Anwendungskonsolidierung soll Entwicklungskosten um ein Drittel senken

Ergo-Konzern legt IT-Ressourcen zusammen

29.08.2003
MÜNCHEN (wh) - Die Ergo-Versicherungsgruppe steckt in einem schwierigen Konsolidierungsprojekt: Nach der Zusammenlegung von IT-Abteilungen und Rechenzentren vereinheitlicht der Konzern die Anwendungslandschaft von vier separat geführten Unternehmen.

"Nach Projektabschluss erwarten wir uns eine Senkung der Anwendungsentwicklungskosten um rund ein Drittel pro Jahr", erklärt Bettina Anders aus der Geschäftsführung der Itergo Informationstechnologie GmbH. Der interne Dienstleister steuert die IT-Belange von vier Versicherungsunternehmen, die im Ergo-Konzern zusammengefasst sind. Mit rund 29 Millionen Kunden in Europa bilden Victoria, Hamburg-Mannheimer, DKV und DAS den zweitgrößten Erstversicherer im deutschen Markt.

35 Millionen Euro gespart

Am 1. Januar 2000 waren die IT-Abteilungen der zuvor getrennt agierenden Unternehmen in der Itergo zusammengeführt worden. Im ersten Schritt verlegte die Konzernleitung die Rechenzentren der Standorte Hamburg und Köln nach Düsseldorf. Seit März 2001 hält das Ergo-Rechenzentrum in Düsseldorf sämtliche Großrechneranwendungen und -daten für die Gruppe vor. Allein die RZ-Konsolidierung bringe jährliche Einsparungen von rund 35 Millionen Euro, berichtet Anders. Doch die nächsten Schritte sollten ungleich schwieriger werden.

Als Projektleiterin übernahm die 42-Jährige die Herkulesaufgabe, eine einheitliche Plattform für die komplexe und unterschiedlich ausgeprägte Anwendungslandschaft zu schaffen. Dabei galt es, sowohl Versicherungsfachanwendungen als auch betriebswirtschaftliche Systeme zusammenzuführen. Vergleichsweise einfach gestaltete sich noch die Konsolidierung der Victoria-Fachanwendungen mit denen der DAS, denn die Unternehmen sind traditionell eng verbunden und arbeiten in Teilen schon mit gemeinsamen IT-Systemen. Anders verhielt es sich im Fall der Hamburg-Mannheimer, deren Informationsverarbeitung völlig eigenständig organisiert war.

Unter der Leitung von Anders überführte das Projektteam die eigenentwickelten Anwendungen der Hamburger-Mannheimer auf die Victoria-Plattform. Das Problem dabei: Die Victoria-Programme deckten nicht alle Funktionen der Hamburg-Mannheimer ab und mussten deshalb "um geschäftskritische Anforderungen" erweitert werden, so die Managerin. "Die Hamburg-Mannheimer hatte viele selbstgestrickte Anwendungen im Einsatz, die eine Menge gute Funktionen und einen hohen Automatisierungsgrad boten", berichtet ein mit dem Projekt vertrauter Ergo-Mitarbeiter. Allerdings habe dies auch einen erheblicher Pflegeaufwand erfordert. "Zugunsten der Vereinheitlichung hat man die Automatisierung zum Teil wieder aufgegeben."

Anders räumt Kompromisse ein: "Wir wären unserem Auftrag nicht gerecht geworden, wenn wir versucht hätten, die Prozesse beider Häuser in allen Details eins zu eins zu übernehmen." Ein wichtiges Ziel der Konsolidierung seien einheitliche Geschäftsprozesse gewesen, die wiederum in den Funktionen der neuen Anwendungslandschaft abgebildet werden mussten. "In diesem Kontext hat sich die Hamburg-Mannheimer von einigen Prozessen in der bisherigen Form trennen müssen."

Das Zielsystem firmiert im Konzern unter der Bezeichnung "Ergo 1.0" und besteht aus rund 110 Anwendungen, beispielsweise für Kunden-Management, Inkasso oder Lebensversicherungsverwaltung.

R/3 wird Standard

Neben den Fachanwendungen stellte die Hamburg-Mannheimer ihre ebenfalls eigenentwickelten betriebswirtschaftlichen Anwendungen komplett auf SAP R/3 um. Analog zur Victoria und DAS nutzen die Hanseaten heute sämtliche R/3-Hauptmodule, darunter die für Finanz- und Anlagenbuchhaltung, Kostenrechnung und Personal. Diese erste Phase der Anwendungskonsolidierung hat laut Anders gut zwei Jahre in Anspruch genommen. Einen ähnlichen Zeitrahmen veranschlagt sie für die Umstellung der DKV-Applikationen auf das neue System. Die Vorplanungen beginnen Ende 2003.

Dass Itergo für sämtliche Fachanwendungen im Grunde ein erweitertes Victoria-System als Zielplattform wählte, hat internen Quellen zufolge auch mit den Kräfteverhältnissen und unterschiedlichen Kulturen innerhalb des Konzerns zu tun. Während etwa in der Hamburg-Mannheimer und in der DKV ein kooperatives und konsensorientiertes Klima herrsche, pflege das Victoria-Management einen "hierarchischen und harten Führungsstil".

Mitarbeiter waren skeptisch

Nicht wenige IT-Mitarbeiter hätten sich von den Victoria-Kollegen überfahren gefühlt, einige gar von einer "feindlichen Übernahme" gesprochen. Die starke Stellung des Düsseldorfer Versicherers wird auch in der Konzernleitung deutlich: Michael Rosenberg, Vorstandschef der Victoria Lebensversicherungs AG, verantwortet im Ergo-Konzernvorstand das Ressort Lebensversicherung und Informationsverarbeitung. Anders als eine von drei Itergo-Geschäftsführern war früher selbst bei der Victoria beschäftigt.

Die Zusammenlegung der IT-Ressourcen führt auf Konzernebene zu längeren Abstimmungsprozessen. So müssen IT-Projekte künftig nicht mehr nur in den einzelnen Versicherungsunternehmen, sondern auch in den Planungsgremien der Itergo geprüft und genehmigt werden. Dabei komme es naturgemäß zu Interessenkonflikten, die Entscheidungen in die Länge ziehen können, ist aus dem Unternehmen zu hören.

Das Projekt zur Zusammenführung der Anwendungslandschaften begleitet ein Lenkungsausschuss mit den CEOs und CIOs der beteiligten Gesellschaften (Hamburg-Mannheimer, Victoria, DAS, Ergo). Die wichtigste Instanz im gesamten IT-Konsolidierungsprozess bildet das IT Board, in dem alle CIOs der betroffenen Unternehmen sitzen. Kommt es zu tiefgreifenden Meinungsunterschieden "gibt es theoretisch nur eine Eskalationsinstanz, nämlich den Ergo-Vorstand", sagt Anders dazu. Als zuständiges Fachgremium habe das IT Board aber kein Interesse daran, Entscheidungen auf diese Ebene zu verlagern. Angesichts der schieren Größe des Konsolidierungsprojekts genieße das Thema in den Versicherungsunternehmen eine so hohe Priorität, dass man rasch zu einer guten Zusammenarbeit gefunden habe. "Für die beteiligten Unternehmen war das sicher mit Gewöhnungsprozessen verbunden."

IT-Abteilungen unter Druck

Neutrale Beobachter wie Tönnies-Hilmar von Donop, Outsourcing-Experte beim Beratungshaus Accenture, äußern sich kritisch zu dieser Form der Zusammenarbeit. "Die Governance für solche Organisationen ist hochgradig komplex." Er kenne zwar den Fall Ergo nicht im Detail. Doch nach seinen Erfahrungen aus anderen Projekten bringe die Zusammenlegung mehrerer IT-Abteilungen häufig nicht den gewünschten Erfolg. Das sei nicht zuletzt auf die ungünstigen Kostenstrukturen der so entstandenen internen Dienstleister zurückzuführen. So lägen deren Tagessätze typischerweise zwischen 500 und 800 Euro. Größere Unternehmen, die mit Nearshore- oder Offshore-Firmen zusammenarbeiten, rechneten dagegen mit Werten zwischen 300 und 700 Euro. "Die internen IT-Organisationen geraten dadurch massiv unter Druck."

Die Zukunft der Itergo scheint indes bis auf weiteres gesichert. Denn alle IT-Aufträge der Konzernunternehmen müssen zunächst an den internen Dienstleister gegeben werden, der bei Bedarf externe Anbieter einbindet. Anders: "In diesem Sinn hat die Itergo eine gewisse Monopolstellung."

Überkapazitäten

Doch trotz dieser scheinbar komfortablen Ausgangslage zweifeln einige Itergo-Angestellte, ob es mittelfristig bei der Mitarbeiterzahl von derzeit 1400 bleiben kann. Denn nach Abschluss sämtlicher Konsolidierungs- und Vereinheitlichungsprojekte dürften sich die vielzitierten Synergieeffekte auch in überschüssiger Personalkapazität niederschlagen. Für diesen Fall habe das Management bereits Pläne für ein Engagement außerhalb des Konzerns geschmiedet, berichten Mitarbeiter.

Offiziell mag das so niemand bestätigen. Es gebe keinerlei Überlegungen, die Itergo selbst in irgendeiner Form an den Markt zu bringen, formuliert Anders. Der Gründung als interner Dienstleister liege eine strategische Konzernentscheidung zugrunde: "IT gehört für die Ergo Gruppe zum Kerngeschäft. Dabei bleibt es auch in Zukunft."