E-Business ist Chance und Risiko zugleich

ERP hat Zukunft als flexibles Projekt-Management-System

20.10.2000
ERP-Anbieter stehen unter Druck. Sie müssen ihre Applikationen für E-Business und Collaborative Commerce ausbauen, denn mit klassischen Buchhaltungs- und Produktions-Systemen lässt sich heute kein Blumentopf mehr gewinnen. Von Frank Schiewer*

Der Markt für Enterprise-Ressource-Planning-(ERP-)Systeme stagniert. Neugeschäft lässt sich fast gar nicht mehr erzielen. Bei vielen Anbietern sinken die Lizenzumsätze. Glaubt man der Gartner Group, so laufen spätestens 2004 nur noch 40 Prozent der Business-Anwendungen im ERP-Bereich. Für die nächsten vier Jahre, so Gartner, sei eine Transformationsphase in allen Anwenderunternehmen zu erwarten, an deren Ende sich der Collaborative (C-)Commerce etabliert habe.

Bemerkenswert daran ist, dass alle Unternehmen betroffen sein werden. Also nicht nur die Startups und Dotcoms der New Economy, sondern ebenso Vertreter der Old Economy. Auch deren Geschäft dezentralisiert sich und läuft immer stärker in Form von dienstleistungsintensiven Projekten ab.

Auslöser für diesen Umbruch ist das Internet und die damit verbundene Perspektive, Geschäftsprozesse aller Marktteilnehmer miteinander zu verknüpfen: Mittels virtueller Marktplätze arbeiten künftig Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Anteilseigner zusammen. Dafür sind IT-Lösungen nötig, in die sich die unterschiedlichen Systeme ohne Brüche integrieren lassen. Erst dann können interaktive Marktplätze geschaffen werden. Anwendungen für Customer-Relationship-Management, E-Procurement und Supply-Chain-Management stehen dabei ebenso im Brennpunkt des Interesses wie Applikationen die Service- und Instandhaltungs-Prozesse unterstützen. Hier ergeben sich für die klassischen ERP-Anbieter wiederum Chancen, auch beim Collaborative Commerce mitmischen zu können und damit die eigene Lebensdauer zu verlängern. Denn schlagkräftige Marktplätze verlangen eine ganzheitliche Architektur. Hier sind es gerade die unternehmensweiten ERP-Lösungen, die sich auf Basis ihrer breiten Back-Office-Funktionen und ihrer weiten Verbreitung als Rückgrat für C-Commerce anbieten.

Doch diese neue Rolle fällt den Softwarehäusern keineswegs in den Schoß: Um sich zu einer offenen und flexiblen B-to-B-Plattform zu mausern, müssen ERP-Systeme ihre jahrzehntelang gepflegte, nach innen gerichtete Produktions- und Logistikorientierung überwinden. Mit der bisherigen Sicht auf eher statische Stücklisten und auf die daran geknüpfte Materialbedarfsplanung (MRP) lässt sich im C-Commerce kein Kunde mehr gewinnen.

Um zu verstehen, weshalb die klassische ERP-Philosophie zu kurz greift, lohnt ein kurzer Blick darauf, wohin sich die Geschäftswelt im B-to-B-Zeitalter entwickelt: Im Übergang von der Industrie- in die Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft entstehen Geschäftsmodelle, die sich nicht mehr an fest definierten Produkten orientieren. Vielmehr laufen Geschäfte immer stärker in Form von Projekten ab, in denen der Dienstleistungs- gegenüber dem Produktionsanteil die Oberhand gewinnt.

Wer kauft heute noch einen Gabelstapler?Vor allem Betreibermodelle zeigen, wo die Reise hingeht: Wer kauft heutzutage zum Beispiel noch einen Gabelstapler? Statt dessen gehen Unternehmen dazu über, genau zu definieren, welche Transportleistung sie wann und wo brauchen. Anschließend überlassen sie es den Produzenten oder auch Dritten, diese Leistungen zu erbringen. Auf diesem Weg werden Kundenbeziehungen zu mittel- bis längerfristigen Projekten. Zu Projekten, in die Produkte und Services prozessorientiert eingebunden werden.

Dabei besteht die Aufgabe der B-to-B-Software darin, die kompletten Lebenszyklen dieser Projekte zu managen, was weit mehr ist als Stücklisten à la MRP abzuarbeiten. Hier geht es darum, die unterschiedlichen Lebenszyklen der Kundenkontakte, der Dienstleistungen und der Produkte miteinander zu synchronisieren. Deshalb ist ein ganzheitliches Projekt-Management gefragt, das sämtliche Bezugsgruppen eines Unternehmens auf einer einzigen Informationsplattform miteinander kommunizieren lässt. Hierzu gehören Kunden, Partner und Zulieferer ebenso wie Investoren, Analysten und Interessenten. Alle sind ihren jeweiligen Rollen und Bedürfnissen entsprechend in die Geschäftsprozesse einzubinden. So entsteht Collaborative Commerce.

Der Anspruch, Projektlebenszyklen tatsächlich so prozessorientiert, zeitnah und rollenbasiert, wie beschrieben, steuern zu können, steht und fällt mit dem Maß, wie die Back-Office-Systeme der beteiligten Unternehmen mit den Marktplätzen verzahnt sind. So ist ein Web-gestützter Produktkonfigurator nur dann sinnvoll, wenn der Verkäufer noch im Kundengespräch sagen kann, wann das gemeinsam mit dem Kunden ausgearbeitete Angebot zu welchen Kosten geliefert werden kann. Ist er dazu nicht in der Lage, sind die Back-Office-Abläufe nicht integriert.

Hier schlägt die Stunde der ERP-Systeme. Schließlich sind Back Office-Prozesse die Domäne des Enterprise Ressource Planning. Ob sie ihre Chance nutzen und dem C-Commerce ein Zuhause geben oder ob sie als IT-Dinosaurier in den unendlichen Tiefen des Internets verschwinden, werden die kommenden Jahre zeigen. An fehlendem Marktpotenzial mangelt es jedenfalls nicht. Aus Sicht der Analysten von AMR Research bleibt der gesamte Markt für geschäftskritische Software auch in Zukunft ein Big Business: So prophezeien die AMR-Auguren ein Wachstum von derzeit 27 Milliarden Dollar auf 78 Milliarden Dollar im Jahre 2004, was einem jährlichen Zuwachs von 24 Prozent entspricht. Hierbei soll jedoch der Löwenanteil auf die emporstrebenden Anbieter von CRM-, SCM- oder E-Business-Systemen fallen. Den klassischen ERP-Häusern traut AMR gerade einmal ein Wachstum von fünf Prozent per annum zu. Doch der Gesamtkuchen ist nicht klein und die Anbieter von ERP-Lösungen können sich durchaus ein großes Stück davon sichern. Voraussetzung ist jedoch, dass sie ihre Produkte für ein prozessorientiertes Projekt-Management ausbauen.

*Frank Schiewer ist Geschäftsführer von IFS Deutschland.