85 Prozent der Beschränkungen bei Computerexporten aufgehoben

Erleichterung für DV-Industrie: Cocom-Liste zusammengestrichen

29.06.1990

MINNEAPOLIS (gs) - Die Cocom-Liste für Produkte, die nicht oder nur mit Sondergenehmigung in den Ostblock exportiert werden dürfen, wird zusammengestrichen.

Wie die Regelungen im Detail aussehen, die beim letzten Treffen des Coordinating Committee on Multilateral Export Controls (Cocom) Anfang Juni in Paris beschlossen wurden und ab 1. Juli 1990 gelten sollen, ist noch immer nicht klar. Fest steht nur, daß ein großer Teil der bisherigen Beschränkungen für High-Tech-Exporte fallen wird: 30 der bislang 116 Produktkategorien der berüchtigten Cocom-Liste werden vollständig gestrichen, acht weitere sollen Mitte August aufgehoben und sieben Kategorien teilweise gelöscht werden.

Neben Computern und Telecom-Produkten sind vor allem Ausrüstungen zur Herstellung von gedruckten Schaltungen und Glasfaser-Konnektoren, Kathodenstrahl-Röhren, Halbleiter-Dioden, Telemetrie-Geräte und Fernsteuerungen von den Restriktionen betroffen.

Wie James LeMunyon, Deputy Assistant Secretary im US-Bureau of Export Administration, bei einem Pressetreffen der Control Data Corp. in Minneapolis feststellte, werden damit 45 bis 65 Prozent aller bisher beschränkten Ausfuhren freigegeben.

Bei Computern seien es sogar 85 und bei Werkzeugmaschinen 95 Prozent. Damit entfielen für amerikanische Computerexporte in einem Umfang von 30 Milliarden Dollar künftig die jetzt noch notwendigen Sondergenehmigungen. Insgesamt, so die Delegation der Vereinigten Staaten bei der Cocom-Konferenz, würde ein US-Außenhandelsvolumen von 45 Milliarden Dollar "befreit".

Mit diesem "dramatischen Schritt", so LeMunyon, der den osteuropäischen Staaten den Zugang zu moderner westlicher Technik eröffne, habe man "ein frühes Zeichen setzen" wollen dafür, daß man bereit sei, "die neue Gesellschaft, die im Osten entsteht", zu unterstützen. Die Cocom-Beschränkungen hätten als Reaktion auf die militärische Bedrohung durch diese Länder gedient; mit den neuen Regelungen reagiere man auf die deutliche Verringerung dieser Bedrohung in der jüngsten Vergangenheit.

Markantester Punkt dabei: Zum ersten Mal könne man sagen, "diese Länder sind kein Block". Als Konsequenz werden künftig unterschiedliche Regelungen gelten: Ab 1. Juli 1990 wird die DDR - von wenigen Ausnahmen abgesehen - wie die Bundesrepublik behandelt; Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei bekommen einen Status in Aussicht gestellt, der mindestens dem neutraler Staaten entspricht. Voraussetzung sind allerdings bestimmte Sicherheitsvorkehrungen, etwa Grenzkontrollen zur Verhinderung illegaler Exporte sowie der Abbruch der bisherigen engen Beziehungen zum sowjetischen Geheimdienst KGB.

Weiterhin als feindlich gelten unter anderem Kuba, Nordkorea, Vietnam, Libyen und - trotz aller Herzlichkeit zwischen den Regierungschefs - die Sowjetunion. "Wir sind überzeugt, daß Gorbatschow persönlich keinerlei böse Absichten hegt", erklärte LeMunyon, "aber die Rote Armee ist nach wie vor eine Gefahr." Ein Ende von Cocom sei deshalb noch lange nicht abzusehen.

Im einzelnen steht bis dato fest, daß Computer mit einer internen Verarbeitungsgeschwindigkeit (Process Data Rate - PDR) von 275 (Mbit/sec völlig freigegeben werden (bisher 78). Bis zu einer PDR von 550 können sie von der Regierung des Exportlandes genehmigt werden, eine PDR bis 1000 schließlich erfordert die Zustimmung des Cocom. Für "bevorzugte Länder" (Ungarn, Polen und die Tschechoslowakei soll eine obere PDR-Grenze von 2000 gelten.

Der künftig zulässige Haupt-Speicher-Ausbau beträgt voraussichtlich 16 beziehungsweise 32 MB (bisher 8 MB). Damit, so LeMunyon, unterliegen die meisten mittleren Mainframes keinerlei Beschränkungen mehr, und Anträge für den Export größerer Rechner, verspricht er, würden wohlwollend behandelt. Frei zum Export sind damit auch so gut wie alle PCs bis einschließlich 80386-Level.

Ebenfalls in die Freiheit entlassen wird am 1. Juli 1990 der größte Teil der Telecom-Produkte: Keinerlei Beschränkungen mehr gibt es bei Übertragungsraten bis 9600 Bit/sec, für Nebenstellen-Anlagen mit bis zu 512 digitalen Anschlüssen sowie für analogen Mobilfunk ohne ISDN und CCS (Common Channel Signalling). Unter die nationalen Genehmigungsverfahren fallen digitale öffentliche Vermittlungseinrichtungen bis zu 64 Kbit/sec (bevorzugte Länder: 144 Kbit/sec).

Echte Restriktionen gibt es künftig nur noch bei der Glasfasertechnik. Hier allerdings bleiben die zulässigen Höchstgrenzen mit 45 Mbit/sec (bisher 19,2) beziehungsweise 156 Mbit/sec für bevorzugte Länder weit unter dem derzeit technisch Möglichen. Das ist, schrieb die COMPUTERWOCHE-Schwesterpublikation "Computerworld", als würde man einen Ferrari verkaufen, gleichzeitig aber dafür sorgen, daß -die vorhandenen Straßen Lehm- und Geröllpisten bleiben.

So sehr in Sachen Hardware die Dinge in Bewegung gekommen sind, so wenig scheint sich dafür bei der weichen Ware zu tun. Für Programme zur Entwicklung und Herstellung von integrierten Schaltungen (etwa von Mentor Graphics oder Valid) wie auch für Verschlüsselungssoftware sollen weiterhin strenge Ausfuhrbeschränkungen gelten.

Unverändert das heißt äußerst restriktiv bleiben die Bestimmungen vorerst auch für RISC- und Vektorrechner sowie Grafik-Workstations. Hier sollen bis zum Jahresende neue Regeln aufgestellt und vor allem neue Maßstäbe gefunden werden. Ab 1991 will das Cocom mit einer völlig neu gefaßten "Kernliste" sensibler Produkte arbeiten.

Ein erster Schritt zur technologischen Entspannung ist getan. Michail Gorbatschow wird die sechs Cyber-Rechner, die er Anfang Juni bei Control Data besichtigte und bestellte, geliefert bekommen. Und auch die Verbündeten der Amerikaner sollen vom aktuellen Tauwetter profitieren: Wenn der US-Senat zustimmt, brauchen verbündete Cocom-Mitglieder - wie bislang nur Kanada - bald keine lästigen und zeitraubenden Exportlizenzen mehr für ihre High-Tech-Einkäufe in den USA.