Erfahrungsbericht zur Umstellung auf IBM 8100-Systeme:Ausbildungsdefizit auch mit Video angegangen

04.12.1981

Das Dilemma in vielen EDV-Organisationen besteht darin, daß der Schulungsbedarf zwar erkannt wird, nicht aber budgetiert und realisiert werden kann. So werden die Fehler aus den Zelten der 1401-Umstellungen heute wiederholt, allerdings mit größeren Risiken und von solchen, die es eigentlich besser wissen sollten.

In unserem Unternehmen hatten wir den Kontakt zur DV-Wirklichkeit und der Realität am Markt irgendwann Anfang der 70er Jahre verloren. Schulungskurse wurden nicht mehr belegt und neue Projekte nicht mehr realisiert: "Wartungsleute brauchen keine Schulung."

Der geplante und problemlos durchgeführte Einsatz eines IBM 8100-Systems offenbarte blitzartig ein Ausbildungsdefizit. Größere Schulungsaktivitäten waren nicht geplant und budgetiert worden, unter anderem deshalb, weil in den Informationsunterlagen lediglich von einem Leitbediener die Rede war. Irgendwie verbanden wir dies mit einer Halbtagskraft oder einem Informatik-Praktikanten.

Um korrekt zu sein, wir kennen ähnlich komplexe Systeme anderer Hersteller und haben bis zur perfekten Handhabung dafür etwa drei Jahre benötigt, inklusive Systemgenerierung, Tuning, Optimierung der Hardware-Software und der Fehlersuche. Auch kannten wir die Presseberichte und hatten einige wenige Anwendergespräche geführt.

Nach Durchsicht der 8100-Handbücher formulierten wir das künftige Know-how gegenüber der Geschäftsleitung etwa folgendermaßen: "Ideal wäre mittelfristig ein junger Informatiker, der das System optimiert und für die internen und externen Netze zuständig ist."

Dazu muß erwähnt werden, daß gleichzeitig ein IBM-Kommunikationsrechner 1750 geplant und installiert wurde und die Alternative zwischen Loopverkabelung und Datenübermittlung per Telefonleitung und Datentelefon zur Diskussion stand. Um es vorweg zu sagen, derartige Fragestellungen werden in den Video-Kursen natürlich nicht behandelt.

Die Verbindung zum zentralen Host (2 x 4341) konnte mit IBM-Unterstützung und unserem zentralen Systemprogrammierer innerhalb des Zeitplanes realisiert werden. Einige Wochen später wurde auch noch der "Programmierte Operator" installiert, und es konnte die Nachtschicht abgeschafft werden. Der Kollege "Programmierter Operator" kommunizierte nachts mit dem Host-Rechner, und morgens stand der Output für die zehn Werke druckbereit zur Verfügung.

Wir waren selber überrascht, daß wir eigentlich ohne es zu merken die nächste Hardware-Software-Generation eingeführt hatten. Endlich hatten wir Zeit, um uns zu schulen. Wir legten die Video-Kassetten ein und harrten der Dinge, die da für uns vorbereitet waren.

Offene Manöverkritik

Die Video-Kassetten der IBM für das 8100-System sind interessant gestaltet, und auch das Begleitmaterial ist brauchbar. Es fielen uns aber folgende Dinge auf:

- Die Kurse sind nebenher nicht zu absolvieren;

- der Kursinhalt muß diskutiert werden können, da eine neue Generation der Hardware/Software vorliegt und vieles total neu ist;

- es müssen jeweils Praktika anschließend durchgeführt werden, mit "Hands on" und individuellem Training;

- ein Kurs für Systemanalytiker und Hardware-Planer fehlt eigentlich (zum Beispiel Alternativplanung 8100-Loop/lBM 1750);

- der Tutor muß zirka ein bis zwei Jahre Praxiserfahrungen aufweisen.

Der letzte Punkt wurde uns von der Dr.-lng. Westernacher Beratung bestätigt, die mehrjährige Erfahrungen mit dem 8100-System hat und mit der wir später eine Manöverkritik durchführten.

Insgesamt haben wir den Eindruck, daß bei derartigen Video-Lehrprogrammen vom Bit aufwärts das Gesamtkonzept gesucht wird, das heißt, überwiegend Detailwissen vermittelt wird. Dies geht aber nicht ohne Instruktor, Training am Bildschirm und längerfristiger Schulungsplanung. Mit dem Tutor steht und fällt dabei der Kurs.

Die Top-down-Methode, die zumindest für Führungskräfte und Systemanalytiker erforderlich ist, muß man demnach durch Betriebsbesichtigungen, Telefonate, Fachgespräche und eigenes Lehrgeld ergänzen. Der Tutor und der EDV-Leiter sollten beim Einsatz von Video-Kursen sechs bis acht Installationen in der Praxis kennen. Danach würden die Kursteilnehmer automatisch auf ergänzende Praktiken und Pilotprojekte drängen.

Nach Absolvierung eines kompletten Video-Kurses muß der Mitarbeiter sofort das Gelernte in der Praxis vertiefen. Hierbei muß ihm ein Profi zur Seite stehen, da er ansonsten durch Kleinigkeiten blockiert und frustriert wird.

Derartige Pilotprojekte kann sich eine EDV-Mannschaft bei komplexen neuen Hardware-Software-Produkten aber nicht eigenständig organisieren, geschweige denn durchführen. Hier muß der Tutor sogar durch den Berater ergänzt werden, der im Team das Pilotprojekt mit realisieren hilft. Im konkreten Beispiel wurde das Pilotprojekt verschoben, das heißt, der Lerneffekt des Video-Kurses strebt gegen Null.

Video-Lehrsysteme können eine langfristige Ausbildungsplanung, den praxiserfahrenen Trainer und Pilotprojekte mit Beraterunterstützung nicht ersetzen, aber ergänzen. Die Optimalsituation ist:

- Langfristplan für Ausbildung,

- Pilotprojekte mit Beraterunterstützung,

- interne Video-Schulung und

- externer Erfahrungsaustausch,

- erfahrene Praktiker vom Personalmarkt.