amazon.de: die konkurrenz auf die plätze verweisen

Erfolgsritter der deutschen Online-Welt

01.07.1999
IT von A bis Z zu beherrschen ist für eine Karriere bei Amazon.de zu wenig. Vielmehr geben Pioniergeist und Kundenorientierung den Ton an.

von Winfried Gertz*

Geschäftsperspektiven im schnell wachsenden Internet rufen Entrepreneure und Investoren aus aller Welt auf den Plan. Für Hochschulabsolventen, die ihre Karriere im Net-Commerce starten wollen, also vielversprechende Aussichten. Wer allerdings mit Amazon.de anbandeln will, sollte sich den Anspruch von Christian Jagodzinski, Mitglied der Geschäftsführung hinter die Ohren schreiben: "Wir suchen keine guten Leute, wir wollen schlicht die Besten."

Noch nicht ein Jahr alt ist der deutsche Ableger des weltweit erfolgreichsten Online-Buchhändlers Amazon.com, doch mit ihrem Ehrgeiz brauchen sich die Statthalter von Firmenboss Jeff Bezos nicht zu verstecken. Die starke Marke sowie die technische Kompetenz ihrer Mutter stehen uneingeschränkt zur Verfügung. "Ausgezeichnete Voraussetzungen für jeden, der mit uns etwas bewegen will", bringt Jagodzinski die Botschaft für alle Bewerber auf den Punkt.

Zum Liebling der Wall Street ist Amazon.com längst avanciert. Nach dem im Januar vollzogenen Aktiensplit im Verhältnis 3:1 hat die Notierung ihren Kursanstieg unvermindert fortgesetzt. Das Umsatzwachstum von 500000 Dollar 1995 auf 16 Millionen 1996 bis 610 Millionen im vergangenen Geschäftsjahr hält Börsianer, Analysten und Investoren in Atem. Für die Mitarbeiter von Amazon.de, die vom Lagerarbeiter bis zum Geschäftsführer auf Aktienoptionen (stock options) zählen können, eine höchst willkommene Entwicklung.

In den Stellenangeboten spricht Amazon.de besonders diejenigen an, die "in einem außerordentlichen Unternehmen Außerordentliches schaffen wollen." Doch solche Überflieger sind nicht leicht zu finden. Jagodzinski: "Unser Bedarf ist sehr groß, und wir erhalten auch viele Bewerbungen. " Gewinnen will man vor allem jenen Mitarbeitertyp, der die Ärmel hochkrempelt und etwas bewegen will. Die Begeisterung, an der Geschichte eines noch jungen und extrem kundenorientierten Unternehmens mitzuschreiben, sollte ebenso vorhanden sein wie gute Sachkenntnis von Datenbanken, PC- und Netzwerkbetriebssystemen sowie dem Internet. Wie Jagodzinski meint, bewerben sich solche High-Potentials nicht bei großen Konzernen wie Siemens, sondern suchen dort die Herausforderung, wo sie nicht durch Hierarchien ausgebremst werden und wo es jeden Tag etwas Neues gibt.

Ehrgeizige Umsatzziele

"Pioniergeist, absolute Kundenorientierung, offene Kommunikation sowie hohes Engagement zeichnen unsere Unternehmenskultur aus", sagt Personalchefin Barbara Mang. Betreut vom direkten Vorgesetzten, übernehmen Hochschulabsolventen sehr schnell Verantwortung in ihrem Aufgabengebiet. Daß dies auch so bleibt, liegt besonders Jagodzinski am Herzen. Obwohl erst 31, blickt er bereits auf eine 15jährige Unternehmerkarriere zurück. Im Alter von 16 Jahren trieb er sich in Kaufhäusern herum und traf sich mit anderen Computer-Kids, um die neuesten Tips und Tricks für den Homecomputer "Commodore 64" auszutauschen.

Eines Tages entstand die Idee, für den seinerzeit aufkommenden Online-Dienst Bildschirmtext (btx) Software zu entwickeln und damit das Taschengeld aufzubessern. Zu tun gab es für Jagodzinski und seinen Partner genug: Als Brot-und-Butter-Geschäft entwickelten sie Backoffice-Systeme für mittelständische Unternehmen, verkoppelten PC- und Online-Systeme, bastelten an Suchmaschinen und produzierten CD-ROMs. "Nebenbei" wurde fürs Abitur gebüffelt. Jagodzinski konnte sich über Aufträge nicht beklagen. Für die Firma Loewe entwickelte er einen Software-Decoder und machte sich in der Industrie schnell einen Namen.

Ihr Wissen um Online-Systeme und Suchmaschinen investierten die Erfolgsritter sogleich in ein neues Abenteuer und hoben 1991 den ABC-Bücherdienst aus der Taufe. "Ohne großartigen Business-Plan", ergänzt Jagodzinski, der für den ersten deutschen Online-Buchladen stolze 200 000 Teilnehmer im Laufe der folgenden Jahre gewann. Vier Jahre später, 1995, zog das Internet den Unternehmer in seinen Bann. "Da steckt Phantasie drin", war ihm sofort klar.

Jagodzinski ließ seine Softwaregesellschaft aus alten Tagen, die Art Data Systems GmbH, ausklingen, gründete den ABC-Bücherdienst und konzentrierte sich voll auf Web-Design und Kundenservice. Auch diese Entscheidung war richtig: Bereits 1997 entstanden Niederlassungen in Spanien, Frankreich, USA und Namibia. Zwischendurch studierte der Tausendsassa noch BWL in München und legte 1996 sein Examen ab. Thema der Diplomarbeit: "Marketing-Strategien auf elektronischen Absatzmärkten."

Wer solche Erfahrungen wie Jagodzinski gesammelt hat, ist wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen schwer zu finden. Deshalb gab es für Jeff Bezos im Sommer 1998 auch kein Zögern, das "deutsche Online-Wunder" für Amazon zu gewinnen. Die Verhandlungen über den Kauf des ABC-Bücherdienstes gingen schnell über die Bühne, das deutsche Online-System wurde abgestellt, und das amerikanische installiert.

Von seinen Niederlassungen in Regensburg und Hallbergmoos bei München aus steuert Amazon.de den steilen Wachstumskurs. Bereits im nächsten Jahr soll der Umsatz um das Vierfache steigen. Händeringend gesucht werden Spezialisten für Browser und die Gestaltung der Web-Seiten, aber auch Redakteure für die tägliche Auffrischung der Inhalte. Weil der Wettbewerb erst jetzt so richtig in Fahrt kommt und die Potentiale des Internets noch gar nicht genau bekannt sind, ist also für Spannung gesorgt.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.