse des Mikrozensus das Jahr 1985. Von den im Erwerbsleben stehenden Männern und Frauen verfügen danach 63 Prozent über einen Volks- oder Hauptschulabschluß, 22 Prozent über die Mittlere Reife und 15 Prozent über Abitur oder Fachhochschulreife.

Gegenüber 1976, dem ersten Jahr, für das vergleichbare Zahlen vorliegen, ist damit ein deutlicher Trend den höheren Schulabschlüssen kennbar. Damals hatten erst 17 Prozent der Erwerbstätigen die Mittler Reife und erst neun Prozent das Abitur. Vor allem bei den weiblichen Erwerbstätigen läßt sich zwischen 1976, und 1985 ein regelrechter Bildungsschub ausmachen.

Dieser Bildungsschub, der für die Entwicklung der Wirtschaft lebensnotwendig ist, wird uns das Arbeitslosenproblem aber nicht lösen.

Eine Analyse der Arbeitslosenstruktur zeigt, daß 51 Prozent der Arbeitslosen ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind, wobei hier in Wirklichkeit die Ziffer noch höher ausfallen dürfte, da die Arbeitsämter einen Friseur, der ein halbes Jahr in der Metallindustrie tätig war, auch als einen arbeitslosen Metallarbeiter mit abgeschlossener Berufsausbildung zählen. Sieht man nach den Dauerarbeitslosen, also denen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, sind das 32 Prozent der Arbeitslosen. Gleichzeitig sind 30 Prozent 45 Jahre und älter. Die Arbeitslosenzahlen sind nicht allein durch staatliche Maßnahmen zu reduzieren, sondern jeder Fähige und Willige muß nach dem Bedarf ausgebildet werden.