Kolumne

Erfolg für Lisa Laie1984: Kein IBM-Jahr

14.12.1984

Herzlichen Glückwunsch an die "Software-Frau des Jahres 1984". Sie schaffte es, Vorurteile in bezug auf jenes Phänomen abzubauen, das Anbietern wie Anwendern seit Jahren nur allzu vertraut ist: die Softwarekrise. Konkret: das Unbehagen der eigentlichen Benutzer.

Herzlichen Glückwunsch an alle CW-Leser, die es angeht. Einen Einzelsieger - wäre denn gewählt worden in der DV-Branche - hätte es heuer nämlich nicht gegeben. Die Krone gebührte einem Team, allen Weichwerkern, die sich um die Entwicklung "ergonomischer" Software verdient gemacht haben - sei es nun bei Hardware-Herstellern, Softwarehäusern oder beim Anwender.

Keine Frage: Die Software-Ingenieure trugen - mehr als jede andere Gruppe - dazu bei, daß gerade im Orwell-Jahr der "Große Bruder", Sinnbild menschenfeindlicher Computerisierung, ein bißchen mehr auf Distanz gescheucht wurde. Die Programmierer und Systemanalytiker zeigten sich da wesentlich konsequenter, mutiger und lernbegieriger auch, als viele Kritiker gemeint hatten. Ergebnis: Wir können mit Fug und Recht sagen, daß sich die Kluft zwischen Hardware-Verheißung und Software-Wirklichkeit deutlich verringert hat.

Beispiele gibt es genug: Da wären Development-Werkzeuge á la Mapper von Sperry oder Natural von der Software AG zu nennen, die den Benutzer in die Anwendungsentwicklung einbeziehen, ihm eine einfache Programmiererschnittstelle bieten. Da ist aber auch auf anwenderfreundliche Strukturen zu verweisen, wie sie etwa von Apple in dem Lisa/Macintosh-Konzept verwirklicht wurden.

Daß hier nur von programmierbaren Tools die Rede ist, nicht von "Knopfdruck-Applikationen", kommt nicht von ungefähr: Die Endbenutzer wurden von den DV-Spezialisten gewaltig unterschätzt. Sie wollen sich ihre Bildschirm-Menüs selbst zusammenstellen, lehnen Astronautennahrung aus der Tube ab. Merke: "Ad hoc" ist nicht gleichbedeutend mit "fast food", das Lisa Laie, das Lieschen Müller der individuellen Datenverarbeitung, gedankenlos in sich hineinstopft.

Der Werkzeuggedanke, dies das Fazit, hat sich durchgesetzt. Hoffen wir, daß auf dieser Linie in 1985 weitergemacht wird - es ist noch viel zu tun. In diesem Sinne: Happy Xmas und einen guten Rutsch ins Nach-Orwell-Jahr!

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Kaum jemals zuvor sind zwei gegensätzliche Tendenzen deutlicher geworden als in diesem Jahr: Während die "große IBM" mit Ankündigungsspektakeln aus der Trickkiste aufwartete (X-Modelle der 308X, 4381-High-End-Prozessor, 3420-Bänder, neues DOS/VSE-Release, PC AT etc.), suchten kleinere Anbieter, die weder mithalten wollten noch konnten, nach "Common Sense" - weit weniger laut hier die Aktivitäten.

Was wesentlich war, in 1984, ist schnell erzählt. Ohne Frage, die Bemühungen der europäischen DV-Hersteller um "Open Systems Interconnection" prägten das Geschehen der vergangenen zwölf Monate. Auch das Unix-Engagement der meisten Nicht-IBM-Anbieter für mehr "Freizügigkeit" (und damit Unabhängigkeit von IBM) muß erwähnt werden. Sentimentalitäten? Gar Naivität? Zugegeben: Kein berauschender Erfolg, noch viel Eigenbrötelei - aber auch kein gutes Jahr für IBM.